Studie: Religion bei Zuwanderern kein Hemmnis

Religiosität an sich ist weder mit Unwillen zur Integration noch mit Intoleranz gleichzusetzen. Das zeigt ein Team um den Soziologen Zoltan Peter von der Universität Wien in einer Studie über jugendliche Zuwanderinnen und Zuwanderer, die am Freitag in Wien vorgestellt wird.

Erst wenn Religion „ausschließend gedacht und gelebt wird“, werde sie zum Problem. An der Studie „Integrationsthema Toleranz“, die gemeinsam von Forscherinnen und Forschern um Lisa Danzer vom außeruniversitären Institut L&R Sozialforschung durchgeführt wurde, haben 1.059 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren teilgenommen. Mit 71 wurden vertiefende Interviews geführt. Das Institut L&R ist seit 1990 in Wien ansässig und arbeitet soziologisch, politikwissenschaftlich, sozialpsychologisch und kommunikationswissenschaftlich.

Ein „integrationstechnisch“ wichtiges Ergebnis für den Studienautor: Je länger der Aufenthalt in Österreich, desto höher auch die Zustimmung zu europäischen Wertehaltungen und desto geringer die Vorurteile. Auch Bildung wirkt sich positiv aus auf den Abbau von Vorurteilen und die Vermittlung europäischer Wertemuster.

87 Prozent demokratisch gesinnt

Insgesamt sind 87 Prozent der befragten Jugendlichen demokratisch gesinnt und tolerant, auf 60 Prozent trifft das in hohem Maße zu, schilderte Peter der APA im Vorfeld des Vortrags bei der von Österreichischer Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Uni Wien veranstalteten fünften Jahrestagung der Migrations- und Integrationsforschung. Sie befürworten etwa, dass niemand wegen Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung benachteiligen werden darf, sind für Religionsfreiheit und gleiche Rechte für Frauen und Männer.

Straßenszene

ORF.at/Carina Kainz

Religiosität ist einer Studie zufolge kein Integrationshemmnis

Damit sei die Mehrheit tolerant genug, um mit verschiedenen Meinungen, Kulturen und Lebensstilen hierzulande adäquat umzugehen. Überraschend groß ist für Peter mit 35 Prozent außerdem die Gruppe jener Jugendlichen ausgefallen, die religiös sind und sich gleichzeitig stark mit Österreich identifizieren.

„Fundamentalistische Tendenzen“ bei fünf Prozent

Rund fünf Prozent aller Befragten attestieren die Forscher unterdessen „fundamentalistische Tendenzen“ - das heißt eine Einstellung, die teils antimodern ist und sich durch ein fanatisches Festhalten an religiösen Regeln äußert. In den vertiefenden Interviews habe sich gezeigt, dass bei vier der 71 Jugendlichen die Religiosität „sehr ausgeprägt“ sei: Dieser Typus zeichnet sich laut Peter dadurch aus, dass für ihn Religion die wichtigste Verbindung zur Welt bedeutet. Dies sei bei ihm dermaßen intensiv ausgeprägt, dass er weltliche Normen und Werte viel schwerer akzeptieren kann als die übrigen Befragten.

Die Rollenbilder sind - vor allem unter den befragten Männern - eher konservativ: Jeder Zehnte sieht den Vater als Oberhaupt der Familie an, der das Sagen hat. 16 Prozent finden sehr bzw. eher, Frauen sollten sich vorrangig um den Haushalt kümmern und nicht um ihre Karriere. Zwölf Prozent ekelt es laut eigenen Angaben, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen, acht Prozent finden es anstößig, wenn nicht verheiratete Menschen sexuelle Beziehungen haben.

Vorurteile vorhanden

Vorurteile gibt es auch in Bezug auf Familien- und Geschlechterrollen: 17 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen finden sehr bzw. eher, dass Frauen sich in Österreich zu freizügig kleiden und Ehemänner ihren Frauen zu viel erlauben. Dazu kommt jeweils rund ein Drittel, das hier keine Meinung äußert. Außerdem finden 28 Prozent sehr bzw. eher, dass Eltern ihren Kindern zu viel erlauben.

Vergleichsweise viele Jugendliche haben ausländerfeindliche oder antisemitische Tendenzen: Rund 20 Prozent finden, dass zu viele Ausländer in Österreich leben und rund 23 Prozent stimmen der Aussage „Ich finde, dass Juden weltweit zu viel Einfluss (Macht) haben“ sehr zu.

Vorurteile nicht automatisch Intoleranz

Das von den Forscherinnen und Forschern weiter zu entwickelnde Toleranzmodell zeigt, dass Jugendliche mit vergleichsweise vielen Vorurteilen nicht automatisch weniger tolerant sind. Überdurchschnittlich hohe Toleranzwerte hatten bei der Studie jene, die seit mehr als fünf Jahren in Österreich leben.

„Die Toleranzeinstellungen zeigen ein Muster, wonach die bevorzugte Konfliktvermeidung der befragten Jugendlichen sich weniger in einem Hang zur offenen Auseinandersetzung manifestiert, sondern eher in einem prinzipiellen und teilweise religiös gefärbten Respekt anderen Menschen gegenüber sowie in einem Prozess des Rückzugs“, beschreibt Peter.

Nachholbedarf bei Afghanen und Iranern

Nach Herkunftsländern sind vor allem Befragte aus Afghanistan und dem Iran vergleichsweise wenig tolerant. Bei einem etwas größeren Anteil der Jugendlichen, die in Afghanistan aufgewachsen sind, gibt es laut den Forschern erhöhten Nachholbedarf. Sie sehen beispielsweise die Rolle der Frau gehäuft im Haushalt und finden gleiche Rechte für Frauen und Männer sowie das Recht auf freie Wahl des Ehepartners weniger wichtig. Ein Verbot der Diskriminierung wegen Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung oder das Recht, keiner Religion anzugehören, ist ihnen ebenfalls weniger wichtig.

Die Ergebnisse der Studie sollen im April veröffentlicht werden. Bis dahin plant Peter noch eine tiefergehende Überprüfung der Toleranztypen, außerdem sollen die Antworten aus den mündlichen und schriftlichen Interviews stärker miteinander verwoben werden. Im kommenden Jahr sind weitere vertiefende Interviews geplant.

religion.ORF.at/APA

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