„Muslim Men“: Ruf nach Eigenverantwortung

Die deutsche Publizistin Sineb El Masrar will mit ihrem neuen Buch „Muslim Men - Wer sie sind, was sie wollen“ vor allem muslimische Männer wachrütteln und zu mehr Eigenverantwortung ermuntern.

In der Eigenverantwortung sieht sie den Schlüssel zum Zusammenleben in einer Demokratie. Und sie richtet einen Appell an die deutsche, beziehungsweise westliche Gesellschaft, die „frustrierten und abgehängten Männer, aber auch Frauen, nicht den Rattenfängern im islamistischen und salafistischen Milieu“ zu überlassen. Hier spricht sie besonders die Rolle der Eltern und (oft fehlende) Vorbilder an, gerade für Buben.

Durch die Auswahl ihrer Gesprächspartner zeigt sich vor allem eines deutlich: Muslimische Männer sind genauso individuell und unterschiedlich wie andere Männer auch. Klingt logisch, wird aber im öffentlichen Diskurs oft nicht so vermittelt. Die Charakterisierung „muslimischer Mann“ ruft leicht ein stereotypes Bild hervor. Genau dem möchte Sineb El Masrar entgegenwirken.

Sineb El Masrar

Privat

Sineb El Masrar

Vom Banker bis zum Escortdiener

Teilweise fast zu pointiert beschreibt sie eine ganze Bandbreite unterschiedlicher muslimischer Männer. Einen jungen Unternehmer, der salafistische Prediger heute als ernsteres Problem wahrnimmt als früher, ein ehemals kriminelles Clanmitglied, das sich von diesen Machenschaften entfernt hat und findet, dass sich etwas ändern muss - auch an den patriarchalen Strukturen - (weshalb er für das Buch auch Auskunft gab).

Sendungshinweis

Ein Interview mit Sineb El Masrar in der Ö1-Sendung „Praxis - Religion und Gesellschaft“ können Sie hier nachhören.

Sie sprach mit einem „Parademacho“, der nicht möchte, dass seine Frau alleine mit dem Zug fährt oder einkaufen geht und mit einem nichtgeouteten Homosexuellen, der neben seinem Studium im Escortservice arbeitet. Einer ihrer Gesprächspartner ist quasi als logische Konsequenz seines Nachdenkens Bahai geworden und ein Unternehmensberater erzählte ihr seine Gedanken darüber, warum nicht nur perspektivlose Männer und Frauen, sondern auch erfolgreiche Musliminnen und Muslime plötzlich salafistische Tedenzen entwickeln.

Islam und Profit

Sineb El Masrar kritisiert in diesem Zusammenhang einmal mehr islamische Verbände, besonders jene, die mit der Muslimbruderschaft in Verbindung gebracht werden können, Imame und Prediger. Diese „Berufsmuslime“ würden den Gläubigen nach einem „Flatrate-Prinzip“ für später das Paradies versprechen, im Hier und Jetzt aber nur Beten und Spenden abverlangen.

Das Leben im Diesseits trete für das jenseitige Leben in den Hintergrund. Manche würden aber genau von diesem System ordentlich profitiern, denn sie würden mit Halal-Zertifikaten in allen Lebensbereichen viel Geld verdienen, so El Masrar. Patriarchale Strukturen kritisierte sie teils heftig bereits in ihren Büchern „Muslim Girls“ (2015) und „Emanzipation im Islam“ (2016).

Cover zu Muslim Men

Verlag Herder

Buchhinweis

Sineb El Masrar, Muslim Men. Wer sie sind, was sie wollen, Herder, 256 Seiten, 22,60 Euro.

Kapitalismus und Patriarchat

Islam und Islamismus lassen sich nach Ansicht der Autorin sehr kapitalismusfreundlich auslegen, was gar nicht islamisch sei. Das reiche von Datingapps, Bankgeschäften, Mode, Versicherungen bis zu Prostitution in Form religiös legitimierter Zeitehen gegen Bezahlung.

Aus ihrer Sicht reichen für ein islamkonformes Leben die nachhaltige Produktion von Kleidung und Nahrung und Bioprodukte (ohne Alkohol und Schweinefleisch).

Auch bezüglich der Bekämpfung des politischen Islams und des Islamismus’ sieht El Masrar klar die Muslimeverbände (wie etwa den Zentralrat der Muslime in Deutschland) in der Pflicht. Diese wollten ihn schlicht nicht sehen. Beziehungsweise versuchten sie mit „dem Islam“ dem Islamismus vorzubeugen - „Finde den Fehler“, kommentiert sie.

Die Rollen überdenken

Eine Frage, die El Masrar auch in ihrem Analyseteil beschäftigt, ist die nach den Vorbildern und Männlichkeitsidealen, nach denen sich vor allem Buben richten. Dabei kommt sie auf die oft fehlenden Väter zu sprechen und auf ein widersprüchliches Männlichkeitsbild - besonders für muslimische und/oder migrantischstämmige Buben in der freiheitsorientierten westlichen Gesellschaft.

Und auch das Verhältnis zwischen Müttern und Söhnen ist Thema, zumal die Abwesenheit von Vätern eine überproportionale Bemutterung begünstige, so El Masrar. Sie nimmt jedenfalls beide Geschlechter in die Pflicht, ihre Rollenbilder zu überdenken. Wenn eine Mutter neben Kindern und Haushalt noch ein eigenes Leben führe, wirke das auf die Kinder inspirierend, schreibt sie.

Chancen nutzen

Zurück zur Eigenverantwortung: Die nichtmuslimische Gesellschaft dürfe nicht als alleiniger Urheber aller persönlichen Konflikte gelten, schreibt El Masrar. Offenbar wird das doch von vielen muslimischen Männern so gehandhabt. Sie empfiehlt, weniger zu jammern und sich seine Identität breiter aufzustellen. Denn Muslim alleine ist ihrer Ansicht nach noch kein ausreichendes Identitätsmerkmal.

Tatsächlich dürfte es gerade für junge Muslime nicht einfach sein, den richtigen Pfad zu finden, die Autorin beschreibt neben ihrer Kritik an den etablierten, zum Teil auch öffentlich anerkannten Verbänden, eine Reihe von Internetquellen, die ihrer Ansicht nach zweifelhaftes Material liefern.

„Wo Demokratie und Freiheit herrschen, gilt es auch immer, an die Mitmenschen mitzudenken.“ In diesem Sinne müsse jede und jeder (egal ob Muslim oder nicht) den „persönlichen Gefühlshaushalt unter die Lupe nehmen“ und im positiven Sinn die Chancen ergreifen, die sich in einem freien Land bieten.

Nina Goldmann, religion.ORF.at

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