D: Bistümer vernichteten laut Studie Missbrauchsakten

Laut Vorabberichten mehrerer deutscher Medien dokumentiert eine neue Missbrauchsstudie, die von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) beauftragt worden ist, nicht nur Missbrauchsfälle, sondern auch deren gezielte Vertuschung.

Eine Reihe von Akten, die in Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen standen, wurden vernichtet, berichtete die Wochenzeitung „Die Zeit“ unter Berufung auf die Studie der Bischofskonferenz. Darin heißt es: „In einigen Fällen fanden sich eindeutige Hinweise auf Aktenmanipulation.“ Aus zwei Bistümern habe es „explizit die Information“ gegeben, „dass Akten- oder Aktenbestandteile mit Bezug auf sexuellen Missbrauch Minderjähriger in früherer Zeit vernichtet wurden“.

Kein Zugang zu Originalakten

Das Forscherteam, das die Studie verantwortet, dokumentierte außerdem, dass es selbst niemals in die Archive der Bistümer durfte, so „Die Zeit“: „Das Forschungsprojekt hatte keinen Zugriff auf Originalakten der katholischen Kirche.“ Alle Archive und Dateien der Diözesen wurden von deren eigenem Personal durchgesehen.

Katholische Bischöfe mit gefalteten Händen

APA/dpa/Zucchi Uwe

Eine neue Studie belegt Zahlen zu sexuellem Missbrauch in der deutschen Kirche und auch die Vertuschung der Taten

In der vergangenen Woche hatten die Bischöfe angekündigt, dass die umfangreiche Untersuchung am 25. September bei ihrer Herbstvollversammlung in Fulda vorstellt wird. Das Magazin „Spiegel“ beruft sich auf eine dem Magazin vorliegende Zusammenfassung der Ergebnisse. Insgesamt belegt die Studie 3.677 sexuelle Übergriffe von mindestens 1.670 Priestern und Ordensleuten in 68 Jahren. Laut offizieller Kriminalstatistik werden in Deutschland jedes Jahr rund 12.500 Fälle von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen bekannt.

Mehr als die Hälfte der Opfer unter 14

Für die Langzeitstudie (1946 bis 2014) der kirchlichen Fälle wurden mehr als 38.000 Personal- und Handakten aus allen 27 deutschen Diözesen ausgewertet. Die Opfer seien überwiegend männliche Minderjährige gewesen, mehr als die Hälfte von ihnen zum Tatzeitpunkt jünger als 14 Jahre alt. In etwa jedem sechsten Fall sei es zu einer Form von Vergewaltigung gekommen. Drei Viertel aller Betroffenen hätten mit den Beschuldigten in einer kirchlichen oder seelsorgerischen Beziehung gestanden.

„Die Zeit“ schrieb in einer Vorabmeldung am Mittwoch, dass die deutschen Bistümer nur in jedem dritten Fall eines mutmaßlichen Missbrauchs reagiert und zumindest ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet hätten. Bei 1.670 aktenkundigen Beschuldigten wurde nur gegen 566 ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet. Davon endeten wiederum 154 Verfahren ohne Strafe oder Sanktion. In 103 Fällen gab es lediglich eine Ermahnung.

Schwere Versäumnisse von Amtsträgern

Nur gegen knapp 38 Prozent der Beschuldigten wurde Strafanzeige gestellt – dann aber meist von den Betroffenen selbst oder ihrer Familie. Repräsentanten der Kirche haben nur in 122 Fällen die weltliche Justiz eingeschaltet, das betrifft 7,3 Prozent aller Beschuldigten. Wörtlich heißt es im Missbrauchsbericht der DBK über die Vertuschung:

„Die Bereitschaft der Kirche, Fälle des sexuellen Missbrauchs mit den eigenen dafür vorgesehenen Verfahren zu untersuchen und Beschuldigte gegebenenfalls einer kirchenrechtlichen Bestrafung zuzuführen“, sei in Anbetracht der Befunde „als nicht sehr ausgeprägt anzusehen“, so der „Zeit“-Vorabbericht.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Die vorliegenden Zahlen, schreibt der „Spiegel“, würden von den Autoren als konservative Annahme bezeichnet. Es gebe keine klaren Erkenntnisse über die Dunkelziffer. Etwa die Hälfte aller Fälle wäre ohne Antrag auf Entschädigung durch die Betroffenen nicht entdeckt worden, da die Personalakten der Beschuldigten keine Hinweise enthalten hätten.

Immer wieder seien beschuldigte Kleriker an einen anderen Ort versetzt worden, ohne dass die neue Gemeinde „mit der entsprechenden Information“ über den Missbrauchstäter versorgt worden wäre. Nur ein Drittel der Täter habe sich einem kirchenrechtlichen Verfahren stellen müssen.

Pflichtzölibat „Risikofaktor“

Bei der Frage nach den Gründen für den Missbrauch zeigen sich die Autoren laut „Spiegel“ zurückhaltend. Es müsse aber die Frage erlaubt sein, ob die Verpflichtung zum Zölibat „ein möglicher Risikofaktor“ sei. Außerdem heiße es unter anderem: „Die grundsätzliche Ablehnung der katholischen Kirche zur Weihung homosexueller Männer ist dringend zu überdenken.“

Laut „Spiegel“ gehen die Wissenschaftler nicht davon aus, „dass es sich beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker der katholischen Kirche um eine in der Vergangenheit abgeschlossene und mittlerweile überwundene Thematik handelt“.

Erstellt wurde die Studie im Auftrag der DBK von einem interdisziplinären Forscherteam unter Leitung des Mannheimer Psychiaters Harald Dreßing. Außerdem sind das Kriminologische Institut der Universität Heidelberg, das dortige Institut für Gerontologie sowie der Lehrstuhl für Kriminologie der Universität Gießen beteiligt.

Betroffene erschüttert

Matthias Katsch von der Opferinitiative Eckiger Tisch bezeichnete die am Mittwoch bekanntgewordenen Ergebnisse der Studie als „erschütternd“. „Das erschreckende Ausmaß sexueller Gewalt von Priestern gegenüber Kindern und Jugendlichen macht deutlich, was wir dringend brauchen: eine umfassende, unabhängige Untersuchung“, sagte er in Berlin. Vorbild könnten die Untersuchungen durch Kommissionen im US-Bundesstaat Pennsylvania und in Australien sein.

Katsch betonte, es sei gut, dass nun endlich Zahlen vorlägen. Diese verdeutlichten, dass die Kirche in Deutschland genauso wie ihre Schwesterkirchen in den USA, Australien, Irland und vielen anderen Ländern der Erde in ein „System aus Missbrauch und Vertuschung“ verstrickt sei. Sie habe es über Jahrzehnte verstanden, die Öffentlichkeit darüber zu täuschen.

religion.ORF.at/KAP/KNA/APA/AFP

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