Papst: Schmerz von Missbrauchsopfern lange ignoriert

In einem ausführlichen Schreiben an die Gläubigen in aller Welt hat Papst Franziskus am Montag eingestanden, dass die katholische Kirche den Schmerz von Missbrauchsopfern lange ignoriert hat.

„Mit Scham und Reue geben wir als Gemeinschaft der Kirche zu, dass wir nicht dort gestanden haben, wo wir eigentlich hätten stehen sollen, und dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten, der sich in so vielen Menschenleben auswirkte“, schrieb das katholische Kirchenoberhaupt in dem „Schreiben von Papst Franziskus an das Volk Gottes“.

Nach Bericht über US-Missbrauchsfälle

Der Brief kommt wenige Tage, nachdem sich der Vatikan am Donnerstag bereits bestürzt über Berichte zu Kindesmissbrauch durch Priester in den USA geäußert hatte - mehr dazu in Vatikan zu US-Missbrauchsbericht: „Scham und Trauer“.

Papst Franziskus

APA/AFP/Filippo Monteforte

Papst Franziskus hat in seinem Schreiben eingestanden, „dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben“.

„Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit“ (1 Kor 12,26), zitiert der Papst in den auf der Vatikan-Website veröffentlichten Text die Bibel. „Diese Worte des heiligen Paulus hallen mit Macht in meinem Herzen wider, wenn ich mir wieder einmal das Leiden vergegenwärtige, das viele Minderjährige wegen sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch seitens einer beträchtlichen Zahl von Klerikern und Ordensleuten erfahren haben“, so der Papst.

„Tiefe Wunden des Schmerzes und der Ohnmacht“

Es sei ein Verbrechen, „das tiefe Wunden des Schmerzes und der Ohnmacht erzeugt, besonders bei den Opfern, aber auch bei ihren Familienangehörigen und in der gesamten Gemeinschaft, seien es Gläubige oder Nicht-Gläubige“, schreibt Franziskus.

„Wenn wir auf die Vergangenheit blicken, ist es nie genug, was wir tun, wenn wir um Verzeihung bitten und versuchen, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Schauen wir in die Zukunft, so wird es nie zu wenig sein, was wir tun können, um eine Kultur ins Leben zu rufen, die in der Lage ist, dass sich solche Situationen nicht nur nicht wiederholen, sondern auch keinen Raum finden, wo sie versteckt überleben könnten. Der Schmerz der Opfer und ihrer Familien ist auch unser Schmerz; deshalb müssen wir dringend noch einmal unsere Anstrengung verstärken, den Schutz von Minderjährigen und von Erwachsenen in Situationen der Anfälligkeit zu gewährleisten.“

„Wunden verjähren nie“

Auch wenn man sagen könne, dass der größte Teil der Fälle die Vergangenheit betreffe, „sind wir uns doch im Laufe der Zeit über den Schmerz vieler Opfer bewusst geworden und müssen feststellen, dass die Wunden nie verschwinden und uns mit Nachdruck verpflichten, diese Gräueltaten zu verdammen, wie auch die Anstrengungen zu bündeln, um diese Kultur des Todes auszumerzen; die Wunden ‚verjähren nie‘“, so der Papst.

Ein „Schrei, den der Herr gehört hat“

Der Schmerz dieser Opfer sei „eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde“, schrieb Papst Franziskus. „Ihr Schrei war stärker als die Maßnahmen all derer, die versucht haben, ihn totzuschweigen, oder sich einbildeten, ihn mit Entscheidungen zu kurieren, welche die Sache verschlimmert haben, weil sie damit in Komplizenschaft gerieten. Ein Schrei, den der Herr gehört hat. Er lässt uns wieder einmal sehen, auf welcher Seite er steht.“

Ratzinger zitiert

Weiter heißt es: „Wir haben die Kleinen vernachlässigt und allein gelassen.“ Der Papst zitierte weiter den damaligen Kardinal Joseph Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI.

„Ich mache mir die Worte des damaligen Kardinal Ratzingers zu eigen, der bei dem für den Karfreitag im Jahr 2005 verfassten Kreuzweg sich mit dem Schmerzensschrei so vieler Opfer verband und mit Nachdruck sagte: ‚Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten? Wie viel Hochmut und Selbstherrlichkeit? Wie wenig achten wir das Sakrament der Versöhnung, in dem er uns erwartet, um uns von unserem Fall aufzurichten? All das ist in seiner Passion gegenwärtig. Der Verrat der Jünger, der unwürdige Empfang seines Leibes und Blutes, muss doch der tiefste Schmerz des Erlösers sein, der ihn mitten ins Herz trifft. Wir können nur aus tiefster Seele zu ihm rufen: Kyrie, eleison - Herr, rette uns (vgl. Mt 8, 25)‘ (Neunte Station, Betrachtung).“

Der Papst fordert in dem Schreiben die Zusammenarbeit aller Gläubiger: „Ich bin mir der Bemühungen und der Arbeit bewusst, die in verschiedenen Teilen der Welt unternommen wurden, um die notwendigen Vermittlungen zu gewährleisten und auszuführen, die Sicherheit geben und die Unversehrtheit der Kinder und der Erwachsenen im Zustand der Anfälligkeit schützen.“

„Umgestaltung, die wir so sehr nötig haben“

Dazu gehöre auch die Verbreitung der „Null-Toleranz-Haltung“ und der „Maßnahmen, Rechenschaft zu fordern von allen, die diese Verbrechen begehen oder decken. Wir haben diese so notwendigen Aktionen und Sanktionen mit Verspätung angewandt, aber ich bin zuversichtlich, dass sie dazu beitragen, eine bessere Kultur des Schutzes in der Gegenwart und in der Zukunft zu gewährleisten.“

Verbunden mit diesen Bemühungen sei es nötig, „dass jeder Getaufte sich einbezogen weiß in diese kirchliche und soziale Umgestaltung, die wir so sehr nötig haben. Eine solche Umgestaltung verlangt die persönliche und gemeinschaftliche Umkehr“, so Papst Franziskus.

„Ohne Ausflüchte und Verzagtheit“

Er ruft auch dazu auf, sich im Gebet an die Jungfrau Maria zu wenden, denn „Sie, die erste Jüngerin, lehrt uns Jünger alle, wie wir uns angesichts des Leidens des Unschuldigen zu verhalten haben, ohne Ausflüchte und Verzagtheit“.

Auf Maria zu schauen, heiße entdecken lernen, „wo und wie wir als Jünger Christi zu stehen haben. Der Heilige Geist schenke uns die Gnade der Umkehr und die innere Stärkung, damit wir unsere Reue angesichts dieser Verbrechen des Missbrauchs zum Ausdruck bringen können und unsere Entscheidung, sie mutig zu bekämpfen“, beschließt der Papst das Schreiben.

religion.ORF.at

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