„Guadalupana“: Die Mutter Mexikos

Am Mittwoch wird in Mexiko der Tag der „Jungfrau von Guadalupe“ gefeiert. Mexikanerinnen und Mexikaner - ob katholisch oder nicht - lassen die „Virgen Morena“, die dunkelhäutige Madonna, mit Feuerwerken und Musik, Festmessen und Tequila hochleben.

Die „Guadalupana“ soll zehn Jahre nach der Eroberung Mexikos durch die Spanier im Jahr 1531 einem Indigenen erschienen sein und sich ihm in seiner Muttersprache als seine Mutter, als die „Jungfrau von Guadalupe“, vorgestellt haben. Und zwar genau an der Stelle, an der der wichtigste Tempel der aztekischen Erd- und Muttergottheit Tonantzin gestanden hatte - bevor er von den Spaniern zerstört wurde.

Viele Symbole im Erscheinungsbild der „Guadalupana“ erlaubten eine Verbindung der christlichen Gottesmutter mit den vorspanischen Traditionen, so dass sie im Lauf der Zeit „zur Mutter aller Mexikaner“ und zu einer zentralen Identitätsfigur des Landes wurde.

Drei Männer mit auf den Rücken gebundenen Bildern und Statuen der Jungfrau von Guadalupe

Reuters/Noel West

Viele Statuen und Bilder werden zu dem Feiertag teils weite Strecken getragen

Kirche für 40.000 Gläubige

Aus dem stillen grünen Hügel außerhalb von Tenochtitlan, dem heutigen Mexiko-Stadt, wurde im Lauf der letzten knapp 500 Jahre ein riesiger Marktplatz. Wo einst der Tempel für Tonantzin stand, erhebt sich nun (neben der alten, von Erdbeben stark beschädigten Basilika) eine riesige neue Betonkirche, in der 40.000 Gläubige gleichzeitig Platz finden.

Rund um den Platz der Basilika bieten Händler ihre Waren an: Kinderpyjamas und T-Shirts, Rosenkränze und bunte Lutscher - und überall prangt das Bild der „Jungfrau von Guadalupe“. Die dunkelhäutige Madonna, die in einem sternenbedeckten Mantel strahlenumkränzt auf einer Mondsichel steht, ist in Mexiko allgegenwärtig: in fast jedem Auto, in fast jedem Haus. Zum Feiertag am 12. Dezember werden Bilder der Jungfrau und Statuen hierher geschleppt. Unzählige Rosenkränze, Armbänder und Schlüsselanhänger mit ihrem Bild werden ge- und verkauft.

Sendungshinweise:

„Praxis - Religion und Gesellschaft“, Mittwoch, 12.12.2018, 16.05, Ö1 und

„Tao - aus den Religionen der Welt“, Samstag, 22.12.2018, 19.05, Ö1.

Stündliche Gottesdienste

Nicht nur nach allen Gottesdiensten, die tagtäglich stündlich von 6.00 bis 20.00 Uhr stattfinden, sondern auch an einem eigens dafür eingerichteten Platz neben der Basilika segnen Priester unermüdlich Abbildungen der „Guadalupana“. Viele der jährlich 20 Millionen Pilger sind stundenlang zu Fuß unterwegs zu diesem Platz.

Die Basilika der Jungfrau von Guadalupe in Mexiko City

Reuters/Henry Romero

Die Basilika der Jungfrau von Guadalupe

„Unsere Mutter, unsere Königin“

„Die Jungfrau von Guadalupe ist unser Enblem, unsere Kultur, unsere Religion, unser alles - unsere Mutter. Sie ist die Königin“, sagte der Leiter einer Pilgergruppe zu Ö1. Aber wie konnte aus der christlichen Gottesmutter, der Beschützerin und Patronin der spanischen Eroberer, auch die Mutter der Indigenen und schließlich die „Mutter aller Mexikaner“ werden? Bereits vor der Ankunft der Spanier sei der Tepeyac ein Wallfahrtsort gewesen, so der Historiker Daniel Andonagi Perez, Kulturvermittler im Museum für Anthropologie der Stadt Mexiko gegenüber Ö1.

