Kirchen: Keine Kompromisse bei Antisemitismus

Im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes in Wien haben Christen aller Konfessionen am Donnerstag der jüdischen Opfer der Novemberpogrome von 1938 gedacht. Zudem gab es erstmals beim „Light of Hope“-Gedenkmarsch eine Grußbotschaft der Kirchen.

Oberrabbiner Arie Folger verlas diese am Donnerstagabend bei der „Light of Hope“-Schlusskundgebung beim Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoa auf dem Judenplatz. Veranstaltet hatten den Gedenkmarsch die Israelitische Kultusgemeinde und die Jüdische Jugend Wien.

Verschiedene Orte, Religionen, Geschichten

Die vom Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit verfasste Botschaft wurde von Kardinal Christoph Schönborn, dem orthodoxen Metropoliten Arsenios (Kardamakis), dem lutherischen Bischof Michael Bünker und dem Präsidenten des Koordinierungsausschusses, Martin Jäggle, unterzeichnet.

Teilnehmer beim "Light of Hope"-Gedenkmarsch an die Opfer der Pogromnacht vom 9.11.1938

APA/Hans Punz

„Light of Hope“-Gedenkmarsch 2017

Der Text lautete: „Zeitgleich mit dem ‚Light of Hope‘-Marsch findet in der Kirche St. Ruprecht, die aus ihrer örtlichen Nähe zum Stadttempel eine besondere Verantwortung zieht, wie seit vielen Jahren auch heute ein christlicher Gedenkgottesdienst mit anschließendem Schweigemarsch zum Denkmal auf dem Judenplatz statt. Verschiedene Orte. Verschiedene Religionen. Verschiedene Geschichten. Was uns eint, ist das immerwährende Gedenken und das Versprechen an die Zukunft: ‚Nie wieder‘. Wir stehen heute nicht beieinander. Hier ein jüdisches Gedenken, dort ein christliches. Aber wir möchten Ihnen sagen: Sie sind nicht allein.“

Klare Absage an Judenmission

Die christlichen Kirchen hätten begriffen, welche Folgen judenfeindliche Theologien nach sich zögen. „In den letzten Jahrzehnten wurde der Judenmission eine Absage erteilt und Antisemitismus als Sünde verworfen. Nun stehen wir da als Lernende, die sich endlich ihrer Wurzeln besinnen und keine fordernde, bedrängende, sondern eine freundschaftliche und unterstützende Hand zur jüdischen Gemeinde ausstrecken. (...) Wir stehen neben Ihnen und möchten unseren Teil beitragen zu einer friedlichen Zukunft, in der Verfolgung, Zwang und Vergessen keinen Platz haben“, heißt es weiter.

An dem Gedenkmarsch „Light of Hope“ - der heuer bereits zum vierten Mal stattfand - nahmen rund 1.000 Personen teil. Der Gedenkmarsch begann kurz nach 18.00 Uhr vor dem Stadttempel in der Seitenstettengasse und zog von dort zum „Juridicum“, wo heuer antisemitische Postings von Studentenvertretern für Entsetzen gesorgt hatten. Im Hinblick darauf nahmen erstmals auch Repräsentanten der Universität an dem Gedenkmarsch teil, unter ihnen Rektor Heinz Engl und der Dekan der Juridischen Fakultät, Paul Oberhammer.

Mahnmal am Wiener Judenplatz

APA/Hans Klaus Techt

Beim Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoah am Wiener Judenplatz fand die Abschlusskundgebung des „Light of Hope“-Gedenkmarschs statt, auch der christliche Schweigemarsch von der Rupprechtskirche endete hier

Warnung vor zunehmendem Antisemitismus

Beim ökumenischen Gottesdienst in St. Ruprecht wandte sich der Wiener Fundamentaltheologe Wolfgang Treitler an die Teilnehmer. Er warnte vor nur allzu deutlich zunehmenden antisemitischen Tendenzen in der Gesellschaft, gegen die es kompromisslos aufzutreten gelte.

„Vor 79 Jahren warf man brennende Fackeln in jüdische Gebäude und Gebetshäuser und zerstörte sie. Brand und Heilrufe gehörten in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 zusammen“, erinnerte Treitler. „Heil und Brand“ rückten rhetorisch aber auch heute längst wieder zusammen in Österreich, so der Theologe: „So muss man lesen, dass eine Übersiedlung der pennalen Mädelschaft Sigrid hier in Wien mit einem ‚Heil Umzug‘ bedacht wurde und eine andere Mädelschaft, Iduna in Linz, ihre Brauchtumspflege etwa mit einem ‚Heil Sonnenwende‘ bewirbt.“

Theologe: Keine Kompromisse mehr

Hier dürfe es christlich keine Kompromisse mehr geben, so Treitler: „Worte sind nicht beliebig, sie haben ihre Geschichten. In den Geschichten von Worten sammelt sich vieles, manchmal auch tödliche Inszenierung wie eben im deutschen Wort Heil.“ Diese Worte seien gezielt mit Zerstörungsabsicht angefüllt.

„Das deutsche Wort Heil erinnert an die diktatorische Teilung der Menschen zwischen der sogenannten Volksgemeinschaft der arischen Rasse, die ihr Leben feierte, und jenen, an denen von dieser die Ausschließung und schließlich die Vernichtung verübt wurden.“ Ähnliche gefährliche Formationen des Politischen könne man heute erkennen - „an Haltungen, die genau unterscheiden zwischen Volksgenossen und den diffusen Anderen“, so Treitler.

Ausschließung heute weniger durchsichtig

Deren Ausschließung sei zurzeit freilich nicht so blank und durchsichtig wie in den 1930er Jahren. Man habe die Mittel verfeinert, brülle weniger herum, umgebe sich mit dem Anschein von argumentativen Diskursen „und den ehrenwerten Absichten, christlich-sozial zu sein und das Abendland zu retten“.

Treitler erinnerte in seiner Ansprache an den Schriftsteller Elie Wiesel. Dieser habe einmal geschrieben, dass es Zeiten gebe, „in denen sich die Menschlichkeit daran entscheidet, dass man Jude wird; nicht durch Konversion, sondern durch klare Stellungnahmen und Haltungen zugunsten von Juden und Jüdinnen“. „In solchen Zeiten leben wir heute, auch hier in Österreich“, sagte der Theologe.

Schweigemarsch zum Judenplatz

Der Gedenkgottesdienst in der Ruprechtskirche fand im Rahmen der alljährlich stattfindenden Bedenkwoche „Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt“ statt. Unter den Teilnehmern war der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Landessuperintendent Thomas Hennefeld. Im Anschluss an den Gottesdienst gingen die Teilnehmer in einem Schweigemarsch von der Ruprechtskirche zum Judenplatz. Vor dem Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoah entzündeten sie Kerzen.

In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge der Pogrome insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.

religion.ORF.at/KAP

Mehr dazu:

Links: