Kopftuchverbot: Theologin warnt vor Zwang

Das von der Regierung geplante Kopftuchverbot an den Volksschulen berge die Gefahr, dass betroffene Mädchen von öffentlichen an Privatschulen abwandern und keinen Zugang mehr zu anderen kulturellen Vorstellungen haben, so Andrea Lehner-Hartmann.

Die Theologin ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Praktische Theologie der Uni Wien. „Der Zwang ist dann einzementiert“, sagte sie im Gespräch mit der APA vor einer Konferenz zum Thema am Samstag in Wien. Am Mittwoch (16. Jänner) soll der Gesetzesvorschlag im Unterrichtsausschuss behandelt werden. Geplant ist ein Beschluss als Verfassungsbestimmung, wozu die Zustimmung von NEOS oder SPÖ nötig wäre.

Auch ein eventueller Druck auf die Mädchen, sich zu verhüllen, gehe durch ein Verbot nicht weg. „Dann gehen sie bis zur Schule mit dem Kopftuch und nehmen es davor ab“, so Lehner-Hartmann im Gespräch mit der APA im Vorfeld der Tagung „Verhüllungsverbot an österreichischen Volksschulen: Hintergründe, Risiken, Nutzen“ an der Universität Wien. Die Mädchen würden dann genötigt, zwischen verschiedenen Welten zu wechseln.

Muslimisches Mädchen in der Volksschule mit Kopftuch schreibt

APA/Keystone/Georgios Kefalas

Die Regierung plant ein Kopftuchverbot in Volksschulen

Mit Fremdbestimmung gegen Fremdbestimmung

Wenn Kinder von den Eltern, einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Community zu etwas gezwungen werden, müsse man handeln, betont Lehner-Hartmann. „Doch hier will man gegen eine Fremdbestimmung vorgehen und antwortet mit Fremdbestimmung durch den Staat.“ Die geplanten Strafen von bis zu 440 Euro findet sie dabei „absolut nicht adäquat“.

Veranstaltungshinweis

Konferenz „Verhüllungsverbot an österreichischen Volksschulen: Hintergründe, Risiken, Nutzen“, Samstag, 12. Jänner, im BIG Hörsaal im Hauptgebäude der Universität Wien am Universitätsring 1, Hof 1.

Aus Lehner-Hartmanns Sicht wäre ein Kopftuchverbot nicht nur keine Hilfe für Betroffene, von denen es zudem nur wenige Fälle gebe. „Es geht dabei um das Agieren gegen eine bestimmte Religion und dagegen verwehre ich mich. Welche Konsequenzen soll das haben als Radikalisierung, Parallelgesellschaften und Ausgrenzung?“

Zwang in Erziehung verboten

Selbst wenn die Intention der Einzelpersonen hinter dem Gesetz kein „Islambashing“ sei, werde es von der Gesellschaft so aufgegriffen. „Anders kann ich mir das Bespucken von kopftuchtragenden Frauen nicht erklären, das im Zuge dieser Debatte erfolgt. Ich vermute, dass es manchen auch ganz recht ist, dass sich das in der Gesellschaft radikalisiert.“

Lehner-Hartmann plädiert für pädagogische Lösungen anstelle von Verboten. Man müsse mehr mit den Eltern reden, die ihren Töchtern bereits im Volksschulalter ein Kopftuch anlegen, und ihnen gegebenenfalls auch vermitteln, dass Zwang in der Erziehung - egal ob beim Kopftuch oder anderswo - in Österreich verboten ist.

