Luther und die Macht der Sprache

Martin Luther hat mit seiner Übersetzung der Heiligen Schrift einen großen Beitrag geleistet zur Entwicklung einer einheitlichen deutschen Sprache. Umgekehrt gilt: Ohne Verwendung des Deutschen wäre der Reformator wohl nicht so wirkmächtig gewesen.

Zum Reformationsjahr 2017 häufen sich die Neuerscheinungen. Ein kleiner Band aus dem Duden-Verlag betrachtet einen speziellen Aspekt: Der Germanist Hartmut Günther geht darin anhand von mehr als 70 plakativen Redewendungen und Begriffen dem Einfluss des Reformators auf die deutsche Sprache nach.

Von „Abendmahl“ bis „Ziege“

In dem hübsch gestalteten Bändchen finden sich alphabetisch gegliedert so schöne Termini und Wendungen wie „Perlen vor die Säue werfen“, „ein Buch mit sieben Siegeln“, der „Rotzlöffel“ und das „Machtwort“. Günther liefert jeweils Beispiele für den aktuellen Sprachgebrauch, um anschließend die Herkunft (natürlich nach Luther) zu erläutern.

Buchcover Hartmut Günther: Mit Feuereifer und Herzenslust. Wie Luther unsere Sprache prägte

Duden Verlag

Buchhinweis

Hartmut Günther: Mit Feuereifer und Herzenslust. Wie Luther unsere Sprache prägte. Bibliographisches Institut, 128 Seiten, 13,40 Euro.

Das eigentlich Spannende am Buch aber ist der einleitende Essay des Kölner Sprachwissenschaftlers, der die Entstehung der Luther-Bibel und das Wirken Luthers sehr atmosphärisch einbettet in den historischen Kontext, unter besonderer Berücksichtigung der sprachlichen Aspekte. Und das ist auch notwendig, will man heute – im Zeitalter der digitalen Revolution – die ungeheure Wirkung erfassen, die damals ein einziges Buch entfalten konnte.

Ablasshandel als „Stein des Anstoßes“

Zu Luthers Zeit wurde die zentrale Schrift der Kirche auf Latein gelesen und verbreitet. Und Luther selbst verfasste seine berühmten „Thesen wider den Ablasshandeln“ in der Lingua franca der gelehrten Welt. Die kirchliche Ablasspraxis lief seinem Verständnis von Gottes Gnade völlig zuwider: Beim Ablass konnten die Gläubigen ihr Seelenheil auch durch den (teuren) Kauf von Ablassbriefen erlangen. Mit seinen 95 Thesen wurde der Mönch quasi über Nacht berühmt. Luther war ja auch ein begnadeter PR-Mann, könnte man sagen – er nutzte den noch jungen Buchdruck zur Verbreitung seiner Schriften.

Die Heilige Schrift als grundlegende Norm

Sein Auftreten handelte ihm allerdings Ärger ein mit kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten ein. In weiterer Folge landete Luther für einige Zeit auf der Wartburg bei Eisenach. Und ebendort verfasste er in nur elf Wochen seine erste Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche.

Er selbst berichtete später, dass er einst beim Bibelstudium zur entscheidenden Einsicht gelangt sei, dass der Mensch alleine durch den Glauben erlöst werden könne. Er schloss auch daraus, dass nur die Heilige Schrift als Autorität in Glaubensfragen gelten dürfe. „Für den Reformator ist die Bibel an die Stelle einer grundlegenden Norm gerückt“, erklärt dazu Christian Danz, Systematischer Theologe an der Universität Wien.

Von Gott inspiriert, mit objektiver Geltung

„Die Bibel wird zum einzig entscheidenden theologischen Prinzip, welches der Kirche und dem Lehramt übergeordnet ist“, so Danz weiter. Luther habe die Bibel aufgefasst als ein von Gott inspiriertes Buch, „und das hat für Luther eine stark objektive Geltung“. Die Bibel wird somit zur übergeschichtlichen Norm, an der alle religiösen und theologischen Fragen zu messen sind.

Bibelausgabe in Martin Luthers Übersetzung

APA/dpa/Jan-Peter Kasper

Bibelausgabe in Martin Luthers Übersetzung

Und warum die Übertragung ins Deutsche? „Mit dem Evangelium als zentraler Botschaft ist nach Luther keine Hierarchie verbunden“, erklärt Christian Danz. „Daraus resultierte für Luther, dass es in der Christenheit keine substanziellen Unterschiede gibt.“ Jeder Mensch könne daher selbst über die Lehre entscheiden und über den rechten Glauben. Aber: „Dazu müssen sie eben die Bibel lesen. Das steht im Hintergrund der Übersetzung.“

Der Siegeszug der Luther-Bibel

Die Luther-Bibel sollte zu einem durchschlagenden Erfolg werden. Luthers erste Übersetzung, das sogenannte Septemberevangelium, erschien am 22. September 1522 im Druck „und fand sofort reißenden Absatz – die erste Auflage von über 3.000 Stück war im Nu ausverkauft“, beschreibt Autor Hartmut Günther das Geschehen.

Dabei sind bereits vor Luther fast 20 gedruckte deutsche Bibeln nachgewiesen, wie Günther betont. Dazu kommen über 50 Drucke von Teilen der Bibel. Doch alle vorherigen Übersetzungen hielten sich möglichst eng an den lateinischen Bibeltext. Das Ergebnis war mehr oder minder unverständlich, geschweige denn flüssig lesbar.

Hier liegt Luthers geradezu revolutionärer Ansatz: Er wollte, dass sein Publikum wirklich verstand, was da in der Bibel gesagt wurde: „Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll (...); sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann auf dem Markt danach fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach übersetzen, so verstehen sie es denn (...)“, schreibt Luther 1530 im „Sendbrief vom Dolmetschen“.

Jede Übersetzung ist Interpretation

Dabei darf man allerdings nicht unterschätzen, wie sehr Luther seine Lesart der Bibel in die Übersetzung einbrachte. Und er wich in entscheidenden Punkten vom Original ab, um eben diese seine Lesart in der deutschen Übersetzung zu vermitteln. „Jede Übersetzung ist eine Interpretation“, sagt dazu Christian Danz, „und Luther übersetzt natürlich auf seine theologische Intention hin.“

Martin Luther, Werkstatt von Lucas Cranach d. Älteren, 1529

Public Domain

Martin Luther, Werkstatt von Lucas Cranach d. Älteren, 1529

Klassisches Beispiel: Die Stelle im Römerbrief, die bei Luther das kleine, entscheidende Wörtchen „allein“ enthält, das im griechischen Original wie auch in der lateinischen Vulgata fehlt. „Allein der Glaube“, das ist Luther pur. „Dahinter steht natürlich die Rechtfertigungslehre“, so Danz. „Sozusagen das grundlegende Prinzip der lutherischen Reformation, dass der Mensch nicht durch Werke gerettet wird, sondern allein durch den Glauben.“

Eine Erfolgsgeschichte bis heute

Luther war sich der Macht der Sprache also bewusst – und wählte eine Form des Deutschen, die von möglichst vielen Menschen im dialektal geprägten deutschen Sprachraum verstanden werden sollte. Luther bediente sich der „chursächsischen Kanzleisprache“, die geografisch und sprachlich gleichsam in der Mitte lag.

Der Erfolg gab Martin Luther recht. Man schätzt, dass über 600.000 Exemplare seiner Bibelübersetzung gedruckt worden waren, als Luther 1546 starb. „Das Deutsch seiner Bibel ist wohl der wichtigste Steuerungsfaktor in der jüngeren Sprachgeschichte“, lautet denn auch die linguistische Einschätzung des Bonner Germanisten Werner Besch. Heute ist die Bibel im Übrigen der in die meisten Sprachen übersetzte Text der Welt.

Sabine Aßmann, für religion.ORF.at

Mehr dazu:

Links: