Tück zu Papst-Schreiben: „Absage an Elitenprogramm“

Der Wiener Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück sieht im neuen Papst-Schreiben „Gaudete et exsultate“ ein „starkes Stück päpstlicher Seelsorge“, insofern es dem Leser auf Augenhöhe begegnet.

Es wolle demnach aufzeigen, wie man als Mensch des 21. Jahrhunderts Heiligkeit tatsächlich leben könne, so Tück aus Anlass des am Montag veröffentlichten Schreibens „über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“ gegenüber Kathpress.

Das Dokument setze auf eine „Demokratisierung des Heiligkeitsbegriffs“, da es Heiligkeit nicht einem bestimmten Stand von Klerikern oder Asketen und Frömmigkeitsvirtuosen vorbehalte, sondern auf alle Menschen in der Kirche ausweite. Jeder Christ sei berufen, dem Evangelium in seinem Lebensumfeld ein ansprechendes Gesicht zu geben. Damit sei das Schreiben zugleich eine „klare Absage an ein Elitenprogramm der Heiligkeit“, so Tück.

Aussagekräftige Titelwahl

Mit der Titelwahl - „Über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“ - schließe Franziskus nicht nur an entsprechende Aussagen des Konzilsdokuments „Lumen Gentium“ (Kap. 5), sondern auch an das berühmte Schreiben „Gaudium et spes“ an, welches mit „Über die Kirche in der Welt von heute“ überschrieben ist.

Damit verbinde Franziskus die Absage an elitäre Spiritualitätsformen mit einer wachen Aufmerksamkeit für die gesellschaftlichen Nöte der Zeit. „Es geht Franziskus nicht um eine Mystik der geschlossenen Augen, die Heiligkeit als eine Form der Weltflucht versteht, sondern es geht ihm um eine Mystik der offenen Augen, die Heiligkeit als praktische Lebensform ganz in dieser Welt auslotet“.

Rätseln über zweites Kapitel

Das zweite Kapitel des Schreibens, welches „Gnostizismus“ und „Pelagianismus“ als „Häresien (...) alarmierender Aktualität“ beschreibt, stehe ein wenig unvermittelt im Gesamtkontext des Schreibens. „Man fragt sich, wen Franziskus mit diesen Begriffen und Zuschreibungen eigentlich genau meint“, so Tück weiter; außerdem stehe die Idee einer lehramtlichen Abwehr von Häresien in einer gewissen Spannung zur Vision einer einladenden Kirche der offenen Tore, für die Franziskus sonst eintrete.

Franziskus scheine mit diesen Formulierungen weniger bestimmte Formen der Gegenwartstheologie im Blick zu haben, als vielmehr Grundhaltungen, die - wie im Falle des Gnostizismus - „hochgradig spekulativ“ und „tendenziell weltlos und ungeschichtlich“ argumentieren oder - wie im Falle des Neo-Pelagianismus - eine „gnadenlose Selbstperfektionierung“ propagieren. Dazu zähle auch ein Festhalten an einem unbeweglichen „traditionalistischen Wahrheitsbegriff“.

Erwähnung von Teufel „gewöhnungsbedürftig“

„Für einen westeuropäischen Christen anstößig“, jedoch zugleich ebenfalls ganz in der Tradition der bisherigen Lehrverkündigung von Franziskus stehen laut Tück indes jene Wendungen gegen Ende des Schreibens, in denen der Papst vom Teufel in personaler Form spricht.

Damit irritiere der Papst jene modernen theologischen Ansätze, die den Teufel als „mythologische Figur“ interpretieren - für ein Christentum, das „durch das Feuer der Aufklärung gegangen“ ist, sei das „zweifellos gewöhnungs- und erläuterungsbedürftig“ - angesichts der „Dramatik des Kampfes, in der Franziskus den Menschen Tat für Tag gestellt sieht“, warne die Formulierung jedoch zugleich mit eindringlicher Kraft vor jeder Form der Unbekümmertheit gegenüber der abgründigen Realität des Bösen in der Welt, so Tück.

religion.ORF.at/KAP

Mehr dazu: