Kritik an Medien nach „Freitod“ von 104-Jährigem

Kritik am Umgang der Medien mit dem assistierten Suizid eines 104-jährigen Australiers in der Schweiz hat die Geschäftsführerin des Wiener Bioethik-Instituts IMABE, Susanne Kummer, in einer Kathpress vorliegenden Stellungnahme geübt.

Der 104-jährige australische Wissenschaftler David Goodall nahm sich am Donnerstag in Basel mit Hilfe des Schweizer Vereins „lifecircle“ und der Partnerorganisation „Exit International“ das Leben. In Australien ist Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen verboten, Goodall flog deshalb eigens in die Schweiz. Der Botaniker, der bis vor zwei Jahre noch an einer Universität arbeitete, hatte einen gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich. Er klagte über Altersschwäche.

„Ikone der Sterbehilfe“

Medial sei Goodall als neue „Ikone der Sterbehilfe“ bezeichnet worden, problematisiert Kummer. Der internationale Medienrummel sei enorm gewesen, nur sehr wenige Medien wiesen in Zusammenhang mit Goodalls Suizid auf Hilfsangebote für Menschen mit Suizidgedanken hin, kritisiert die Ethikerin und frühere Journalistin: „Der Fall Goodall sollte Medienschaffende dazu bringen, ihre Berichterstattung im Zusammenhang mit Suiziden kritisch zu reflektieren.“

Der australische Wissenschaftler David Goodall, der sein Leben mithilfe von Sterbehilfe beendete

APA/AFP/Sebastien Bozon

Der australische Wissenschaftler David Goodall setzte seinem Leben mithilfe von Sterbehilfe ein Ende

Medien hätten eine hohe Verantwortung in Sachen Suizidprävention: Während Suizide sonst generell als tragische Ereignisse eingestuft werden wie im Fall von DJ Avicii oder des Schauspielers Robin Williams, werde die Beihilfe zum Selbstmord im Fall Goodall nun weltweit als eine mutige und in gewisser Weise lösungsorientierte Handlung präsentiert, bemerkt Kummer kritisch. Laut der Ethikerin sei das „sehr problematisch“, da es bei gefährdeten Menschen einen Nachahmungseffekt auslösen kann. Umgekehrt könne eine adäquate Medienberichterstattung aber auch einen suizidprotektiven Effekt haben.

„Menschen immer mehr unter Druck“

Kummer: „Medien müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie - bewusst oder unbewusst - ein Klima schaffen, in dem sich ältere, kranke und vulnerable Menschen immer mehr unter Druck gesetzt fühlen. Der Gedanke, dass sie eine Last sind und durch ein sozialverträgliches Frühsterben ihren Mitmenschen viel ersparen könnten, auch finanziell, schwingt subtil mit.“

Hinweis

Suizidgefährdete und Angehörige finden seit Kurzem ein neues Hilfsangebot im Internet. Das Gesundheitsministerium hat das Österreichische Suizidpräventionsportal online gestellt, unter www.suizid-praevention.gv.at.

Die Ethikerin erinnert daran, dass in den Niederlanden bereits über die „Letzte-Wille-Pille“ für ältere, aber noch gesunde Menschen debattiert wird. „Die Hochstilisierung der Selbstbestimmung hat inzwischen zu einer Abwertung des Lebens geführt: Wenn Optionen wie der ‚Seniorenfreitod‘ positiv besetzt werden ist das ein besorgniserregendes Signal“, so Kummer.

Suizidgefährdung sei bei älteren Menschen ein ernstzunehmendes Problem. Erst kürzlich habe der Schweizer Alterspsychiater Raimund Klesse darauf hingewiesen und gesagt, dass jeder Mensch, der sich das Leben nehmen will, in einer seelischen Notlage sei. „Suizidwillige brauchen Menschen, die ihnen im Leben beistehen - nicht solche, die ihnen den Giftbecher reichen“, zitiert Kummer den Schweizer Psychiater.

WHO-Richtlinien für Medien

Kummer verweist im Hinblick auf die Medien auch auf den Suizidpräventionsbericht der WHO. Medien sollten über Suizide zurückhaltend berichten und darauf verzichten, die Umstände einer Selbsttötung detailliert zu beschreiben, so eine der WHO-Forderungen. Bereits im Jahr 2008 habe die WHO eigene Richtlinien zur Darstellung von Suizid in Medien erlassen.

„Leider wurden diese im Fall Goodall von vielen ignoriert“, kritisiert Kummer. Medienschaffende würden darin aufgefordert, sowohl eine „Sensationssprache“ als auch „normalisierende Darstellung von Selbstmord als Lösung für Probleme“ zu vermeiden, ebenso eine „prominente Platzierung von Geschichten über Selbstmord“ sowie eine „explizite Beschreibung der verwendeten Methode“. Besondere Zurückhaltung sollte bei der Berichterstattung über Promi-Selbstmorde geübt werden.

IMABE wurde 1988 als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung in Wien gegründet, zeitgleich mit anderen wichtigen medizinethischen Instituten im deutschen Sprachraum. Von seiner Gründungsidee her arbeitet das Institut interdisziplinär, berufsübergreifend und fördert den Dialog von Medizin und Ethik in Forschung und Praxis auf Grundlage des christlich-humanistischen Menschenbildes. Seit 1990 ist IMABE ein Institut der Österreichischen Bischofskonferenz.

„Kein Recht auf Tötung“

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat sich am Donnerstag kritisch zum Fall Goodall geäußert. „Was organisierte Sterbehelfer als schöne, neue Welt verkaufen, ist ein fatales Signal an die Gesellschaft“, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Gewerbliche Hilfe zur Tötung habe nichts mit Solidarität zu tun. „Vielmehr ist das ein Anschlag auf die Hilfeleistungsethik“, so Brysch. „Es gibt ein Recht auf Sterben, aber kein Recht auf Tötung.“

religion.ORF.at/KAP/KNA

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