Jugendbischof: „Kinder schützen, nicht ausbeuten“

Weihbischof Stephan Turnovszky vertritt die Bischofskonferenz bei der Jugendsynode im Vatikan im Oktober. Im Gespräch mit religion.ORF.at erzählte er, wie die Kirche Jugendliche heute zu schützen versucht und was er jungen Menschen am meisten wünscht.

Für junge Menschen scheinen ihm „zwei Themen ganz zentral“, sagte der Bischof, zum einen der Umgang mit wichtigen Lebensentscheidungen: „Wie treffen junge Leute Entscheidungen für ihr Leben, größere oder auch kleinere? Wer hilft ihnen dabei und wer behindert sie dabei?“ Man müsse sich anschauen, inwieweit Angst und sozialer Druck sie hier möglicherweise hemmen und hindern würden.

„Für junge Menschen ist eine Riesenfrage: ‚Was mache ich nach der Matura, wie werde ich einen Lebenspartner finden, wann eine Familie gründen?‘“ Während der Synode werden Jugendliche nicht nur Gegenstand von Überlegungen, sondern auch aktiv dabei sein: 15 junge Leute aus Österreich sollen den Jugendbischof zur Synode begleiten.

Thema Sexualität „weit halten“

„Das andere große Thema ist die Balance zwischen der Annahme seiner selbst und Änderung seiner selbst und auch der Zustände in der Welt: Wirtschaft, gerechte Migration, Umweltschutz und so weiter. Diese Balance zwischen Annehmen, was ich nicht ändern kann, und mich engagieren, wo ich es kann. Das kann man durchspielen von der Ökologie bis hin zur geschlechtlichen Orientierung.“

Weihbischof Stephan Turnovszky

Kathbild.at/Franz Josef Rupprecht

Stephan Turnovszky ist Wiener Weihbischof und Referatsbischof für die Kinder- und Jugendpastoral in der Österreichischen Bischofskonferenz. Von 3. bis 28. Oktober nimmt er als deren Vertreter an Diskussionen zu Themen teil, die junge Menschen betreffen.

Wie weit kann der Einfluss der Kirche in Sachen Sex gehen? Das Thema Sexualität sei für junge Menschen sicher bedeutend, räumte Turnovszky ein. Er wolle das Thema gern „weit halten“ und an junge Menschen etwa die Frage richten: „Was erwartest du dir von einer sexuellen Beziehung? Ich selbst würde mich bemühen, das Gespräch auf die Beziehung zwischen zwei Menschen zu bringen. Wenn es bei der Sexualität nicht um Beziehung, sondern bloß um Vergnügen geht, werden wir inhaltlich weit auseinander liegen. Ich bin mir aber sicher, dass den allermeisten jungen Menschen die Gestaltung der Beziehung zum geliebten Menschen das Hauptanliegen ist.“

Sexualität von Beziehung losgelöst: „Gib acht“

Doch wie sollen sich junge Leute, die gläubig sind, aber noch nicht bald heiraten möchten, zum Beispiel vor Krankheiten schützen - Stichwort Verhütung? „Schutz vor Ansteckung ist zwar bedeutungsvoll, die Frage der Verbindlichkeit ist noch wichtiger“, so der Bischof. „Es gibt zwar Menschen, die das Thema Sexualität von einer Beziehung losgelöst sehen. Denen würde ich sagen: ‚Gib acht, ich kenne viele Menschen, die gelebte Sexualität, losgelöst von einer Beziehung, nicht glücklich macht.‘ Ich habe beobachtet, dass Erfüllung im Bereich der Sexualität aus einer verbindlich gelebten Beziehung kommt.“

Das derzeit alles überschattende Thema Missbrauch in der katholischen Kirche wird zweifellos auch ein Thema bei der Synode sein. Wenn er in Kontakt zu Opfern komme, rate er ihnen, sich bei der „Ombudsstelle gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch im kirchlichen Bereich“ zu melden, sagte der Bischof dazu.

