Konstanz: Drei Päpste, zwei Ketzer und ein Konzil

Vor 600 Jahren hat das Konzil von Konstanz (1414-1418) geendet. Der spätmittelalterliche Kirchengipfel musste sich mit nie da gewesenen Problemen befassen, sich mit zwei prominenten Ketzern auseinandersetzen - und aus drei Päpsten einen machen.

Konstanz habe großen Einfluss auf die Kirchenpolitik der folgenden Jahrhunderte gehabt, bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil, sagte der Kirchenhistoriker Thomas Prügl von der Universität Wien im Gespräch mit religion.ORF.at - und das, obwohl das Konzil einige seiner eigenen Anliegen gar nicht umsetzen konnte.

Megaevent des Mittelalters

Um die 30 Kardinäle, 33 Erzbischöfe, 300 Theologen und Tausende weitere Geistliche waren in der kleinen Handelsstadt in Süddeutschland zusammengekommen, um drängende Fragen zu klären, nach mittelalterlichen Maßstäben ein Megaevent - „etwa so, als würde eine Stadt wie Salzburg heute UNO-Sitz“, so Prügl.

Chronik des Ulrich von Richental: Konzilssitzung im Konstanzer Münster, etwa 1460 bis 1465

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Konzilssitzung im Konstanzer Münster, aus der Chronik des Ulrich von Richental, etwa 1460 bis 1465

Man hatte sich viel vorgenommen, nicht mehr und nicht weniger als eine grundlegende Reform der Kirche. Prügl: „Man kann nicht sagen, dass das Konzil mit seiner Agenda fertig geworden ist.“ Der erste Grund für die Versammlung war, „dass man nach einem fast 40 Jahre währenden Schisma die westliche Kirche wiedervereinigt, das heißt, unter ein gemeinsames päpstliches Haupt bekommt“.

Das große abendländische Schisma

Denn im Jahr 1414 konkurrierten nicht weniger als drei Päpste um die Führung der Kirche in Europa. Die Vorgeschichte: Seit 1309 residierte der Papst im französischen Avignon, eine Auswirkung des wachsenden Einflusses des französischen Königtums. 1378 kam es zum großen abendländischen Schisma, zur Kirchenspaltung, als der aktuelle Papst nach Rom zurückkehrte, dort allerdings rasch verstarb und ein neuer Papst gewählt wurde. Diese Wahl war allerdings umstritten.

Thomas Prügl, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Wien

Privat

Kirchenhistoriker Thomas Prügl

Die Franzosen wählten ihren eigenen Papst, der umgehend wieder Avignon zu seinem Sitz erklärte. Beide Päpste hatten Nachfolger, und so schleppte sich der unhaltbare Zustand über fast 40 Jahre hinweg. Das eigens einberufene Konzil von Pisa (1409) setzte beide Päpste ab und wählte einen neuen. Was allerdings das Problem nicht löste, sondern vergrößerte: Nun gab es drei Päpste, denn keines der beiden abgewählten Kirchenoberhäupter akzeptierte die Absetzung.

Spaltung durch die ganze Westkirche

Die Spaltung ging durch die gesamte westliche Kirche, teilweise durch einzelne Bistümer und Städte, und führte zu Verwirrung und Chaos - jeder der drei Päpste nahm schließlich Ernennungen vor, verlangte Kircheneinnahmen und so weiter - ein unhaltbarer Zustand. Der dritte, zuletzt gewählte Papst - Johannes XXIII. - berief das Konzil von Konstanz ein, in der Hoffnung, er werde sich behaupten können. Schirmherr war der römisch-deutsche König Sigismund.

Der Plan Johannes’ XXIII. ging nicht auf: Er wurde abgesetzt und floh, um sich doch noch irgendwie an der Macht zu halten. Ohne Papst war das Konzil nicht beschlussfähig. Die Versammlung verabschiedete daher am 6. April 1415 das Dekret „Haec sancta“, das verfügte, das Konzil habe seine Macht direkt von Jesus Christus, daher sei jeder - auch der Papst! - verpflichtet, seinen Beschlüssen zu gehorchen. „Das Konzil steht über dem Papst, ein Stachel im Fleisch der Päpste“, so Kirchenhistoriker Prügl.

Papst Johannes XXIII. verunglückt am Arlberg auf seinem Weg zum Konstanzer Konzil (Chronik des Ulrich von Richental)

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Papst Johannes XXIII. verunglückt auf dem Arlberg auf seinem Weg zum Konstanzer Konzil: Ein wohl später erfundenes „Vorzeichen“

Abgedankt und im Exil

Der beiden anderen Päpste entledigte man sich auf weniger spektakuläre Weise: Gregor XII. ließ sich zur Abdankung überreden, Benedikt XIII. endete, von seinen Anhängern verlassen, in einer Art Exil auf einer Felsenhalbinsel in Spanien. „Man hat die drei rivalisierenden Päpste absetzen können. Es ist auch geglückt, einen neuen Papst zu wählen, an der Wahl haben alle beteiligten Nationen mitgewirkt - ein Garant für nachhaltigen Erfolg.“ Mit Oddo Colonna, der am 11. November 1417 als Martin V. gewählt wurde, hatte die Kirche wieder einen einheitlich anerkannten Papst.

