Erzdiözese Wien beschäftigt neuer Missbrauchsvorwurf

Ein alter Fall beschäftigt erneut die Erzdiözese Wien: 1995 hatte eine damals 18-jährige Frau nach einer mehrmonatigen Affäre mit einem jungen Priester Zwillinge zur Welt gebracht, die in der Folge zur Adoption freigegeben wurden.

Nachdem sich die heute 40-jährige Frau vor wenigen Tagen mit neuen Vorwürfen an die Klasnic-Kommission gewendet hat, wird der gesamte Sachverhalt erneut von der kirchlichen Ombudsstelle geprüft. Das teilte die Erzdiözese am Freitag in einer Aussendung mit.

Zur Vorgeschichte erklärte die Erzdiözese, dass man den betroffenen Priester damals nach Erkundung der Umstände in seinen Funktionen belassen habe. Das sei unter der Bedingung geschehen, dass der Priester die Beziehung nicht wieder aufleben lasse und dass er seine Verantwortung gegenüber Mutter und Kind wahrnehme.

Freiwilligkeit der Beziehung angenommen

„Die Entscheidung fiel auch deshalb milde aus, weil den Umständen nach - die junge Frau hatte sich wiederholt heimlich aus eigener Initiative mit dem Priester getroffen - auf eine Freiwilligkeit der Beziehung geschlossen wurde, und damit auch keine Strafbarkeit nach staatlichem Recht gegeben war“, so die Erzdiözese, die weiter festhielt: „Auch die über die Vorgänge und handelnden Personen voll informierten staatlichen Behörden sahen damals keinen Anlass für eine Anzeige.“ In weiterer Folge habe der Priester die Auflagen erfüllt, sich offiziell zur Vaterschaft bekannt, der Mutter Unterhalt für die beiden Kinder geleistet und Besuchsrechte vereinbart.

Vorwurf: Adoption nicht freiwillig

Neu aufgerollt werde der Fall, weil die damals minderjährige Frau jetzt gegenüber der Klasnic-Kommission angegeben habe, dass der Priester seinerzeit ihr gegenüber übergriffig gewesen sein soll. Außerdem sei die Freigabe ihrer Kinder zur Adoption 1996 nicht freiwillig geschehen.

Die Erzdiözese nehme die Sache „sehr ernst“, hielt der Pressesprecher der Erzdiözese Wien, Michael Prüller, fest und erklärte: „Die Ombudsstelle der Erzdiözese untersucht diese neu eingebrachten Vorwürfe. Dazu kommt, dass man heute weiß, dass bei Beziehungen mit Minderjährigen der Begriff der Freiwilligkeit sehr problematisch ist. Wir müssen uns also auch fragen, ob man nicht diese Beziehung als solche schon als missbräuchlich ansehen muss.“

Konsequenzen unklar

Für den Priester spreche, so Prüller, dass es seitdem keine Vorwürfe in Zusammenhang mit Minderjährigen mehr gegeben habe. Ob es zu Konsequenzen für den Priester komme, der heute in nichtleitender Stelle in einer Pfarre der Erzdiözese Wien eingesetzt sei, werde vom Ergebnis der Untersuchungen abhängen. Am dringlichsten müsse nun geschaut werden, wie man der Frau helfen könne, die von klein auf ein sehr schwieriges Leben meistern musste und der es - laut ihrer Eingabe in der Klasnic-Kommission - sehr schlecht gehe.

Den Vorwurf der Frau, sie sei damals von der Kirche zur Freigabe der Adoption ihrer Kinder gedrängt worden, wies Prüller für die Erzdiözese zurück: „Wir waren in diese Vorgänge nicht mehr eingebunden.“ Vielmehr habe die Frau 1996 auf Anraten des Jugendamtes und unter der Ägide der zuständigen Bezirkshauptmannschaft die Adoption zugelassen. So hätten 2008 die Behörden schon einmal festgestellt, dass es damals keinen Zwang gegeben habe.

Schönborn will helfen

Kardinal Christoph Schönborn, der zum damaligen Zeitpunkt knapp zwei Monate Erzbischof war, hielt in der Presseaussendung erneut fest, dass die Kirche in der Vergangenheit Fehler gemacht habe: „Heute würden wir wohl rigoroser entscheiden.“ Die Entscheidung von damals habe zwar keinen weiteren Schaden verursacht, doch habe die Erzdiözese zu wenig den der Frau durch die Beziehung zugefügten Schaden und ihr weiteres Schicksal im Blick gehabt.

Schönborn: „Ich sehe hier eine moralische Verpflichtung und werde alles daransetzen, dass wir rasch und wirksam helfen.“ Die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien habe zu diesem Zweck bereits Kontakt mit der betroffenen Frau aufgenommen.

Bereits seit 1996 gibt es in der Erzdiözese Wien eine Ombudstelle für Missbrauchsopfer. Nach dem Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsvorwürfe im Jahr 2010 hat die katholische Kirche in Österreich die Präventionsmaßnahmen weiter verschärft und über die Klasnic-Kommission in Zusammenarbeit mit den kirchlichen Ombudsstellen ein vereinfachtes Verfahren für die Zuerkennung von Therapie und Finanzhilfen für Missbrauchsopfer eingeführt.

religion.ORF.at/KAP

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