Missbrauch: Heute stärkerer Opferschutz

„Ich bin froh, dass wir diesbezüglich im internationalen Vergleich gut aufgestellt sind. Wir haben in Österreich gute Richtlinien, ein gutes Prozedere, trotzdem der offene Umgang mit dem Thema Missbrauch etwas, wo wir immer noch lernen.“ Die Verfahren seien heute stärker opferschützend, „weil das früher ein Defizit gewesen ist. Womit ich viel zu tun habe, das ist die Prävention.“ Es existieren Regeln in jeder Diözese, wie der Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu erfolgen hat.

Jeder Geistliche und jeder diözesane Mitarbeiter musste sich mit diesen Richtlinien auseinander setzen. Missbrauchspräventionsbeauftragte haben dafür zu sorgen, dass diese auch umgesetzt werden. „Wer etwa eine Jungschargruppe leitet, muss vorher eine Schulung machen“, so Turnovszky zu religion.ORF.at.

„Soziale Kontrolle ist viel stärker geworden“

Es gibt detaillierte Regeln, etwa, dass man nicht mit einem Kind allein sein darf. Bei Veranstaltungen müssen immer Frauen und Männer anwesend sein. Man müsse als Verantwortlicher auch „sehr gut ansprechbar sein und auf Verhaltensauffälligkeiten achten“, so der Bischof. Er habe den Eindruck, die Verantwortlichen in der Jugendpastoral seien inzwischen „sehr, sehr hellhörig“, und: „Die soziale Kontrolle ist viel stärker geworden, weil die Bevölkerung auf das Thema sensibilisiert ist. Kirche hat Jugendliche zu schützen und zu fördern, nicht auszubeuten.“

Auf die Frage von religion.ORF, was er Menschen rät, die sich an die Kirche wenden, weil sie wegen ihrer sexuellen Orientierung Diskriminierung erfahren, sagte der Bischof: „Was mir dann wichtig wäre ist, den Menschen dabei zu begleiten, seine tiefste Identität zu finden. Und aus meiner Überzeugung ist die tiefste Identität eines Menschen: In erster Linie bist du geliebtes Kind Gottes! Das ist die Mitte des Person-Seins. Dann erst kann man weitergehen zu den anderen Beziehungen, Beziehungen zu den Menschen.“

Bei jeder Form von Leiden unter Diskriminierung könne man „in erster Linie durch empathisches Zuhören helfen, weniger durch Reden - und durch gezieltes Nachfragen“.

Keine „Männerkirche“ sein

Zur Frage, ob sich manchmal Mädchen oder junge Frauen mit der Frage an ihn wenden würden: „Warum kann ich nicht Priesterin werden?“, antwortete Turnovszky, das kenne er meistens eher als „akademischen Dialog“. Eine ernsthafte priesterliche Berufung von Frauen erlebe er nur sehr selten. „Wenn das der Fall ist, ist da schon ein Leidensdruck vorhanden, den man ernst nehmen muss. Für die ganze Kirche geht’s darum, einen Weg zu finden, der beides verbindet: auf der einen Seite die diesbezüglichen Lehrentscheidungen der letzten vier Päpste - Papst Franziskus inklusive - zu akzeptieren, und auf der anderen Seite einer Männerkirche vorzubeugen.“

Kinderveranstaltung KISI-Kids Treffen in Gmunden 2013 mit Bischof Stephan Turnovszky

KISI – God’s singing Kids

Jugendbischof Turnovszky beim KISI-Kids Treffen in Gmunden 2013

Das sei möglich, „indem Frauen bewusst und selbstbewusst Positionen in der Kirche bekleiden, die nicht notwendigerweise an das Weiheamt gebunden sind, aber sehr viel Verantwortung beinhalten“. Es gebe bereits viele Frauen in solchen Positionen in der katholischen Kirche: in Österreich etwa Pastoralamtsleiterinnen, Leiterinnen des Schulamts, Ordinariatskanzlerinnen und viele mehr.

