Theologe: „Kirche zu keiner Zeit ‚Nazi-Kirche‘“

In welchem Verhältnis stand die römisch-katholische Kirche in Österreich zum Nationalsozialismus? Diese Frage wird rund um das Gedenkjahr 1938 wieder intensiv diskutiert.

Die Kirche sei zu keiner Zeit „Nazi-Kirche“ gewesen, vielmehr habe man versucht, verbliebene Freiräume bestmöglich zu nutzen, sagte der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber bei einer Veranstaltung am Donnerstagabend in Wien: „Die vorherrschende Reaktion war weder Kollaboration noch Widerstand sondern ein Durchtauchen und engagiertes kreatives Nutzen der verbliebenen Freiräume“, so Klieber. Es wäre daher auch vermessen, der Kirche „Tatsünden“ zu unterstellen - vorwerfen könne man ihr höchstens „Unterlassungssünden“.

Zeitzeugen über „dunkle Zeiten“

Klieber diskutierte am Donnerstagabend im Wiener Curhaus unter dem Motto „Dunkle Zeiten in Staat und Kirche: Zeitzeugen erzählen“ mit den Zeitzeugen Otto Urban vom Dokumentationsarchiv des Katholischen Jugendwerkes Österreich und dem ehemaligen Wissenschaftsminister Hans Tuppy. Veranstalter waren die Kirchlich-Pädagogische Hochschule Wien/Krems und das Katholische Bildungswerk der Erzdiözese Wien.

Man könne bedauern, „dass die Grenzen nicht deutlicher und enger gezogen wurden“, so der Kirchenhistoriker weiter. Die Loyalität der Kirche habe jedoch nicht dem „NS-Verbrecherstaat“ gegolten, sondern der „Illusion einer weiterhin bestehenden legitimen Obrigkeit“.

Es sei nicht gelungen, den NS-Staat als „Schurkenstaat“ bzw. „Räuberstaat“ zu brandmarken. Die Konsequenzen davon wären auch unabsehbar gewesen, in jedem Fall aber für viele tödlich. Spätestens ab September 1938 jedoch hätten Kirchenführer klar gemacht, „dass ihre Haltung hier eine Loyalität mit Grenzen war“, so etwa in Fragen des Lebensschutzes für Menschen mit Behinderungen.

Rolle der Kirche bleibt umstritten

Die Interpretation der Rolle der Kirche während des Nationalsozialismus bleibe daher umstritten und schwanke zwischen den zwei Extremen: „Auf der einen Seite wird der Kirche aktiver Widerstand zugesprochen und auf die tatsächlich zahlreichen Opfer verwiesen; auf der anderen Seite steht der Vorwurf der System-Unterstützung und Kollaboration“, so der Kirchenhistoriker. Insgesamt erachtet Klieber es als problematisch, „dass man sich durch das Starren auf die Jahre von 1933 bis 1945 bisher nur wenig der Zeit nach 1945 gewidmet hat“.

Das katholische Milieu sei insgesamt schon seit Monarchiezeiten ein komplexes und inhomogenes Gebilde gewesen. Organisatorisch habe es aus katholischen Bauernverbänden, Teilen des Mittelstandes, dem katholischen Klerus, dem kirchennahen Cartellverband und einer breiten Palette an Verbänden bis hin zu starken, agilen Frauenverbänden bestanden. „Ihr kleinster gemeinsamer Nenner waren die kulturpolitischen Positionen, wie Ehe- oder Schulfragen“, so die Einschätzung des Theologen.

Für die Zeit des Ständestaates zwischen 1933 und 1938 sprach der Kirchenhistoriker katholischen Kreisen ein ideologisches überhöhtes Sendungsbewusstsein zu, die mehrheitlich wohl demokratisch orientierte Basis politisch marginalisiert worden. Die Privilegierung der Kirche, auch die staatliche Durchsetzung katholischer Prinzipien wie etwa Ehe- und Scheidungsverbot, seien mit der Entfremdung großer Teile der Bevölkerung teuer bezahlt worden.

Tuppy und Urban für Dialog

Dem früheren Wissenschaftsminister Hans Tuppy (1987-89) zufolge lehre der Blick zurück auf die Zeit des Nationalsozialismus, „wie wichtig es ist, wenn in einem Land Personen mit verschiedenen Positionen miteinander sprechen“.

Das sei in Österreich bereits vor 1938 nicht mehr der Fall gewesen. „Demokratie ist ein guter Weg, es spricht Vieles für die Demokratie. Das Wesentliche ist, dass die Menschen lernen, miteinander zu reden und zuzuhören, auch wenn jemand einer anderen Meinung ist.“

Nach Einschätzung von Urban hat Kardinal Theodor Innitzer vor rund 80 Jahren Ernst gemacht mit dem Dialog: „Er wollte das, was heute Papst Franziskus immer fordert und suchte das Gespräch mit Hitler.“ Der Kardinal habe damals diesen Dialog versucht, so Urban.

NS-Floskeln religiös umgedeutet

Als Schlüsselereignis in diesem Zusammenhang erachtet Klieber die Rosenkranzfeier am 7. Oktober 1938 im Wiener Stephansdom. Spätestens mit diesem Zeitpunkt sei Innitzer klar geworden, dass „mit den Nazis nicht gut Kirschen essen“ war und er habe die Konsequenzen daraus gezogen. Die Gestalter der Feier und Innitzer selbst hätten dabei NS-Floskeln religiös umgedeutet und so mithilfe „rein religiöser Sprache“ unüberhörbar Regimekritik betrieben.

Der „weltanschauliche Konkurrenzkampf“, den man damit eingegangen sei, habe jedoch einen hohen Preis gehabt, nämlich die Verwüstung des bischöflichen Palais, die Verhaftung von Jugendführern oder eine große antiklerikale Kundgebung am Heldenplatz. Damit sei klar gewesen, „wer offensive Regime-Kritik übte, riskierte sein Leben“.

religion.ORF.at/KAP

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