Kardinal: Straffällige Priester vor weltliches Gericht

Nach Ansicht des deutschen Kardinals Gerhard Ludwig Müller muss ein Priester, der eine Straftat begangen hat, wie alle Staatsbürger zuerst vor ein weltliches Gericht gestellt werden.

Bisher werden Straftaten zuerst innerkirchlich geprüft und erst dann zivilgerichtliche Wege beschritten. Sollte sich jemand etwa eines Sexualverbrechens insbesondere gegen Heranwachsende schuldig gemacht haben, müsse von übergeordneter kirchlicher Autorität zusätzlich ein kirchenrechtlicher Prozess folgen, erklärte der frühere Präfekt der Römischen Glaubenskongregation der „Passauer Neuen Presse“ (Dienstag-Ausgabe).

Hier werde nach Maßgabe des Rechts nicht eine zweite Strafe verhängt, sondern geprüft, ob überhaupt oder mit welchen Einschränkungen der Täter noch den priesterlichen Dienst versehen könne. Von diesem kirchenrechtlichen Prozess unabhängig sei die Fürsorge kirchlicher Stellen für die Opfer dieser furchtbaren Taten, sagte der Kardinal.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Reuters/Alessandro Bianchi

Kardinal Gerhard Ludwig Müller plädiert dafür, straffällige Priester wie andere Verbrecher zu behandeln

Keine kollektiven Beschuldigungen

Weiter betonte Müller, dass es besonders verwerflich sei, wenn gerade ein Priester, „der ein guter Hirte sein soll, sich als Wolf entlarvt“. Objektiv betrachtet müsse aber festgehalten werden, dass die meisten Priester sich nicht dieser Taten schuldig gemacht hätten und „gute und eifrige Seelsorger“ seien.

Die voll berechtigte Empörung über die Untaten individueller Personen dürfe nicht in die Ungerechtigkeit einer kollektiven Beschuldigung oder Verdächtigung umschlagen, ergänzte der frühere Glaubenspräfekt: „Wir beschuldigen auch nicht ‚die‘ Ausländer oder ‚die‘ Muslime oder ‚die‘ Polizei, wenn ein Angehöriger dieser Gruppen und Institutionen eine Straftat begangen hat.“

Theologische Analyse zu Missbrauch fehlt

Insgesamt vermisst Kardinal Müller eine tiefergehende theologische Analyse zum sexuellen Missbrauch durch Priester, wie er in dem Zeitungsinterview weiter erklärte. Es gehe darum, wieder mehr geistlich und theologisch zu werden und weniger politisch und zeitgeistig. So stelle sich etwa die Frage: „Warum gibt es in der Kirche, die Christus gestiftet und geheiligt hat, dennoch Sünder und sogar manchmal Verbrecher?“

Die Kirche sei nicht glaubwürdig durch die Summe ihrer moralisch einwandfreien Mitglieder, „sondern durch die frei uns geschenkte Gnade Gottes“, erklärte der Dogmatiker weiter.

Unabhängig davon brauche es die Erneuerung des ethischen Verhalten und die Orientierung der Geistlichen an ihrem Auftrag, auf dem Weg der Nachfolge Christi mit gutem Beispiel voranzugehen. Eine verweltlichte Kirche könne der Welt allerdings keine Hoffnung geben. Statt auf den „Zug der Demoralisierung und Ent-Christianisierung“ aufzuspringen, gelte es, eine echte Neuevangelisierung zu wagen.

„Zwangsjacke der political correctness“

Zugleich kritisierte der Kardinal, dass manche Bischöfe die Gläubigen verunsicherten, „weil sie in ihren Stellungnahmen nur dem Mainstream folgen“. Sie ließen sich die „Zwangsjacke der political correctness anlegen, in der sie sich ungelenk bewegen und nur lächerlich machen“. Seiner Ansicht zufolge dürfen Bischöfe nicht zuerst politisch agieren und denken, „um dann ihre Machtspiele pseudotheologisch einzukleiden“.

Weiter äußerte sich Müller auch über das Verhältnis der Bischöfe und Kardinäle zum Papst. Nibelungentreue habe hier nichts zu suchen: „Wir sind Brüder und nicht Untertanen.“ Am meisten würden die Kardinäle und Bischöfe dem Papst helfen mit „qualifizierten Beiträgen, die sie mit männlicher Klarheit vortragen - ohne alles höfische Getue“. Weiter fügte der Theologe hinzu: „Ich kenne wahrscheinlich besser die Theologie des päpstlichen Primates in seiner Bedeutung und seinen Grenzen als manche Dilettanten und Opportunisten, die sich ihm andienen wollen.“

religion.ORF.at/KAP/KNA

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