Das Wunder der Jungfrauengeburt

Die Geburt von Jesus Christus durch eine Jungfrau unterstreicht ihren Stellenwert als göttliches Wunder. Die Jungfrauengeburt Marias hatte Vorbilder im Alten Testament, ist aber dennoch einzigartig und der Kern der christlichen Marienverehrung.

Es ist alles andere als „belegt“, dass die Mutter von Jesus Christus unbedingt im biologischen Sinn jungfräulich war: Das hebräische Wort almah bedeutet junge Frau, vielleicht Hofdame, so die Theologin Irmtraud Fischer im Gespräch mit religion.ORF.at. In der griechischen Übersetzung, an der die Evangelien sich orientieren, der Septuaginta, wird das mit parthenos übersetzt. Das bedeutet Jungfrau im Sinne von: noch nicht verheiratet.

Sandro Botticelli (1445-1510): Madonna mit Kind, Johannes dem Täufer und Engel

Public Domain

Sandro Botticelli (1445 - 1510): Madonna mit Kind, Johannes dem Täufer und Engel

Das Eingreifen Gottes

Dabei ist die Jungfräulichkeit Marias in der Bibel „ganz wichtig, sie ist aber keine biologische, sondern eine theologische“, sagte die Theologin, die das Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz leitet. „Die Bibel macht theologische Aussagen, das hat mit Biologie nichts zu tun. Es geht um das Eingreifen Gottes.“

Eine Kindheitsgeschichte werde immer dann erzählt, wenn es um sehr bedeutende Menschen gehe, so Fischer. Die ungewöhnlichen Begleitumstände einer Geburt zeugen von der Anwesenheit Gottes, sie zeigen: „Von Anfang an ist Gott mit diesem Kind.“ Solche Geburtsgeschichten mit göttlicher Einwirkung kennt man aus antiken Mythen, sie sind aber auch Hintergrund der Lebenserzählungen bedeutender Staatsmänner wie Alexander der Große oder Kaiser Augustus.

Die unfruchtbaren alten Frauen der Bibel

Im Alten Testament kommt ein Motiv besonders häufig vor, das der unfruchtbaren Frau, die durch göttlichen Willen dennoch Mutter wird. „Praktisch jeder wichtige Mann wird von einer Frau geboren, die unfruchtbar ist beziehungsweise es bis dahin war“, sagt Fischer. So ist es bei den Erzeltern Sara und Abraham, Rebekka und Isaak, Rachel und Jakob sowie vielen weiteren bekannten Figuren der Bibel. Die Mütter des Alten Testaments sind teils sehr alt - eigentlich zu alt, um ein Kind zu bekommen.

Peter Paul Rubens: Die heilige Familie mit Elisabeth und Johannes dem Täufer (ca. 1614)

Public Domain

Die junge Maria und die greise Elisabeth sind beide Mütter durch Gottes Eingreifen. Peter Paul Rubens: Die heilige Familie mit Elisabeth und Johannes dem Täufer (ca. 1614)

Um das Motiv von den zu alten Eltern einzuführen, werde die Geschichte von Marias Cousine Elisabeth und ihren Mann Zacharias erzählt, die ebenfalls spät Eltern des Johannes des Täufers werden (Lk 1). Dann aber wird mit der Jungfrau Maria „das Motiv umgedreht, um klarzumachen: Jetzt haben wir etwas ganz Bedeutsames und etwas ganz Neues.“

Literarische Motivumkehr

Man bleibe also in der Tradition des Alten Testaments, drücke aber gleichzeitig die Einzigartigkeit des Geburtsereignisses durch eine „literarische Motivumkehr“ aus. „Nicht mehr die alte, unfruchtbare Ahnfrau, bei der keine Empfängnis mehr möglich ist, wird auf die Ankündigung des Engels hin schwanger, sondern die Jungfrau, die noch keinen Mann erkannt hat, und bei der daher noch keine Empfängnis möglich war“, erklärt Theologin Fischer.

Sendungshinweis

Die Ö1-Sendung „Lebenskunst“ setzt sich am 25. Dezember ab 7.05 Uhr ebenfalls mit dem Thema Jungfrauengeburt auseinander

Die beiden Evangelien, die die Kindheitsgeschichte Jesu erzählen, das Lukas- und das Matthäus-Evangelium, heben Marias Status als unverheiratete Jungfrau stark hervor: „Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt. (...) Der Name der Jungfrau war Maria.“ (Lk 1,26 und 1,27) Und: „Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes.“ (Mt 1,18)

Henry Ossawa Tanner: The Annunciation (Ausschnitt, 1898)

Public Domain

Henry Ossawa Tanner: The Annunciation (Ausschnitt, 1898)

Ein Vorbild für eine Jungfrauengeburt vor Jesus Christus findet sich bei Jes 7,14, wo es in der griechischen Übersetzung heißt: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“

Jungfräulichkeit als Herausstellungsmerkmal

Der Philosoph Kurt Hübner formuliert die Bedeutung von Marias Jungfräulichkeit als Herausstellungsmerkmal in seinem Buch „Glaube und Denken“ so: „Da Gott Mensch geworden war, wurde er auch wie ein solcher geboren und starb. Und doch konnte er als Gott nicht in die Kontinuität irdischer Kausalketten eingeordnet werden: Seine Geburt war daher ein Eingeborenwerden, er entsprang dem Schoße einer Jungfrau ...“

Literatur

Immer „reiner“, immer weiter aus dem Menschsein herausgehoben wurde Maria im Laufe der Jahrhunderte durch die kirchlichen Dogmen. Das Zweite Konzil von Konstantinopel (553) legte die „immerwährende Jungfräulichkeit“ als Dogma fest, 1854 erklärte Papst Pius IX. die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau selbst. Für Menschen heute sind diese Vorstellungen nur schwer einzuordnen.

Maria als weibliches „Gegengewicht“

Das Neue Testament legt eine immerwährende Jungfräulichkeit Marias nicht unbedingt nahe, schreibt die evangelische Theologin Silke Petersen - in Mk 6,1-6 werden mindestens sechs Brüder und Schwestern Jesu erwähnt, auch in anderen Stellen der Bibel kommen sie vor. Im Interesse des Dogmas von der „immerwährenden Jungfräulichkeit“ wurde später argumentiert, es handle sich bei ihnen um Halbgeschwister. Das Neue Testament sagt darüber nichts.

„Marien-Dogmen sind letztlich immer Dogmen über Christus. Sie sind außerdem nur verständlich in der Tradition der griechischen Kultur, die viele Gläubige heute einfach nicht mehr zu ihren Grundlagen zählen“, so Theologin Fischer. Die über die Jahrhunderte immer stärker werdende Marienverehrung im Volksglauben sieht Fischer als eine Art Gegengewicht zur rein männlichen Trinität aus Vater, Sohn und heiligem Geist.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

Link: