Experten: „Humanae Vitae“ verstärkte Krise der Kirche

Deutsche Historiker und Theologen sehen in der vor 50 Jahren veröffentlichten Enzyklika „Humanae Vitae“ einen Brandbeschleuniger für die heutige Krise der katholischen Kirche in westlichen Ländern.

Das wurde bei einer am Mittwoch in Bonn begonnenen Tagung der „Kommission für Zeitgeschichte“ zu Grundlagen und Auswirkungen des 1968 veröffentlichten Lehrschreibens von Papst Paul VI., das bis heute grundlegend für das Nein der Kirche zur künstlichen Empfängnisverhütung ist, deutlich.

Rückzug insbesondere von Frauen

Das Verbot jeglicher künstlichen Empfängnisverhütung habe zu einem Rückzug vieler Katholiken, insbesondere von Frauen, aus der Kirche geführt und die Autorität und das Vertrauen in die Reformfähigkeit der Kirche erschüttert, berichtete die deutsche Katholische Nachrichten-Agentur KNA über den Tenor unter den versammelten Experten.

Zugleich habe innerkirchlicher Widerstand gegen Aussagen der Enzyklika zu einer Verhärtung des kirchlichen Lehramts geführt. So habe insbesondere Papst Johannes Paul II. das Ja zu „Humanae Vitae“ zur Bedingung bei der Ernennung von Bischöfen und Professoren gemacht.

Nein nach langem Ringen bekräftigt

Der Bonner katholische Kirchenrechtler Norbert Lüdecke sagte bei der Tagung, bei der Enzyklika sei es nicht nur um Sexualität gegangen, sondern auch um das Verständnis der Kirche von Staat, Wissenschaft, kirchlicher Hierarchie und Rolle der Frauen. Papst Paul VI. habe das Nein zu künstlicher Empfängnisverhütung nach langem Ringen letztlich deshalb bekräftigt, weil er den Lehren seiner Vorgänger nicht widersprechen und die Autorität des Lehramts nicht beschädigen wollte.

Lüdecke beklagte in diesem Zusammenhang falsche Prioritäten in der Kirche bis heute. Auch beim Missbrauchsskandal habe sich gezeigt, dass die Interessen der Institution vielfach höher gewertet würden als die konkreten Probleme der Menschen. Kritisch bewertete Lüdecke auch die Haltung von Papst Franziskus zu Fragen von Familie und Sexualität. Zwar zeige Franziskus weniger Starrheit, etwa beim Thema Homosexualität. Dennoch ändere er das dogmatische System nicht.

Abschied aus gesellschaftlichem Dialog

Auch der Mainzer katholische Moraltheologe Stephan Goertz kritisierte eine große Starrheit der Kirche in Sachen Sexualität: Während sexuelle Selbstbestimmung in den westlichen Ländern weithin als Menschenrecht angesehen werde, halte die Kirche offiziell weiterhin daran fest, dass Sexualität nur innerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau legitim sei und auf Nachwuchs ausgerichtet sein müsse. Sie ignoriere neue medizinische und wissenschaftliche Erkenntnisse und verabschiede sich damit weithin aus dem gesellschaftlichen Dialog.

Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff bekundete eine leise Hoffnung auf ein Umdenken. Die Enzyklika habe die Kirche in eine beispiellose Krise gestürzt. Die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus hätten in wichtigen Dokumenten das Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung aber nicht wiederholt, sondern einen gewissenhaften Umgang mit Sexualität gefordert. Das Lehramt müsse sich aber deutlich positionieren. „Humanae Vitae“ sei nicht akzeptiert worden; eine kirchliche Lehre bedürfe aber der Annahme durch die Gläubigen.

religion.ORF.at/KAP/KNA

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