„Jugendliche denken oft wie Eltern“

Angesprochen auf das Thema Migration und Flüchtlinge sagte Turnovszky, er beobachte „solche und solche Jugendliche, wie auch die Gesellschaft hier nicht einheitlich denkt. Es gibt manche Jugendliche, die sich wirklich sehr stark für Migranten, Flüchtlinge, soziale Gerechtigkeit und Integration engagieren, und die werden zu einem sehr großen Teil von kirchlichen Strukturen unterstützt“, etwa von der Young Caritas und den Salesianern Don Boscos.

Dann kenne er aber auch junge Leute, so der Bischof, „ob kirchennah oder nicht - die eher skeptisch gegenüber zu vielen Migranten sind. Ich beobachte, dass die Jugendlichen meistens wie die Eltern denken.“

Engagement Jugendlicher „sehr beeindruckend“

Er habe den Eindruck, junge Menschen informierten sich heute eher „so en passant, durch alles, was schnell aufzunehmen ist, also durch Kurznachrichten, Social Media, mit Fotos dabei“. Er glaube aber, „der größere Teil der Jugendlichen ist offen für ein soziales Engagement, ist bereit, Zeit zu schenken, in größerem Ausmaß als der Rest der Bevölkerung - das ist schon sehr beeindruckend.“

Beim Thema Umweltschutz sieht Turnovszky häufig „ein zwiespältiges Verhalten ein- und derselben Person. Es können Jugendliche gegen die Abholzung des Regenwalds unterschreiben und zugleich Bier aus der Dose trinken und diese nicht einmal beim Altmetall entsorgen. Manche tragen Fair-Trade-Kleidungsstücke und gehen ins Fast-Food-Restaurant; sie erleben das nicht widersprüchlich.“ Auf der einen Seite meinten es viele ernst, zugleich pflegten sie einen Lebensstil, der stark dem Mainstream entspreche. Es gibt Umweltrichtlinien der Bischofskonferenz, die für alle Diözesen gelten. Der Bischof selbst fährt viele Strecken mit dem Fahrrad oder mit der Bahn. Eine Klimaanlage gönnt er sich auch im Hochsommer nicht.

Angst vor Bindung nehmen

Zur Frage der - seltener gewordenen - Priesterberufung sagte er: „Ich möchte nicht Menschen rekrutieren, sondern ich möchte Menschen einen Weg des glücklichen und erfüllten Lebens zeigen. Wenn Menschen sich einen geistlichen Beruf überlegen, so empfehle ich ihnen, auf die Sehnsucht zu achten, in die Tiefe des Herzens hinein zu spüren. Außerdem rate ich jedem zu Erfahrung mit sozialem Engagement, um zu prüfen, wie geht es mir, wenn ich für andere Menschen da bin und mit anderen interagiere.“ Viele junge Menschen hätten „übertriebene Angst vor einer Selbstverpflichtung, einer Bindung“.

„Ich habe erlebt: Selbstverpflichtung macht auch frei, weil ich eine Entscheidung getroffen habe und mich nicht mehr mit ihr plagen muss.“ Ihm selbst, erzählt Turnovszky, habe sein Engagement im Malteser-Hospitaldienst in der Studentenzeit „gut getan, anderen Menschen Zeit zu schenken, gerade Kranken, Behinderten - aus dem schöpfe ich. Ein erfülltes Leben besteht darin, dass ein Mensch weiß, für wen konkret er Schwierigkeiten auf sich nimmt. Das hat mir geholfen in meiner Bereitschaft, mich das Leben etwas kosten zu lassen. So wird mein Leben wertvoll.“

„Ich bin ja kein Kirchenvollstopfer“

Was ihm wichtig sei zu vermitteln, ist, „dass ich nicht etwas von den Jugendlichen will, sondern für die Jugendlichen. Nicht rekrutieren. Ich finde immer die Frage schlimm: ‚Wie können wir die Jugend wieder in die Kirche bekommen?‘ Ich bin ja kein Kirchenvollstopfer, sondern einer mit einer frohen Botschaft. Mein Anliegen ist es, das weiterzuschenken, was ich bekommen habe, und woraus ich glücklich lebe. Und ich bin aufgrund meiner Lebensgeschichte und meiner Beobachtungen davon überzeugt, dass glückliches Leben mit Gott zu tun hat. Das möchte ich jungen Leuten zeigen.“

Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

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