Unterstützung ja, Verbot nein

Die Lehrer dürften hier allerdings nicht allein gelassen werden, betont Lehner-Hartmann. „Manchmal reicht ein aufklärendes Gespräch, beim nächsten braucht es vielleicht sozialarbeiterische Unterstützung in der gesamten Familie - und das können einzelne Lehrer natürlich nicht leisten. Aber zu meinen, das mit einem Verbot zu beheben, halte ich für blauäugig.“

Außerdem müsse man die Kinder darin bestärken, dass Zwang nicht zulässig ist und ihnen zeigen, dass es Ansprechpersonen für sie gibt, falls sie sich zu etwas gezwungen fühlen. „Das Wichtigste ist es, den Kindern zu zeigen, dass sie dazugehören, auch wenn sie eine andere Religion haben.“ Auch bei den Eltern müsse man ein Gefühl von Zugehörigkeit und Anerkennung unabhängig von Religion, Hautfarbe und kulturellem Hintergrund bewirken. Erst auf dieser Basis könne man gemeinsam Konfliktfragen verhandeln, so die Theologin.

Politische Stimmung gegen Muslime

In Österreich passiere seit Jahren das Gegenteil: Es werde politisch Stimmung gemacht gegen Muslime, die das Gefühl bekämen, ohnehin keine Chance auf Zugehörigkeit zu haben. „Wer gibt denn den Jugendlichen eine Orientierung, wenn sie nur in einer Parallelgesellschaft aufwachsen können?“

An islamisch-konfessionellen Volksschulen tragen laut Islamischer Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) weniger als 15 Prozent der Mädchen Kopftuch. Dass Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren sich aus eigenem Antrieb für das Tragen des Kopftuchs entscheiden, glaubt auch Lehner-Hartmann nicht. Hier müsse der Staat „genau hinzuschauen, welche Ideologien von den Betreibern oder Religionslehrern mit dem Kopftuchtragen verbunden werden“.

Initiativantrag zu Kopftuchverbot

Unabhängig von der Kopftuchfrage appelliert sie für stärkere staatliche Kontrollen an den Privatschulen - und zwar bei allen Konfessionen. „Man fragt sich immer wieder, wieso manche Schulen überhaupt aufsperren durften. Den Schulen gilt es durchaus auf die Finger zu schauen.“ Dadurch könne man Schüler wesentlich besser schützen vor religiöser Indoktrinierung als mit „Symbolpolitik“ wie dem Kopftuchverbot.

Mit einem Initiativantrag im Nationalrat wollen ÖVP und FPÖ ein Kopftuchverbot an Volksschulen implementieren - wobei gesetzestechnisch allerdings nicht nur Kopftücher angesprochen werden. Vielmehr soll generell „das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist“, untersagt werden.

Soll Integration dienen

Begründet wird dies im Gesetzesantrag mit „der sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau“. Unter anderem wird in den Erläuterungen argumentiert, dass mit dem Verbot auch die Information über den körperlichen Entwicklungsstand, das Religionsbekenntnis bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Islam-Ausrichtung geschützt werden soll.

Die Verhüllung des Hauptes bzw. das Tragen des Kopftuchs zeige nämlich das Erreichen der Geschlechtsreife an, die Art der Trageweise unter Umständen die Anhängerschaft zu einer bestimmten Gemeinschaft bzw. auch die Einhaltung bestimmter religiöser Regeln und die familiäre Situation.

Alle Haar-Verhüllungen betroffen

Unter „Verhüllung des Hauptes“ soll laut Erläuterungen „jede Art von Bekleidung, welche das gesamte Haupthaar oder große Teile dessen verhüllt“, umfasst sein. Explizit in den Erläuterungen erwähnt wird aber nur das Kopftuch. Betroffen wären aber auch Sikhs, bei denen die Buben und Männer ihr Haupthaar bedecken - mehr dazu in Kopfverhüllungsverbot: Aufregung bei Sikhs. Ausgenommen sind Verbände aus medizinischen Gründen bzw. Kopfbedeckungen aus Witterungsgründen.

Bei einem Verstoß muss der Direktor unverzüglich die Bildungsdirektion verständigen, die wiederum die Eltern innerhalb von vier Schultagen zu einem verpflichtenden Gespräch zu laden hat. Erscheint das Kind erneut mit Kopftuch bzw. einer ähnlichen Bedeckung oder erscheinen die Eltern trotz Mahnung nicht zum Gespräch, ist dies mit einer Geldstrafe von bis zu 440 Euro zu ahnden.

religion.ORF.at/APA

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