Jesuit Samir: „Mischung Politik-Religion ist ein Unrecht“

„Die Mischung von Politik und Religion ist ein Irrtum und ein Unrecht.“ Der ägyptische Jesuit P. Samir Khalil Samir, ein renommierter Islamwissenschafter, beklagt diesen Zustand, der in muslimisch dominierten Nahost-Staaten herrscht.

Zugleich geht er im Gespräch mit Journalisten in Wien mit den USA scharf ins Gericht, die ein Land wie Saudi-Arabien als engen Verbündeten hofieren. Diese Tendenz zur Vermischung bestehe vor allem im Islam, aber auch im Judentum, so P. Samir. Die Christen respektierten heute, nach einer leidvollen Geschichte, die Regel „Religion ist Privatsache zwischen mir und Gott“.

Der ägyptische Jesuit P. Samir Khalil Samir

Rupprecht@kathbild.at

Jesuit Samir: „Mischung Politik-Religion ist ein Unrecht

Der Islam sei mit Krieg und Eroberungen verbreitet worden. Heute spiele sich ein inner-islamischer Krieg ab. „Die Islamisten wollen alle anderen islamisieren.“ Ein Prozent kriegerische Gläubige reichten „für Unfrieden auf der Welt“, so P. Samir.

Unterschiedliche Rolle des Islam in arabischen Staaten

Der Experte verweist auf die unterschiedliche Rolle des Islam in den arabischen Staaten. Im Libanon haben Christentum (fast 40 Prozent, großteils Maroniten) und Islam einen Rechtsstatus, der sich in der Machtteilung spiegelt.

„Die dortigen Kriege waren keine echten Religionskriege.“ In Syrien, mit einer sunnitischen Mehrheit von 70 Prozent, zehn Prozent Christen und einer alawitischen Minderheit (mit dem Assad-Clan) „wollten die Sunniten mit Saudi-Hilfe an die Macht“. Syrien bilde unter den arabischen Staaten eine große Ausnahme, da es dort „keine Staatsreligion gibt“.

„Weltmächte haben im Syrien-Krieg Hand im Spiel“

In dem seit sechs Jahren andauernden Syrien-Krieg haben viele ausländische Mächte die Hand im Spiel, so P. Samir.

Der Iran und auch Russland stehen auf Seite der Alawiten und damit des Assad-Regimes, die USA und Frankreich auf Seiten der Sunniten und damit auf der Saudi-Seite. „Syrien ist eine große Nation, doch heute ist das Land kaputt.“

Lage im Irak

Wieder anders sei die Lage im Irak, wo sich die muslimische Mehrheit etwa 50:50 zwischen Sunniten und Schiiten aufteile. „Der Terrorismus wurde im Irak geboren, als Islamischer Staat für den Irak und Syrien“, in den Reihen der Sunniten.

In diesem inner-islamischen Krieg erhofften die USA mehr Einfluss der Schiiten. Die Christen waren der Verfolgung ausgesetzt, viele emigrierten. P. Samir erinnert daran, dass seit Beruhigung der Lage die chaldäisch-katholische Kirchenführung zur Rückkehr aufruft und der Wiederaufbau christlicher Gebiete im Gang sei.

Schwierige Lage in Ägypten

In Ägypten leben 90 Prozent Muslime und zehn Prozent Christen, d.h. Kopten. Die Zahl der Katholiken beträgt rund 300.000. Kopten hatten früher gute politische Positionen inne, betont der Jesuit. Doch seit den 70er-Jahren flossen Saudi-Gelder in islamische Bewegungen, es kam zur Radikalisierung von Gruppen, vor allem in Oberägypten.

Attentate wurden auf Kopten verübt. P. Samir bricht eine Lanze für die Militärregierung unter General Abdel Fattah al-Sisi: „Das Militär war immer neutral, es strebt eine Normalisierung an.“ Der vom Militär gestürzte islamistische Machthaber Mohammed Mursi sei mit US-Hilfe an die Macht gelangt.

Zur Lage an der Kairoer Al-Azhar-Universität berichtet P. Samir, „der Präsident ist ein offener Muslim, doch die Mehrheit der Lehrenden sind radikale Sunniten“. Radikale Gruppierungen würden aus dem Ausland finanziert. Andererseits lasse Präsident Sisi den Bau von Kirchen zu.

Soziale Problematik in Ägypten

P. Samir verweist auf die soziale Problematik in seiner Heimat: Nur zehn Prozent des Staatsgebiets seien bewohnt, 24 Millionen Menschen leben allein in Kairo. Es herrsche weithin Armut, 40 Prozent der Ägypter seien Analphabeten. „Ägypten hat zu viele Menschen und zu wenig Bildung.“ Ägypter mit höherer Bildung wanderten oft aus.

Den Einfluss ausländischer Mächte in Nahost sieht der Jesuit skeptisch. „Jeder verfolgt seine Interessen. Sie wollen uns nicht wirklich helfen.“ Er fügt hinzu: „Wenn Amerika etwas tut, ist es nicht umsonst.“ Den USA wirft er vor, „unklug und ohne Vision“ zu handeln. Für US-Präsident Donald Trump sei Saudi-Arabien „der beste Freund“, ein Land mit Erdöl, das ausländische „Sklaven“ für sich arbeiten lasse. Die US-Politik sei ungerecht: „Israel darf die Atombombe haben, der Iran nicht.“

„Arabisch ist eine Sprache, keine Religion“

„Arabisch ist eine Sprache, keine Religion.“ Der katholische Theologe, Islamologe und Orientalist erzählt, wie er durch das Studium alter Werke dazu kam, sich den christlich-arabischen Studien zuzuwenden.

Der Verfasser von über 40 Büchern berät den Vatikan im christlich-islamischen Dialog, er lehrt an Universitäten in Rom, Paris und Beirut. An der dortigen Universität Saint-Joseph gründete er das Forschungs- und Dokumentationszentrum CEDRAC. Im libanesischen „Maqasid“-Institut unterrichtet er Imame über das Christentum.

P. Samir hielt diese Woche Vorträge in Wien und Graz. Auf Einladung der Ökumenischen Stiftung „Pro Oriente“ referierte er über die Auswirkungen des sogenannten Arabischen Frühlings auf die Christen im Orient und auf das Verhältnis Christentum-Islam generell.

Er analysierte die politischen Umstürze, die zur Ausbreitung des Terrorismus führten. Der Jesuit gilt als profunder Kenner der christlich-islamischen Verwobenheit in Nahost (arabisch: „Mashreq“). Christliche Schulen in Syrien und Mesopotamien tradierten das Erbe der griechisch-römischen Tradition an die islamisch-arabische Kultur.

religion.ORF.at/APA