Diakonie-Sozialexperte warnt vor „Hartz IV“

Vor einer Entwicklung in Österreich in Richtung „Hartz IV“ hat der Sozialexperte und stellvertretende Diakoniedirektor Martin Schenk-Mair gewarnt.

In Deutschland sei dieses System mit demselben Anreizversprechen eingeführt worden wie es nun von der heimischen Regierung zu hören sei: „Es ist aber kein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt geworden, sondern eine Armutsfalle für über zwei Drittel der Betroffenen“, kritisierte Schenk-Mair in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“.

„Absenken der Sozialleistungen garantiert keine Jobs“

Das Absenken der Sozialleistungen garantiere weniger Kosten für Arbeitgeber, aber nicht automatisch, dass Menschen einen Job bekommen. Dazu braucht es laut dem Mitbegründer der Armutskonferenz auch Maßnahmen zur Gesundheitssicherung, Fortbildung, Förderung des Arbeitsmarktes und auch der sozialen Beziehungen. Die hierzulande geplante Kürzung der Mindestsicherung, die Abschaffung der Notstandshilfe in Kombination mit auferlegten 1-Euro-Jobs - „das ist Hartz IV für Österreich“, sagte Schenk-Mair.

Stv. Diakonie-Direktor und Sozialexperte Martin Schenk-Mair

Nadja Meister

Martin Schenk-Mair

Werde die Notstandshilfe abgeschafft, würde das zusätzlich 160.000 Personen unter die Einkommensarmutsgrenze drücken. Die Umwandlung einer Versicherungsleistung Notstandshilfe in eine Transferleistung Mindestsicherung wäre nach den Worten des Diakonie-Experten vergleichbar mit Hartz IV. Damit verbunden wäre auch keine Anrechnung von Pensionszeiten mehr, der Zugriff auf Erspartes und 1-Euro-Jobs mit Zwangscharakter.

Eineinhalb Millionen Armutsgefährdete

Laut dem aktuellen Armutsbericht der Statistik Austria sind 1.563.000 Menschen in Österreich unter 65 Jahren armutsgefährdet - Menschen mit einem Nettoeinkommen von unter 1.238 Euro monatlich. Mehr als 300.000 Personen waren 2016 auf die Mindestsicherung angewiesen: aktuell österreichweit 838,76 Euro für Alleinlebende und 1.295 Euro für Paare.

Die von der Regierung eingeführte „Mindestsicherung neu“ sieht u.a. eine Senkung der Kinderzuschläge und eine Eingrenzung der Bezugsberechtigung vor: Die Mindestsicherung soll für EU-Bürger und sonstige Drittstaatsangehörige erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Österreich gewährt werden.

Mehr Österreicher betroffen

Laut Diakonie sind nur rund 15 Prozent der Mindestsicherungsbezieher tatsächlich Asylberechtigte. „Asyl wird gesagt, gestrichen wird aber bei allen“, wies Martin Schenk-Mair hin. Fast alle 80.000 Kinder, die derzeit in der Mindestsicherung sind, seien von den Kürzungen betroffen, weiters Menschen mit Behinderungen. Nach den der Diakonie vorliegenden Zahlen werden die Kürzungen deutlich mehr Österreicher als Nicht-Österreicher treffen - „Flüchtlinge sind da nur ein kleiner Teil“, so Schenk-Mair.

Sendungshinweis

Interview mit Martin Schenk-Mair auf Radio Klassik Stephansdom, Sonntag, 12.8.2018, 17.30 Uhr.

Seine Überzeugung: „Chancen und Existenz müssen in unserem Land gesichert sein. Das gilt für alle Menschen.“ Für diese Haltung müsse man nicht gläubig motiviert sein, es gehöre zu den Grundsätzen des Zusammenlebens, „wenn jemand am Boden liegt, tritt man nicht drauf“.

Christen haben nach den Worten des evangelischen, mit einer katholischen Theologin verheirateten Fachmanns freilich eine noch höhere Verantwortung: „Jesus wird uns nicht fragen, welche tollen Dinge wir uns gekauft haben, sondern: Ich war fremd und obdachlos, ich war krank und im Gefängnis - wo warst du?“

religion.ORF.at/KAP

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