Kein Weihnachtsfriede: Orthodoxe Christen im Konflikt

Das bevorstehende Weihnachtsfest des größeren Teils der orthodoxen Kirchen, das am 6./7. Jänner gefeiert wird, ist in diesem Jahr verdüstert, nachdem sich die beiden zentralen Patriarchate Konstantinopel und Moskau im Herbst total zerstritten haben.

Ausgerechnet am 6. Jänner soll in der Konstantinopler Georgs-Kathedrale jener Akt über die Bühne gehen, den Moskau um jeden Preis zu verhindern getrachtet hat: Die Tomos-Verleihung an die neu gegründete Orthodoxe Landeskirche der Ukraine (OKU). Mit dem Tomos wird diese Kirche zu einer unabhängigen (autokephalen) Kirche aufgewertet und damit Konkurrentin der Ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK-MP).

Warnung vor „unabsehbaren Folgen“

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. beschwor am Montag in einem Schreiben an den Konstantinopler Patriarchen Bartholomaios I., der allgemein als Ehrenoberhaupt der Orthodoxie angesehen wird, diesen, von seinem Vorhaben der Gewährung der Rangerhöhung an die OKU abzulassen. Kyrill warnte vor unabsehbaren Folgen.

Russisch-orthodoxer Patriarch Kyrill I.

Reuters/Pool/Alexander Zemlianichenko

Der Moskauer Patriarch Kyrill I.

Das Schreiben wurde vom Pressedienst der Russisch-orthodoxen Kirche (ROK) veröffentlicht. Wörtlich heißt es: "Ich habe im August mit Ihnen und mit einigen Zeugen über die Pläne der Kirche von Konstantinopel gesprochen, eine Spaltung in der Ukraine zu legalisieren.

Sollten diese Pläne weitgehend umgesetzt werden, kann ich Sie möglicherweise jetzt vor der gesamten orthodoxen Kirche ein letztes Mal bitten: Gehen Sie jetzt von der Verbindung mit den Schismatikern zurück, weigern Sie sich, am politischen Spiel ihrer Legalisierung teilzunehmen! Dann wird die wahre orthodoxe Kirche in der Ukraine (die UOK-MP; Anm.), angeführt vom Kiewer Metropoliten Onufrij, Ihnen den Segen erteilen, und dann wird die Geschichte die Erinnerung an Sie bewahren als einen der heiligen Hierarchen des Konstantinopolitanischen Thrones, der es unter den schwierigsten politischen Bedingungen geschafft hat, die Würde der Kirche nicht preiszugeben und ihre Einheit zu bewahren", so Patriarch Kyrill. Ihm zufolge „ist es noch nicht zu spät, die Verwirklichung der Pläne zu stoppen“.

Drohungen Kyrills

Im zweiten Teil des Briefs droht Kyrill mit dramatischen Folgen für Bartholomaios im Fall einer Gewährung der Rangerhöhung an die OKU: „Dann werden Sie für immer die Gelegenheit verlieren, der Einheit der heiligen Kirchen Gottes zu dienen. Dann hören Sie auf, Erster in der orthodoxen Welt zu sein, die hunderte Millionen Gläubige zählt, und dann wird das Leiden, das unter den orthodoxen Ukrainern entsteht, zu einem schrecklichen Urteil Gottes über Sie führen, und dieses Leiden wird beim Gericht gegen Sie aussagen“, so Kyrills Drohungen.

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I.

APA/AP/Lefteris Pitarakis

Der Konstantinopler Patriarch Bartholomaios I., der allgemein als Ehrenoberhaupt der Orthodoxie angesehen wird

Die Prozedur für die Erteilung des Dekrets (Tomos) über eine Autokephalie für die neu gegründete OKU (Orthodoxe Landeskirche der Ukraine) soll den Plänen zufolge am 5. Jänner im Istanbuler Phanar, dem Sitz von Patriarch Bartholomaios, beginnen, wie das vor drei Wochen gewählte Oberhaupt der Landeskirche, Metropolit Epifanij, in einem Interview für den Fernsender Prjamyi erklärte. In einer Vesper am 5. Jänner gemeinsam mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios in der Istanbuler Georgskathedrale werde man „dem Herrn danken“, sagte der Metropolit. Dann werde der Tomos (Dekret; Anm.) unterzeichnet werden.

„Am Tag darauf, dem 6. Jänner, wird zum ersten Mal ein gemeinsamer Gottesdienst von zwei Oberhäuptern, dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. als ‚Primus inter pares‘ und dem künftigen Patriarchen der freien, unabhängigen orthodoxen Landeskirche, stattfinden“, so Epifanij. Am 15. Dezember war beim Vereinigungskonzil in der Kiewer Sophienkathedrale die eigenständige OKU gegründet und Metropolit Epifanij zum Oberhaupt dieser Kirche gewählt worden.