In der Zwischenzeit hatte die Causa Jan Hus das Geschehen dominiert: Der Prediger und Reformer Hus hatte in Böhmen „ein sehr radikales Reformchristentum eingeführt und war bereits in Böhmen der Häresie angeklagt“. Die Prager entschieden, die Angelegenheit an Rom abzugeben, „und die Römer nahmen den Prozess nach Konstanz mit zum Konzil“, so Prügl.

Erst freies Geleit, dann Scheiterhaufen

Hus war vom König höchstpersönlich freies Geleit zugesagt worden - aber nur drei Wochen nach seiner Ankunft in Konstanz saß er schon im Kerker. „Das ist der Schatten, der auf Konstanz fällt: Das war nicht so geplant, man hat sogar goldene Brücken für Hus gebaut.“ Aber Hus blieb hartnäckig und widerrief nicht. Er wurde als Häretiker „überführt“ und am 6. Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Auch sein Mitstreiter und Freund Hieronymus von Prag, der nach Konstanz geeilt war, um Hus zu verteidigen, endete auf dem Scheiterhaufen. Die Hinrichtung von Hus sei auf lange Sicht eine schlechte Entscheidung gewesen, „weil sich dadurch in Böhmen eine erste Konfessionskirche als Alternative zur ‚römischen‘ Kirche gebildet hat“, so Prügl. Die Hussitenkriege waren die Folge.

Jan Hus auf dem Scheiterhaufen (Spiezer Chronik, 1485, Ausschnitt)

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Der „Ketzer“ Jan Hus auf dem Scheiterhaufen

Danach und nach der erfolgreichen Papst-Wahl fand die Mehrheit der Konzilsteilnehmer, man müsse nun durch umfassende Reformen Vorsorge treffen, dass sich das Schisma nicht wiederholen könne: Diese „reformatio generalis“ sei jedoch letztlich ausgeblieben, so Experte Prügl. Der Grund war eine gewisse Konzilsmüdigkeit und die Befürchtung, angesichts komplizierter Verhandlungen „noch weitere Jahre dazusitzen“ - man war also ungeduldig, das Konzil hatte mit vier Jahren schon ungewöhnlich lang gedauert.

Konzil als Korrektiv und Heilmittel

Man vertagte sich, aber immerhin mit einem weiteren Gesetz: Das 1417 erlassene Dekret „Frequens“ sollte die Kirche verpflichten, regelmäßig Konzile abzuhalten - alle zehn Jahre sollte eines stattfinden. Diese „Frucht von Konstanz“ sei als Heilmittel für die Reform angesehen worden, als Korrektiv für das Papsttum. „Das ist zweimal gelungen“, so Prügl. Danach, nach dem Konzil von Basel (1431–1449), das nach 17 Jahren im Chaos und mit einem neuen Schisma endete, war „Frequens“ gestorben. Basel konnte das, was in Konstanz begonnen worden war, nicht zu Ende führen.

Buchhinweis

Jan Keupp, Jörg Schwarz: Konstanz 1414-1418. Eine Stadt und ihr Konzil. Theiss, 192 Seiten, 20,60 Euro.

Die Päpste hatten nicht als Partner, sondern als Gegner agiert und die Konzile nicht unterstützt. „Vielleicht die fatalste Entwicklung des gesamten 15. Jahrhunderts“, wie der Kirchenhistoriker meint. „Die Päpste haben sehr schnell gesehen, dass die Konzilien, die mit so viel Macht ausgestattet waren, sodass sie Päpste absetzen und neu wählen konnten, zu Rivalen für sie geworden sind.“

Einzelmaßnahmen statt Reform

Danach habe sich im 15. Jahrhundert der Eindruck verstärkt, „die Kirche habe ihre Reform verschleppt und die Reformation dafür bekommen“. Ganz gerecht sei das nicht, es habe sehr wohl ein „Bündel von Einzelmaßnahmen - eine Reform der Liturgie, eine Einschärfung des Zölibats, eine Neuregelung kirchlicher Finanzen - gegeben, die aber nicht den großen Wurf brachten“.

Dennoch: „Konstanz hat über Jahrhunderte hinweg das Bewusstsein wachgehalten, dass es das Konzil als Kontrollorgan gegen das Papsttum gibt. Wenn wir heute von Konzil sprechen, sind das Erwartungen, die mit Konstanz verbunden sind“, erklärte Prügl. Die Päpste ziehen heute die Bischöfe regelmäßig zu Konsultationen heran - „und das hat es vorher nicht gegeben“. Auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) habe die Kirche nach dem Vorbild von Konstanz „up to date gebracht - nichts anderes ist ‚reformatio‘“.

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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