Vaterunser: Theologe widerspricht Papst-Kritik

Der deutsche Theologe Thomas Söding hat der Kritik von Papst Franziskus an der Übersetzung des Vaterunsers widersprochen. Der Papst hatte den Wortlaut der Stelle „Und führe uns nicht in Versuchung“ in mehreren Sprachen bemängelt.

„Seit Martin Luther ist die deutsche Übersetzung des Vaterunsers ein und dieselbe. Sie ist präzise, und sie ist tief. Falsch ist nur die Behauptung, die Übersetzung sei falsch“, sagte Söding, Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Montag-Ausgabe).

Papst: „Keine gute Übersetzung“

Die Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“, wie sie etwa im Deutschen und Italienischen lautet, sei „keine gute Übersetzung“, sagte das katholische Kirchenoberhaupt in einem Interview, das der Sender TV2000 am Mittwochabend ausstrahlte - mehr dazu in Vaterunser: Papst bemängelt Übersetzung.

Das Vaterunser an der Wand einer Kapelle

APA/dpa/Steffen Kugler

In der Diskussion: Die Übersetzung des Vaterunser

„Lass mich nicht in Versuchung geraten“, träfe es besser, sagte Franziskus. „Ich bin es, der fällt, aber es ist nicht er, der mich in Versuchung geraten lässt.“ Ein Vater mache so etwas nicht. „Ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.“

„Rückübersetzungen untauglich“

Dem widerspricht Söding: Versuche von „Rückübersetzungen“ aus dem, was Jesus Christus vielleicht auf Aramäisch gesagt haben könnte, seien in den 1970er Jahren beliebt gewesen, „sind aber untauglich. Uns ist als einzige verbindliche Quelle der griechische Text der Bibel zugänglich.“ Man könne „nicht hergehen und aus einer angeblich falschen Übersetzung das richtige Original rekonstruieren wollen. Das ist methodisch absurd“, so Söding.

„Tief drin in der DNA der Bibel“

Auch inhaltlich sieht der Theologe die Übersetzung durchaus als passend an: „Die Prüfung des Menschen durch Gott – nehmen Sie Abraham oder Hiob im gleichnamigen Buch des Alten Testaments – ist ganz, ganz tief drin in der DNA der Bibel“, so Söding. Viele würden am liebsten die Bibel umschreiben, „wenn ihnen der Wortlaut unangenehm ist. Solche Stellen gibt es zur Genüge.“ Der Theologe rät Christen nun: „Sie sollen beten, was sie immer gebetet haben: Und führe uns nicht in Versuchung.“

In Österreich bisher kein Thema

Die Neuübersetzung des Vaterunser war bisher nicht Thema der Österreichischen Bischofskonferenz, sagte deren Generalsekretär, Peter Schipka, am Montag gegenüber Kathpress. Die Thematik müsse insgesamt im Kontext der geplanten Neuübesetzung des Römischen Messbuches in die Landessprachen gesehen werden, wies er hin.

Für den deutschsprachigen Raum werde das Projekt einer Neuübersetzung des Messbuches derzeit gemeinsam mit den Bischofskonferenzen neu organisiert, erläuterte der Leiter des Österreichischen Liturgischen Instituts, Pater Winfried Bachler, im Interview mit Kathpress. Erst im Zuge dessen, könnte sich - wenn überhaupt - die Frage nach einer möglichen geänderten deutschen Fassung des Vaterunser stellen.

Konkret gehe es zuerst darum, die neuen Vorgaben durch das vatikanische Motu Proprio „Maximum Principium“ auf die Arbeit an einem neuen gemeinsamen Messbuch für den deutschsprachigen Raum anzuwenden; dieses Vatikan-Dekret vom Oktober änderte die Regeln für die Übersetzung liturgischer Texte und die Zuständigkeiten der Bischofskonferenzen dabei.

Auslöser französische Neuübersetzung

Die Debatte entzündete sich an einer Neuübersetzung aus Frankreich. Seit dem ersten Advent beten die französischen Katholiken: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“ („Ne nous laisse pas entrer dans la tentation“) statt „Unterwerfe uns nicht der Versuchung“ („Ne nous soumets pas a la tentation“), wie es davor hieß.

Zur französischen Übersetzung sagte Theologe Söding im Gespräch mit dem Kölner domradio: „Das ist meines Erachtens keine Übersetzung, sondern eine Paraphrase.“ „Unterwerfe uns nicht der Versuchung“ stehe in der Tat für ein „brutales Gottesbild“. Eine Neuübersetzung war somit angezeigt. „Aber meines Erachtens hat man da des Guten zu viel getan und das Gottesbild ein wenig weichgezeichnet“ meinte Söding.

Auch Theologin Käßmann gegen Änderung

Auch die deutsche evangelische Theologin Margot Käßmann bekräftigte in der „Bild am Sonntag“ die Haltung ihrer Kirche: „Ich bin dafür, das Vaterunser zu belassen wie es ist.“ Das Gebet gehe wohl auf Jesus selbst zurück. Käßmann: „Wenn wir anfangen, Änderungen zu diskutieren, gibt es unzählige Kommissionen, Vorschläge, Auseinandersetzungen.“ Sie rief dazu auf, „das eine gemeinsame Gebet der Christenheit wirken“ zu lassen.

Die evangelische deutsche Theologin Margot Käßmann

APA/AFP/John McDougall

Die evangelische Theologin Margot Käßmann will das Vaterunser „belassen, wie es ist“.

Die in Deutschland und Österreich gebräuchliche Fassung von 1971 wurde von Katholiken und Protestanten gemeinsam erarbeitet; in der revidierten Lutherbibel wie auch in der neuen, für den deutschen Sprachraum verbindlichen Einheitsübersetzung wurde die Formulierung „Und führe uns nicht in Versuchung ...“ beibehalten.

Dazu erklärte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf am Sonntag auf seiner Facebook-Seite: „Es führt kein Weg an der Feststellung vorbei, dass die deutsche Übersetzung dem griechischen Urtext im Matthäus- und Lukasevangelium entspricht.“ Frühere Versuche, die griechische Version ins Aramäische, die Sprache Jesu, zurückzuübersetzen, hätten nicht überzeugt.

Gottesbild nicht „weichspülen“

„Wir werden also den griechischen Text als das Gebet Jesu nehmen müssen“, so Kohlgraf. „Bei der Bitte, dass Gott uns nicht in Versuchung führen möge, geht es nicht um kleine Versuchungen, sondern um die Situation einer Grundentscheidung für oder gegen Gott.“

Die Gläubigen beten anschließend, dass Gott sie vom Bösen erretten möge. „Mir scheint es nicht sinnvoll, das Gottesbild weichzuspülen und alles wegzustreichen, was ich nicht verstehe“, so Kohlgraf. „Allein, dass über ein Gebet so diskutiert wird wie derzeit, spricht dafür, die Übersetzung zu belassen.“

religion.ORF.at/dpa/KAP

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