„Hier befand sich das Heiligtum der Nahua-Göttin Tonantzin, die auch ‚unsere verehrte Mutter‘ genannt wurde. Tonantzin war eine der wichtigsten Göttinnen der Azteken. Von ihr sind keine Bildnisse bekannt, doch sie wurde unter verschiedenen Manifestationen und Beinamen verehrt, so zum Beispiel in der Form der Coatlicue (‚Die mit dem Schlangenrock‘), deren Statue zu den Highlights des Anthropologischen Museums zählt. Sie alle sind Muttergottheiten und daher auch Göttinnen der Fruchtbarkeit“, so Andonagi Perez.

Ein Mann trägt ein Bild der Jungfrau von Guadalupe auf den Schultern

Reuters/Carlos Jasso

Die Jungfrau von Guadalupe ist allgegenwärtig in Mexiko

„Trost der Armen und Schild der Schwachen“

Der Tempel der Muttergottheit wurde von den spanischen Eroberern zerstört und ihr Kult verboten. Doch die Legende und das Bild der „Guadalupana“ würden viele Anknüpfungspunkte bieten, sagte Guillermo Bolagno, Priester der Erzdiözese Mexiko-Stadt, gegenüber dem ORF-Radio.

Veranstaltungshinweis:

Die lateinamerikanische Community in Wien feiert am 12. Dezember um 18.00 Uhr in der Votivkirche die Guadalupana.

„Alle Zeichen und Symbole der Jungfrau sind Zeichen, die Parallelen in der prähispanischen Kultur haben: die Sterne, die Blumen, die Sonnenstrahlen - für die Indios waren es göttliche Symbole, die sie verstanden und die sie auch annehmen konnten“, sagte der katholische Priester. So wurde die Guadalupana zum Bindeglied und, wie der mexikanische Literaturnobelpreisträger Octavio Paz es ausdrückte, zum „Trost der Armen und Verwaisten, dem Schild der Schwachen und Unterdrückten“.

Beschützerin Mexikos

Dem segensreichen Eingreifen der „Guadalupana“ sprach man auch das Ende der großen Typhus-Epidemie im Jahr 1545 und das Ende der verheerenden Überschwemmung in Mexiko-Stadt 1629 zu. Nach Letzterer wurde „Unsere Liebe Frau von Guadalupe“ im Jahr 1634 als Beschützerin Mexikos proklamiert und 1737 als „Siegerin über die Pest“, die 700.000 Indigene dahinraffte, zur Patronin Mexikos ernannt.

Die riesige Statue der Jungfrau von Guadalupe in Ocuilan in Mexiko

APA/AFP/Mario Vazquez

Im Bundesstaat Ocuilan wurde 2017 das weltweit größte Monument der Jungfrau von Guadalupe eingeweiht

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts und damit des Unabhängigkeitskrieges war die Jungfrau von Guadalupe schon lange nicht mehr nur Symbol der Eroberer (die übrigens auch eine große Straße vom Stadtzentrum zum Tepeyac bauten, auf der die Vizekönige einmal pro Woche zur Gottesmutter pilgerten), sondern bereits so sehr im Glauben der Eroberten verwurzelt, dass die „Virgen Morena“ zum Symbol des Protestes gegen das Kolonialregime wurde.

Politische Bedeutung

Mit dem Bild der „Jungfrau von Guadalupe“ auf dem Banner stürzten sich die Aufständischen unter Führung des Priesters Miguel Hidalgo mit dem bekannt gewordenen Schlachtruf „Nieder mit der schlechten Regierung! ... Lang lebe die Religion! Lang lebe unsere allerheiligste Jungfrau von Guadalupe!“ in die Auseinandersetzungen, erinnerte der Historiker und Archäologe Eduardo Matos Moctezuma, langjähriger Direktor des „Museo Templo Mayor“ am Zocalo, am Hauptplatz von Mexiko-Stadt.

Die „Guadalupana“ hatte auch nach der Unabhängigkeit und im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts während des Bürgerkrieges große politische Bedeutung. Präsident Benito Juarez zum Beispiel beschnitt die Privilegien der katholischen Kirche drastisch, enteignete kirchlichen Landbesitz und verbot Priestern den Zugang zu politischen Ämtern, pilgerte aber trotzdem regelmäßig zur „Virgen Morena“.

Maria Harmer, Nina Goldmann, religion.ORF.at

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