Wachsende Angst vor Kriegs-Eskalation

Der Kirchenkonflikt in der Ukraine spielt sich vor dem Hintergrund einer wachsenden Angst um eine Eskalation des Krieges in der Ostukraine ab. Die vereinbarte Waffenruhe zum Jahresende in der Ostukraine zwischen Regierungssoldaten und prorussischen Separatisten wurde nicht eingehalten. Wenige Stunden nach dem Beginn der Feuerpause warfen sich beide Seiten am vergangenen Samstag gegenseitig Beschuss vor.

Nach Angaben der Separatisten setzte die ukrainische Armee im Gebiet Donezk zu Mittag Schusswaffen ein. Agenturen in Kiew meldeten hingegen, dass die Separatisten nahe der Rebellenhochburg Horliwka mit Granatwerfern auf Stellungen der Regierungssoldaten geschossen hätten. Bei dem Angriff habe es jedoch keine Verletzten gegeben.

Die Konfliktparteien hatten sich unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Donnerstag auf die Feuerpause geeinigt, die über das orthodoxe Weihnachtsfest am 7. Jänner hinaus gelten sollte. Eine Einschätzung der OSZE zur Einhaltung lag zunächst nicht vor.

Immer wieder werden zu Feiertagen oder auch zum Schulbeginn Waffenruhen vereinbart. Rund zwei Dutzend derartiger Übereinkünfte scheiterten bereits nach wenigen Stunden. Ein 2015 ausgehandelter Friedensplan, der eine dauerhafte Einstellung der Waffengewalt vorsieht, liegt zudem auf Eis. In dem seit 2014 andauernden Konflikt sind bisher mehr als 10.000 Menschen getötet worden.

Der Kreml unterstützt einerseits die Separatisten, andererseits versucht er, den ostukrainischen Hafen Mariupol von der freien Schifffahrt abzuschneiden. Der Zugang nach Mariupol ist nur über die Meerenge von Kertsch möglich, die mittlerweile seerechtswidrig von Russland kontrolliert wird. Der bewaffnete Konflikt und die kirchenpolitische Auseinandersetzung stehen miteinander in Verbindung.

Keine Zusammenarbeit mehr

Die russisch-orthodoxe Kirche hat im Dezember definitiv die Mitarbeit in allen von Konstantinopel eingerichteten Institutionen für die Diaspora - einschließlich der Bischofskonferenzen in nichtorthodoxen Ländern - eingestellt. Man werde ab jetzt ohne Rücksicht auf Konstantinopel Pfarrgemeinden, Eparchien und andere Strukturen gründen, kündigte Metropolit Hilarion vom Moskauer Patriarchat in der Vorwoche an. Man werde jetzt so handeln, als ob Konstantinopel „nicht existiert“, so der Außenamtsleiter des Patriarchats.

Hilarion nahm Bezug auf den Beschluss des Heiligen Synods des Moskauer Patriarchats von 26. Dezember. Dieser beschloss, zwei neue Patriarchalexarchate für Westeuropa und für Südostasien einzurichten. Zum Exarchen für Westeuropa mit Sitz in Paris wurde Bischof Ioann (Roschtschin) von Bogorodsk bestimmt, zum Exarchen für Südostasien mit Sitz in Singapur Erzbischof Sergij (Tschaschin) von Solnetschnogorsk (der vorübergehend seine Aufgabe als Leiter des Verwaltungssekretariats des Moskauer Patriarchats beibehält).

Bisher sei Konstantinopel der Auffassung gewesen, dass Europa, Amerika, Südostasien, Ozeanien eine Diaspora sei, in der nur das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel zuständig sei, so Hilarion. Im übrigen sei es die Initiative der Gläubigen in der Diaspora, die zur Gründung neuer Pfarrgemeinden führe, nicht die Idee „von jemandem in Moskau, dass wir eine Pfarrgemeinde in Singapur oder Bangkok einrichten sollten“, sagte Hilarion nach Angaben des Pressediensts der Stiftung „Pro Oriente“.

Die engen Verwebungen von Politik und Orthodoxie

In einem weiteren Interview bekundete Metropolit Hilarion demnach seine Überzeugung, dass Patriarch Bartholomaios I. durch seine Aktionen in der Ukraine einen Auftrag aus Washington ausführe. Es handle sich um ein großes „geopolitisches Projekt“, das darauf abziele, Russland zu schwächen und einen Keil zwischen die Völker Russlands und der Ukraine zu treiben. Die russisch-orthodoxe Kirche, die diese beiden Völker vereine, werde als größtes Hindernis für die Verwirklichung dieser Pläne empfunden. Mittlerweile gebe es sowohl aus Washington wie aus Konstantinopel Äußerungen, die das bestätigten.

Patriarch Bartholomaios I. versuche zwar, durch „Zitierung von nicht existierenden Kanones“ seine Vorgangsweise zur Verleihung der Autokephalie an eine neue orthodoxe Kirche in der Ukraine mit dem Ziel der Überwindung des Schismas zu begründen, „aber wir sehen das Gegenteil; die Entscheidung aus Konstantinopel konnte das Schisma nur vertiefen, genau das geschieht jetzt“.

religion.ORF.at/KAP

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