1938: Schönborn erinnert an christliches Versagen

Angesichts des 80. Jahrestags der Novemberpogrome hat Wiens Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn am Freitag betont, dass die christlichen Kirchen in Österreich unverbrüchlich an der Seite der jüdischen Gemeinde stehen.

Nach der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz sprach er bezüglich des Gedenkens vom schmerzlichen Eingestehen eines mehrfachen Versagens. Ein jahrhundertelang religiös verbrämter Antijudaismus habe zu lange jene Kräfte geschwächt, die nötig gewesen wären, um als Christen dem nationalsozialistischen Rassenwahn und Antisemitismus entschieden entgegenzutreten, sagte er in einer Pressekonferenz in Wien. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei es hier zu einem Wandel in Richtung Geschwisterlichkeit gekommen.

Für mehr Menschlichkeit

Einmal mehr plädierte Schönborn für Menschlichkeit in der Asyldebatte und für eine Stärkung des humanitären Bleiberechts samt Einbindung der Länder und Gemeinden. Viele ernsthafte Stimmen aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik plädierten dafür, und die römisch-katholischen Bischöfe unterstützten dies ausdrücklich.

Kardinal Christoph Schönborn am Freitag, 09. November 2018, während einer PK zum Thema "Ergebnisse der Bischofskonferenz" in Wien

APA/Georg Hochmuth

Kardinal Christoph Schönborn bei der Pressekonferenz

Gleichzeitig kritisierte der Wiener Erzbischof den verschärften Ton und den rigorosen Gesetzesvollzug beim Thema Asyl. „Kern des christlich-jüdischen Ethos ist es, Witwen, Waisen und Fremden Hilfe zu gewähren“, sagte er. Wer Asyl suche, dürfe nicht stigmatisiert oder kriminalisiert werden. Asyl sei ein heiliges Recht und dürfe nicht zum Schimpfwort werden.

Novemberpogrome: „Erinnerung eröffnet Zukunft“

Die Bedeutung einer lebendigen Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse des Novembers 1938 für Gegenwart und Zukunft haben die österreichischen Bischöfe auch in einer Presseerklärung zum Abschluss ihrer Herbstvollversammlung am Freitag unterstrichen. „Eine lebendige Erinnerung eröffnet Zukunft, weil der Blick auf die dunklen Seiten der Geschichte davor schützt, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen“, heißt es.

In ihrer Erinnerung stünden die christlichen Kirchen heute „unverbrüchlich an der Seite der jüdischen Gemeinde und ihrer Treue im Glauben“; Christen würden zudem deutlich erkennen, „dass im Judentum die Wurzel ihres Glaubens liegt“: „Ein Christ kann kein Antisemit sein“, unterstrichen die österreichischen Bischöfe ein entsprechendes Wort von Papst Franziskus. Daher gelte es heute auch, Seite an Seite „gegen alle Formen des Antisemitismus entschieden vorzugehen und für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit hier und weltweit einzutreten“.

„Viel zu wenige Gerechte“

Zugleich räumten die Bischöfe ein, dass die Erinnerung an die Ereignisse von 1938 und deren Folgen für Christen und die Kirchen verbunden sei mit dem „schmerzlichen Eingestehen eines mehrfachen Versagens“. Zu leise seien jene wenigen Stimmen aus der Kirche gewesen, die das Unrecht deutlich benannten: „Es waren zu wenige, viel zu wenige Gerechte.“

Kardinal Schönborn nahm am Freitagvormittag an einer Gedenkstunde im Großen Redoutensaal des Parlamentsausweichquartiers in der Hofburg anlässlich der Novemberpogrome 1938 teil. Im Anschluss zeigte er sich berührt von der Veranstaltung und beeindruckt von Rabbi Arthur Schneier, der im Parlament das Wort ergriffen hatte. „Hass überwinden durch Brücken und Versöhnung. Das ist die Botschaft dieses Tages“, so Schönborn wörtlich.

Rabbi Schneier gewürdigt

Der Wiener Erzbischof würdigte Rabbi Schneier als lebenslangen Vorkämpfer für die Friedensrolle der Religionen. Dies sei auch das Ziel der von Schneier gegründeten „Appeal of Conscience Foundation“. „Ich selbst unterstütze als Mitglied diese Stiftung und bin sehr dankbar für die Freundschaft mit Rabbi Schneier“, so Schönborn.

Rabbi Arthur Schneier während de rParlamentsveranstaltung zum Gedenken an die Opfer anl. Jahrestag der Novemberpogrome  am 9. November 2018  in der Wiener Hofburg

APA/Herbert Pfarrhofer

Rabbi Arthur Schneier während der Parlamentsveranstaltung zum Gedenken an die Opfer der Novemberpogrome

Rabbi Schneier meinte in seiner Rede laut APA, er sei davon ausgegangen, dass man nach dem Holocaust nicht mehr über Antisemitismus sprechen müsse, habe sich aber geirrt: „Jetzt ist der Krebs wieder zurück und hat Metastasen gebildet, in Europa und jetzt in der USA.“ Schneier mahnte aber auch, sich nicht von der Vergangenheit lähmen zu lassen, sondern aus dieser zu lernen: „Die Gegenwart und die Zukunft haben zu viele Herausforderungen, als dass wir uns nur auf die Vergangenheit beschränken.“

Erinnerungen an Holocaust

Arthur Schneier floh im November 1938 als Kind mit seinen Eltern vor dem NS-Regime von Wien nach Budapest, wo er den Holocaust überlebte. Schneier teilte im Parlament seine eigene Erfahrung über die Novemberpogrome mit: „Über Nacht war ich zum Außenseiter geworden. Die meisten meiner christlichen Klassenkameraden wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, im Klassenzimmer, im Park und in der Konditorei: Juden und Hunde unerwünscht. Ich habe sehr gerne Lederhosen getragen, aber Lederhosen, Dirndl für Juden? Kommt nicht infrage, verboten.“

Er habe aber seine erste Lektion gelernt, denn Kinder würden nicht mit Hass geboren, sondern es werde ihnen beigebracht, wie man hasst. „Früh in meinem Leben habe ich das Beste und die Bestie im Menschen kennengelernt. Ich glaube fest daran, dass das Beste im Menschen die Oberhand behalten wird.“

Für Verständigung und Toleranz

1947 wanderte Schneier in die USA aus. Schneier wurde Rabbiner und promovierte zum Doktor der Theologie an der Yeshiva University in New York City. Seit 1962 ist er das religiöse Oberhaupt der Park East Synagogue. Schneier widmet sein Leben als Holocaust-Überlebender der Verständigung und Toleranz.

An der Veranstaltung im Parlament nahmen auch österreichische Shoah-Überlebenden teil, die derzeit auf Einladung von Bundeskanzler Sebastian Kurz in Wien weilen. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bat die Gäste aus Israel in seiner Ansprache im Namen Österreichs um Verzeihung. Sobotka sagte wörtlich: „Niemals wieder dürfen Verhetzung und Hass unsere Gesellschaft derart bestimmen und zu Taten verleiten, die gegen alles gehen, was uns als Menschen ausmacht.“ Bundeskanzler Kurz erklärte: „Ich kann Ihnen versichern, dass Österreich heute ein anderes Land ist und sich seiner historischen Verantwortung bewusst ist.“

religion.ORF.at/KAP

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