Orthodoxer Streit: Keine Deeskalation in Sicht

Im Kirchenstreit zwischen den Patriarchaten von Konstantinopel und Moskau um die Ukraine gibt es derzeit wenige Anzeichen von Entspannung. Das lässt sich zumindest aus jüngsten Wortmeldungen der Patriarchen Bartholomaios und Kyrill entnehmen.

Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel unterstrich bei einer großen Festmesse in Istanbul einmal mehr den Führungsanspruch des Ökumenischen Patriarchats in der Orthodoxie. Der Moskauer Patriarch Kyrill ortete unterdessen gar einen „globalen Plan“ zur Zerstörung der russisch-orthodoxen Kirche.

Bartholomaios I. sagte bei einem Gottesdienst in der Dimitrios-Kirche von Kurucesme, dass das Ökumenische Patriarchat nicht auf die Kraft der Zahlen, des Geldes, der Macht und der Politik setze, sondern auf die geistlichen Gesetze und das Wort Christi im Evangelium.

Kirche „nicht von dieser Welt“

Die Kraft der „großen Kirche von Konstantinopel“ ist nicht von dieser Welt und zeigt sich nicht in imponierenden Zahlen, so der Ökumenische Patriarch am 26. Oktober bei der Göttlichen Liturgie in der Kirche Hagios Dimitrios Xirokrinis in Kurucesme, einer der beliebtesten Kirchen Istanbuls mit einer Heiligen Quelle. Wörtlich sagte Bartholomaios I. laut der Stiftung „Pro Oriente“: „Unser Ökumenisches Patriarchat ist stark, weil es opferbereite Liebe hat und in Demut und im Zeichen des Kreuzes handelt. Seine Geschichte ist voll von Martyrium für die Welt, für alle Völker und alle Nationen.“

„Haupt und Ursprung aller Ortskirchen“

Im säkularen Bereich zählten die Kraft der Zahlen, des Geldes, der Macht und der Politik, aber in der Kirche zählten die geistlichen Gesetze, die Heiligen Kanones, die fromme Tradition, die heiligen Orte der Vorfahren, das Wort Christi im Heiligen Evangelium. Die Kirche von Konstantinopel sei gleichsam eine Inkarnation der Liebe Christi, der sich für alle Menschen hingegeben habe - auch für seine Feinde und für all jene, „die nicht imstande sind, die Tatsache zu akzeptieren, dass das Ökumenische Patriarchat die erste Kirche ist, Haupt und Ursprung aller Ortskirchen“.

Diese große Verantwortung der Mutterkirche habe keine Begrenzung, so der Patriarch. So wie das Ökumenische Patriarchat in der Vergangenheit allen Ortskirchen die Autokephalie verliehen hat, so habe der Heilige Synod von Konstantinopel jetzt in gleicher Weise beschlossen, der vielfach bedrängten Ukraine die Autokephalie zuzuerkennen. Damit könne sich das Land „in Einheit und innerem Frieden“ in die orthodoxe Welt einreihen.

Wörtlich fügte Bartholomaios I. hinzu: „Es ist ausschließlich der Sitz von Konstantinopel, der die hohe Verantwortung für die Heiligen Kanones hat, sein Primat ist der erste unter den Orthodoxen.“ Sobald die Wahrheit dieses „fundamentalen ekklesiologischen Prinzips“ verdreht werde, bestehe die Gefahr des Missbrauchs der Autorität. Jene, die „erste sein wollen, ohne es zu sein“, könnten dann Initiativen ergreifen, ohne das Recht dazu zu haben.

Kyrill : „Einzige orthodoxe Kraft in der Welt“

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. bezeichnete die Entscheidungen des Ökumenischen Patriarchen im Hinblick auf die Ukraine als „Teil eines globalen Plans“ zur Zerstörung der russisch-orthodoxen Kirche, die eine „Insel der Freiheit“ sei.

Wörtlich sagte Patriarch Kyrill am Dienstag bei einem Treffen mit Teilnehmenden des „Glaube und Welt“-Festivals in Moskau: „Der Einsatz ist hoch, der Plan zur Zerstörung der Einheit unserer Kirche hat eine globale Dimension. Das ist nicht eine Jurisdiktionsstreitigkeit, das ist ein Kampf, um die einzige wirksame orthodoxe Kraft in der Welt zu zerstören. Wenn wir über 150 Millionen orthodoxer Gläubige sprechen, ist das wirklich so“.

Jemand habe der „Insel der Freiheit“, die die russische Orthodoxie sei, einen Schlag versetzen müssen, so der Moskauer Patriarch. Die russische Orthodoxie sei eine „Insel der Freiheit“, weil „wir frei sind von der globalen Gehirnwäsche und der Herrschaft der Gedanken anderer über uns“. Die Tragödie in der Ukraine gehe weit über die Grenzen der Politik hinaus und habe eine „mystische Dimension“.

Interna zum Gipfeltreffen im Phanar

Erstmals berichtete Kyrill auch über sein Treffen mit Bartholomaios am 31. August. Es sei der letzte Versuch gewesen, den Konflikt mit Konstantinopel wegen der Ukraine diplomatisch zu lösen. Er habe ein Treffen auf neutralem Boden vorgeschlagen, zum Beispiel in Chambesy in der Schweiz, aber Patriarch Bartholomaios habe auf einem Treffen im Phanar bestanden.

Wie Kyrill jetzt sagte, hätten einige Leute in Moskau versucht, ihm ein Akzeptieren dieser Forderung auszureden, weil sie die Reise an den Bosporus als zu „demütigend“ empfunden hätten: „Ich habe erkannt, dass es Konstantinopels Wunsch war, uns herabzusetzen. Aber das ist nur demütigend für jemanden, der auf solche Bagatellen Wert legt. Ich bin bereit, überall hinzugehen, wenn ich nur die Entwicklungen verhindern kann, die wir jetzt haben.“ Die Position des Ökumenischen Patriarchen zur Ukraine-Frage sei bei der Begegnung im Phanar „ziemlich schroff und radikal“ gewesen.

Metropolit Hilarion, Leiter des Moskauer Außenamts, hatte unmittelbar nach dem Treffen im Phanar vor Journalisten betont, dass die beiden Patriarchen ein brüderliches und vertrauliches Gespräch geführt hätten: „Dieses Gespräch war sehr offen und sehr herzlich, ein Gespräch von Herz zu Herz.“

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religion.ORF.at/KAP

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