Fall Vigano für katholische Kirche „Zerreißprobe“

Die Rücktrittsforderung an Papst Franziskus und Reaktionen darauf sind nach Einschätzung des in den USA lehrenden Theologen, Massimo Faggioli, auch Ausdruck einer Krise innerhalb bestimmter Kirchenkreise und bedeuten für die US-Kirche eine „Zerreißprobe“.

Einige amerikanische römisch-katholische Bischöfe stünden durch den Missbrauchsskandal so unter Druck, dass sie Angst hätten, auf der Straße attackiert zu werden, sagte der Theologe von der katholischen Universität Villanova in Philadelphia der Website Vatican Insider am Mittwoch. In dieser Situation würden sie die Verantwortung auf den Vatikan schieben, „um sich als diejenigen zu präsentieren, die Gerechtigkeit und Wahrheit fordern“.

„Konservativste Rand scheint verzweifelt“

Die betreffenden Bischöfe unterstützten die Forderung des früheren vatikanischen Botschafters Erzbischof Carlo Maria Vigano nach einem Amtsverzicht von Franziskus, ohne sich bewusst zu sein, damit auch dessen Vorgänger zu treffen. „Der konservativste Rand scheint so verzweifelt, dass er das Risiko eingeht, das Andenken Johannes Pauls II. zu beschädigen und vor allem Benedikt XVI. zu involvieren“, so Faggioli.

Vigano, von 2011 bis 2016 Nuntius in Washington, formulierte seine Rücktrittsforderung in einem Memorandum zur Affäre um den früheren Washingtoner Erzbischof Theodore McCarrick, der Ende Juli von Franziskus unter dem Verdacht des Missbrauchs Minderjähriger aus dem Kardinalsstand entlassen wurde. Vigano behauptete, er habe Franziskus im Juni 2013 auf zurückliegende homosexuelle Aktivitäten des damals schon pensionierten McCarrick hingewiesen.

Der US-Kardinal Theodore McCarrick

Reuters/Max Rossi

Der Ex-Erzbischof von Washington Theodore McCarrick steht unter Missbrauchsverdacht

Treffen von Benedikt XVI. und McCarrick

Vigano schrieb weiters, Benedikt XVI. (2005-2013) habe McCarrick 2009 oder 2010 deswegen die öffentliche Ausübung priesterlicher Dienste wie auch öffentliche Auftritte untersagt. Allerdings übte McCarrick in den folgenden Jahren eine reiche Reise- und Vortragstätigkeit aus.

Nach Angaben von Vatican Insider traf er unter anderem im Jänner und April 2012 sowie im Februar 2013 im Vatikan mit Benedikt XVI. selbst zusammen. Mehrfach trat der pensionierte Kardinal demnach auch gemeinsam mit Vigano auf, ohne dass dieser sich in irgendeiner Weise indigniert gezeigt habe.

US-Kirche in der Krise

Die Kirche in den USA steht nach dem Brandbrief des ehemaligen Nuntius in Washington, Erzbischof Carlo Maria Vigano, jedenfalls vor einer Zerreißprobe. Kardinal Donald Wuerl, Nachfolger von McCarrick als Erzbischof von Washington, sieht sich aktuell massiver Kritik ausgesetzt.

Eine Gruppe von Lehrenden aus Konfessionsschulen boykottierte am Dienstag den Gottesdienst in der „Basilika des Nationalen Schreins der unbefleckten Empfängnis“ in Washington als Protest gegen „die Vertuschungen durch die Hierarchie“. Mehrere Pfarrer verlangten den Rücktritt des Kardinals, der die Vorwürfe der Untätigkeit und des Wegschauens freilich entschieden zurückwies.´

Erzbischof Carlo Maria Vigano, ehemaliger Vatikanbotschafter in den USA

APA/AFP/Getty Images/Chip Somodevilla

Erzbischof Carlo Maria Vigano

Raymond Burke verteidigt Vigano

Während es im Missbrauchsskandal um Rechenschaft und Verantwortung geht, benutzen die Gegner des Papstes die Krise, Franziskus zu schwächen, meinen Kritiker. Die Betreffenden würden in dem Skandal die Möglichkeit erkennen, ihrer fundamentale Skepsis gegen den Öffnungskurs des Papstes Nachdruck zu verleihen.

Die Haltung des Papstes zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen ist ihnen ein Dorn im Auge. Unterstützung erhielt Erzbischof Vigano etwa von dem bei Franziskus in Ungnade gefallenen Kardinal Raymond Burke sowie einer Reihe konservativer US-Bischöfe - mehr dazu in Kardinal: Rücktrittsforderung an Papst legitim.

