Muslime: Herkunft spielt Rolle bei Religiosität

Eine neue Studie zu Muslimen in Österreich sieht große Unterschiede bei den Werthaltungen je nach Herkunft. 37 Prozent der Flüchtlinge aus Somalia gab an, sie würden für den Glauben sterben. Iraner sind weniger religiös.

Koordiniert wurde die am Donnerstag präsentierte Studie für den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) von dem Politologen Peter Filzmaier. Eine grundlegende Erkenntnis daraus ist, dass die Bedeutung der Religion für Muslime abnimmt, je länger sie schon in Österreich leben bzw. wenn sie bereits im Land geboren wurden, sagte der Sozialwissenschaftler am Donnerstag im Ö1-„Mittagsjournal“.

Kaum Befürworter für Scharia als Gesetz

Derzeit leben geschätzte 700.000 Muslime mit überwiegend türkischem und bosnischem Hintergrund in Österreich. Große Unterschiede zeigen sich in der Studie bereits bei der Religiosität: Vor allem Flüchtlinge aus Somalia gaben an, sehr gläubig zu sein (69 Prozent), während Personen aus dem Iran der Religion distanzierter gegenüberstehen (53 Prozent eher oder gar nicht gläubig). Tschetschenen, Türken und Syrer bezeichnen sich ebenfalls häufiger als „sehr gläubig“.

Die große Mehrheit der für die Studie befragten Muslime steht hinter den österreichischen Rechtsvorschriften. Ein Viertel der Flüchtlinge will islamische Rechtsvorschriften berücksichtigt sehen. Allerdings ist die Zahl der Befürworter der Scharia als Grundlage der Gesetze verschwindend gering: Selbst unter den deklarierten „sehr gläubigen“ Muslimen macht diese in der Studie nur zwei Prozent aus.

Keine repräsentative Studie

Filzmaier betonte, dass es sich um keine repräsentative Studie handle, da Muslime ja nicht in einer Datenbank erfasst würden. Dennoch könne man Tendenzen herauslesen.

Mann liest in einer Moschee auf einem Teppich

APA/Hans Klaus Techt

Die Bedeutung von Religiosität unter Muslimen differiert stark je nach Herkunftsland

Nach einem sogenannten Schneeballsystem - Personen werben weitere Interviewpartner an - wurden von der Donau Universität Krems seit vergangenem Jahr 1.129 Muslime in zwei Wellen befragt. Dabei handelte es sich sowohl um in Österreich Geborene als auch Migranten und anerkannte Flüchtlinge.

Gewaltsame Verteidigung der Familienehre

Mehr als drei Viertel aller Befragten bosnischer Herkunft sowie zwei Drittel der befragten türkischer Herkunft und mehr als die Hälfte der Flüchtlinge finden die österreichischen Vorschriften für Muslime angemessen. Insgesamt wird die Aussage, für den Glauben zu sterben, klar abgelehnt (58 Prozent „auf gar keinen Fall“). Allerdings stimmten 37 Prozent der Somalier dieser Aussage mit „ja, auf jeden Fall“ bzw. „ja, eher schon“ zu.

Sendungshinweis

Politologe und Studienkoordinator Peter Filzmaier über die Studie im „Ö1-Mittagsjournal“

Ein differenziertes Bild zeichnet die Studie bei emotional besetzten Themen. So zeigen mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sowie 40 Prozent der türkischstämmigen Muslime großes oder eher Verständnis dafür, wenn Männer Frauen nicht die Hand reichen. Ein Drittel der Flüchtlinge - insbesondere aus Somalia und Tschetschenien - befürwortete die gewaltsame Verteidigung der Familienehre. Bosnier messen diesem Thema am wenigsten Bedeutung zu.

Kopftuch: Mehrheit für Freiwilligkeit

Auch das politisch intensiv diskutierte Thema Verschleierung wurde abgefragt. Lediglich befragte Flüchtlinge aus Somalia waren mehrheitlich (61 Prozent) der Meinung, dass jede Muslimin ein Kopftuch tragen soll. Insgesamt waren 43 Prozent der befragten Männer und 54 Prozent der Frauen der Meinung, dass ein Kopftuch nur auf eigenen Wunsch getragen werden soll. Einen Kopftuchzwang befürworteten beide Geschlechter mit jeweils 16 Prozent.

Konservative Werte

Die Tendenzen nach Herkunft bestätigten sich in der Studie auch bei weiteren gesellschaftlichen Themen. So befürworteten Personen aus Tschetschenien und Somalia eher, dass Frauen als Jungfrau in die Ehe gehen, unverheiratete Frauen und Männer nicht zusammenleben und Mädchen und Burschen nicht gemeinsam Turn- und Schwimmunterricht haben sollten. Am unteren Ende des Spektrums finden sich wieder Menschen aus Bosnien und dem Iran.

Eine Gleichberechtigung aller Religionen wird quer durch alle Gruppen mit mehr als 80 Prozent befürwortet. Knapp 60 Prozent der Flüchtlinge und Befragten türkischer Herkunft finden jedoch, dass es verboten sein soll, sich über den Islam lustig zu machen. Gut 60 Prozent der Befragten bosnischer Herkunft sowie der Flüchtlinge meinen, dass sich der Islam an die Traditionen und die Kultur in Europa anzupassen hat, von den Personen mit türkischem Hintergrund knapp die Hälfte.

Antisemitismus stark vertreten

Knapp die Hälfte der Befragten türkischer und afghanischer Herkunft hat das Gefühl, aufgrund ihres Glaubens in Österreich schlechter behandelt zu werden. Nicht so sehen das zwei Drittel der Flüchtlinge sowie drei Viertel der Bosnischstämmigen.

Der Aussage, dass Juden zu viel Macht haben, stimmten vor allem die Syrer „sehr“ oder „eher“ (insgesamt 62 Prozent) zu, Iraner nur zu 18 Prozent. Laut Filzmaier ist Antisemitismus auch unter der österreichischen Gesamtbevölkerung stark vertreten.

Kein Zusammenhang mit Wahlkampf

Filzmaier sieht beim Thema Werthaltung von Muslimen Nachholbedarf. Aufgrund geringer Ressourcen und Schwierigkeiten bei der Erfassung der Bevölkerungsgruppe habe es bis vor kurzem nur wenige Anstrengungen gegeben. Einen Zusammenhang mit dem Wahlkampf sieht er in seinem Auftrag nicht.

Erst in den vergangenen Jahren hätten Forschungsaktivitäten in Österreich zum Thema Islam „erfreulicherweise“ zugenommen, so Filzmaier. Er hofft dabei auf ein „Einpendeln auf gutem Niveau“. Vor allem Zeitreihen in der Forschung wären für den Sozialwissenschaftler vernünftig, um die Entwicklung über die Jahre hinweg verfolgen zu können.

religion.ORF.at/APA

Mehr dazu:

Link: