Koran und Bibel: Was sie trennt und eint

Die Romanautorin und Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff und der Journalist und Autor Najem Wali haben sich in „Abraham trifft Ibrahim“ sozusagen vierhändig auf „Streifzüge durch Bibel und Koran“ gemacht.

Sie vergleichen in je zwei Texten neun Geschichten, die in beiden heiligen Büchern vorkommen. Lewitscharoff („Das Pfingstwunder“, „Blumenberg“) nimmt sich dabei der Bibel und Najem Wali („Saras Stunde“) des Korans an. Ihnen geht es dabei vor allem um die vielen interessanten Parallelen, aber auch Unterschiede in den Texten sowie deren nachfolgenden Auslegungen.

Viele Geschichten, derselbe Kern

Schon vor Langem sei ihm aufgefallen, „dass die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam über fast die gleichen Legenden verfügen, von Ibrahim/Abraham, Lut/Lot, Ayyub/Hiob, Sulaiman/Salomo und anderen. Natürlich gibt es Nuancen und Unterschiede, aber sie haben unverkennbar denselben Kern“, so Wali.

Lewitscharoff schreibt, sie und ihr Mitautor hätten oft über ihre Texte diskutiert, geschrieben worden sei jedoch „auf getrennten Wegen“. Neben den alten Geschichten werden auch moderne Themen berührt. Lewitscharoff und Wali nähern sich ihrem Thema auf sehr unterschiedliche Weise, und auch stilistisch gehen sie unverkennbar eigene Wege.

Buchcover Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali: Abraham und Ibrahim. Streifzüge durch Bibel und Koran

Suhrkamp Verlag

Buchhinweis

Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali: Abraham trifft Ibrahim. Streifzüge durch Bibel und Koran. Suhrkamp, 309 Seiten, 24,70 Euro.

Anekdoten und Zitate

Jedenfalls eignet beiden ein sehr lebhafter, persönlicher Stil (Lewitscharoff etwa über die Moses-Geschichte: „starker Tobak, das alles“), sie spicken die Rezeption der Koran- respektive Bibelgeschichten reichlich mit Anekdoten und Zitaten aus der Philosophiegeschichte oder heutigen wie antiken Texten. So zitiert Wali etwa aus dem Codex Hammurabi und dem Gilgamesch-Epos ebenso wie aus einem Buch von Boris Vian, um ein und denselben Punkt - die kulturelle Bedeutung und das Weiterwirken der Moses/Musa-Geschichte - zu verdeutlichen.

Die titelgebende Geschichte rund um Abraham, den Stammvater aller dreier Buchreligionen, und seine Söhne Ismael und Isaak, macht den Anfang. Hier trennt sich auch laut den Erzählungen beider heiliger Bücher der Weg von Christentum und Islam: „Die jüdische Bibel baut auf die Nachkommenschaft Isaaks und lässt Ismael verschwinden. Der Koran lässt Isaak allmählich verschwinden und wertet die Bedeutung Ismaels auf.“ Ismael, der erstgeborene Sohn Abrahams, aber mit der ägyptischen Magd Hagar gezeugt, gilt als Stammvater der Araber, Isaak als der der Israeliten.

Moses/Musa und Jesus/Isa

Das Moses/Musa-Kapitel beschäftigt sich mit dem Hintergrund der Thora und dem Vermächtnis des babylonischen Exils der Israeliten. Über die Gottesmutter Maria berichtet der Religionswissenschaftler Wali, dass sie im Koran Marjam heißt und ihr Kind Isa (Jesus) unter einem Dattelbaum zur Welt bringt. In der Bibel kaum ein Thema, wird im Koran der Rechtfertigung Marias, dass sie unverheiratet schwanger geworden ist und ein Kind zur Welt gebracht hat, viel Raum gegeben. Das erst 40 Tage alte Baby Isa selbst spricht sie hier - wörtlich - von den Vorwürfen der „Hurerei“ frei.

Nicht zuletzt erinnert Lewitscharoff an dieser Stelle daran, dass Jesus im Koran weder leidend stirbt noch der Gottessohn ist. Im Islam kommt Isa lediglich die Rolle eines Propheten und Gesandten zu - nicht mehr und nicht weniger. Weniger verbreitet als diese Interpretation ist vielleicht, dass dem Koran zufolge nicht Jesus am Kreuz starb, sondern ein Stellvertreter.

Adam und Eva auf einem Gemälde von Lukas Cranach d. Ä. (1472 bis 1553), Bildausschnitt

Public Domain

Die Bibel sieht in Urmutter Eva die Hauptschuldige am Sündenfall, im Koran ist das ein wenig anders

Sündenfall und Teufel

Das Verhältnis von Adam und Eva beziehungsweise deren Anteil an der Schuld am Sündenfall stellt sich im Koran ganz anders dar als in der Bibel - im Koran teilen sich die beiden die Schuld, während die Bibel hier klar Eva als Haupttäterin sieht.

Die beiden abschließenden Kapitel sind dem großen Außenseiter beider Religionen gewidmet: dem Teufel. Wali führt aus, dass dieser im Koran ein Dschinn ist und sogar Kinder hat. Lewitscharoff sucht seine Spuren neben der Bibel auch bei Dante, Goethe und in der Kunstgeschichte sowie im modernen Horrorfilm.

Das Gedächtnis vieler Generationen

„Eine intensive Beschäftigung mit Bibel und Koran lohnt sich“, findet Lewitscharoff. Beide Bücher hätten sich „tief in das Gedächtnis vieler Generationen eingegraben und eine Fülle von Kommentaren hervorgelockt. Die Diskussionen um diese Werke, auch der Streit darüber, dieses seltsame Gemisch aus Liebe, Hass und vernünftiger Analyse, sie reißen nicht ab.“

Für christlich geprägte Leserinnen und Leser werden wohl vor allem die Koran-Passagen des Buchs neu und teils überraschend sein. Aber auch eine Auffrischung der Bibel-Kenntnisse kann nicht schaden - vor allem, wenn sie so fundiert und gleichzeitig unterhaltsam daherkommt wie in „Abraham trifft Ibrahim“.

Johanna Grillmayer, religion ORF.at

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