Brandbrief auf Plattform der Papst-Kritiker

Dass Ex-Nuntius Vigano den „National Catholic Register“ zur Publikation seines Brandbriefs nutzt, der Teil des ETWN-Imperiums rechts-katholischer Medien ist, wird von Analysten und Analystinnen als alles andere als Zufall verstanden. EWTN gilt seit jeher auch als Plattform der Franziskus-Kritiker in den USA.

An der Spitze der Verteidiger des Papstes stehen wiederum die beiden von ihm ernannten Kardinäle Blase J. Cupich aus Chicago und Joseph Tobin aus Newark. „Zusammen mit Papst Franziskus sind wir zuversichtlich, dass eine Überprüfung der Behauptungen des früheren Nuntius helfen wird, der Wahrheit auf den Grund zu kommen“, sagte Tobin.

Papst Franziskus spricht im Flugzeug auf seinem Rückflug von Irland

APA/AFP/Pool/Gregorio Borgia

Papst Franziskus sagte, er werde die Vorwürfe derzeit nicht kommentieren

Unterstützung für Vigano

Die Gespaltenheit der US-Kirche verdeutlichte dieser Tage u.a. die Wochenzeitung „Die Tagespost“. So stellte sich laut „Tagespost“ der Bischof von Madison, Robert C. Morlino, hinter Vigano. Er kenne Vigano „beruflich und privat“ und sei „tief überzeugt von seiner Ehrlichkeit, Loyalität und Liebe für die Kirche sowie seiner tadellosen Integrität“.

Kritisch zeigte sich Bischof Morlino hingegen im Hinblick auf die Reaktion des Papstes, die Anschuldigungen unkommentiert zu lassen. Massive Kritik übte er zudem an der „Voreingenommenheit in den Mainstream-Medien“ aber auch an so manchen katholischen Medien. Auch der Erzbischof von San Francisco, Salvatore J. Cordileone, stellte sich in ähnlicher Weise hinter Vigano.

Opfer Cruz distanziert sich

Der chilenische Anti-Missbrauchs-Aktivist Juan Carlos Cruz hat sich derweilen von Erzbischof Vigano distanziert. Leute wie Vigano nutzten die Missbrauchsdebatte für ihre eigene „rückschrittliche Agenda“, um dem Papst zu schaden und ohne dass die Opfer eine Rolle spielten, schrieb Cruz (Mittwoch) auf Twitter. Cruz ist selbst Opfer eines katholischen Geistlichen und half gemeinsam mit zwei weiteren Männern, den Sexualskandal in der chilenischen Kirche aufzudecken.

Missbrauchsopfer  Juan Carlos Cruz mit Journalisten

Reuters/Eduardo Munoz

Anti-Missbrauchs-Aktivist Juan Carlos Cruz

Nach Angaben von Cruz war Vigano auch Thema eines persönlichen Gesprächs, das er mit Franziskus geführt habe. Wie Cruz der „New York Times“ (Dienstag-Ausgabe) berichtete, äußerte sich der Papst kritisch über seinen einstigen Botschafter, weil dieser während der USA-Reise von Franziskus im September 2015 ein spontanes Treffen mit der umstrittenen Standesbeamtin Kim Davis arrangiert hatte.

Entlassung Viganos wegen US-Standesbeamtin

Davis hatte für ihre Ablehnung homosexueller Ehen ein Disziplinarverfahren in den USA auf sich genommen. Das Treffen, das Medien damals als Rückhalt des Papstes für Davis deuteten, sorgte sowohl in der vatikanischen Delegation als auch bei den US-Gastgebern für Irritation. Der Vatikan erklärte damals, die Begegnung mit Davis könne „nicht als Unterstützung ihrer Position“ verstanden werden. Laut Cruz sagte Franziskus mit Blick auf diese Episode, er sei „entsetzt“ gewesen und habe seinen US-Botschafter Vigano deswegen entlassen.

Vigano dementierte laut einem Interview mit dem RAI-Journalisten Aldo Maria Valli, das auf dessen Blog veröffentlicht wurde, aus Rache gegen Franziskus gehandelt zu haben. „Ich will lediglich, dass die Wahrheit ans Licht kommt“, wurde Vigano am Mittwoch zitiert. Er habe sein „Memorandum“ veröffentlicht, weil die Korruption die Spitze der kirchlichen Hierarchie erreicht habe, so der Ex-Nuntius.

religion.ORF.at/KAP

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