Theologe: Bei NS-Zeit differenzieren

Das Kapitel Kirche und Antisemitismus ist ein dunkles - in Österreich ein besonders dunkles, dessen man in diesen Tagen rund um die Novemberpogrome des Jahres 1938 besonders gedenkt.

Und doch verlange es angesichts neuer historischer Forschungen zum katholischen wie gesellschaftlichen Diskurs im Österreich jener Jahre nach Differenzierungen, so der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber. Zwar sei der österreichische Katholizismus „deutlich antisemitischer geprägt“ gewesen als jener anderer Länder, zugleich aber habe sich der „kirchliche Diskurs“ dezidiert „vom NS-Rassenwahn und seinen brutalen Folgerungen“ abgegrenzt: „Eigentum, Leib und Leben jüdischer Landsleute standen nicht zur Disposition“, schrieb Klieber in einem Gastbeitrag in der Wochenendausgabe der Zeitung „Die Presse“.

Andererseits habe der „stete antisemitische Input“ die Bereitschaft auch unter Katholiken gehemmt, „für jüdische Nachbarn einzutreten“, gab Klieber zu bedenken; auch senkte dieser wohl die Hemmschwelle, „bei Gelegenheit als Profiteure oder Täter an der Verfolgung mitzuwirken“ - dennoch habe es auch im österreichischen Katholizismus Gegenströmungen und intellektuelle Gegenakzente gegeben, erinnerte Klieber etwa an den Wiener Ethnologen und Steyler Missionar Wilhelm Schmidt, Intellektuelle wie Dieter von Hildebrand, Alois Mager oder Johannes Österreicher. Sie vertraten zwar teils einen „kulturellen Antisemitismus“, der im modernen Judentum die Gefahr grassierender areligiöser Liberalität sah, doch einte sie zugleich auch die Ablehnung des NS-Rassenwahns, urteilte Klieber.

Drei Arten von Antisemitismus

Auf den „antiklerikalen Oktober“ des Jahres 1938 mit der Erstürmung des Wiener Erzbischöflichen Palais durch NS-Schergen und einer „antiklerikalen Versammlung“ mit fast 200.000 Teilnehmern auf dem Heldenplatz folgte laut Klieber ein „antisemitischer November“ mit österreichweiten Pogromen, in deren Folge 8.000 Menschen inhaftiert und 30 ermordet wurden. Allein in Wien wurden 2.000 Wohnungen beschlagnahmt und 42 Tempel und Bethäuser verwüstet. Tatsächlich zeige die historische Forschung, dass in Wien stärker als anderswo im katholischen Milieu die sogenannte „Judenfrage“ diskutiert worden sei - wohl auch aufgrund der Tatsache, dass der jüdische Bevölkerungsanteil im Wien jener Jahre mit fast 200.000 der höchste im deutschsprachigen Raum war.

In dieser Gemenge- und Diskurslage müsse man jedoch beachten, dass der katholisch gepflegte Antisemitismus ein mehrschichtiges Phänomen sei, führte Klieber weiter aus: Katechetisch in Verwendung war etwa ein sich auf vermeintlich biblische Quellen stützender Antijudaismus, der Juden als Christus-Mörder diffamierte oder die Verkennung Jesu als Messias durch die Juden proklamierte. Davon sei ein rassisch durchwirkter Antisemitismus zu unterscheiden, der auch die NS-Vernichtungspolitik folgte.

Begriff „kultureller Antisemitismus“

Weniger bekannt, weil wohl auch subtiler in seinen Abgrenzungen sei indes ein „kultureller Antisemitismus“, der auf jüdische moderne liberale Strömungen abzielte: Im Gefolge einer „Kulturrevolution“ im Judentum nach 1848, die viele aus dem Abseits in höchste gesellschaftlich Sphären hob, lebten weite Teile des Judentums eine „Moderne ohne Religion“ vor, so der Vorwurf, und bildeten die Speerspitze liberaler antikirchlicher Positionen.

Dieser letzten Form des Antisemitismus waren laut Kirchenhistoriker Klieber weite Teile des kirchlichen Personals und auch der kirchlich-katholische Diskurs zugeneigt. So habe etwa die Katholische Aktion zur damaligen Zeit für eine Lösung der „Judenfrage“ plädiert, da sie sonst „später in gewaltsamer Weise gefällt würde“, zitierte Klieber.

Gott kennt keine Rassen

Mit den Begriffen „Rasse“ und „Volk“ operierten auch Intellektuelle wie Wilhelm Schmidt - selbst Berater der vatikanischen Kurie in der heiklen Rassendebatte jener Zeit -, allerdings dezidiert gegen die NS-Ideologie und im Sinne einer theologischen Aufhebung: Gott schaffe die Seele in jedem Menschen stets neu und kenne daher auch keine Rassen.

Auch Kardinal Theodor Innitzer sei - etwa mit der von ihm ins Leben gerufenen „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ - dieser Ansicht letztlich gefolgt und habe Antisemitismus „aus religiöser Überzeugung“ bekämpft, so Klieber. So seien - gleichwohl noch auf dem Boden eines angstbesetzten kulturellen Antisemitismus - Positionen entstanden, „die einer radikalen theologischen Neudeutung des Judentums den Weg ebneten und dreißig Jahre später vom Zweiten Vatikanischen Konzil rezipiert werden sollten“.

Klieber lehrt Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts. Er leitet u.a. das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Pius XI. und Österreich“.

religion.ORF.at/KAP

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