Kopftuchverbot: Uneinigkeit bei Experten

Volksschulkinder sollten kein Kopftuch tragen - darüber waren sich Fachleute am Wochenende an der Uni Wien bei der Tagung über ein Verhüllungsverbot einig. Kritik am geplanten Kopftuchverbot gab es dennoch und im Vorfeld auch an der Veranstaltung selbst.

Bei der Veranstaltung des Instituts für Islamisch-Theologische Studien „Verhüllungsverbot an österreichischen Volksschulen: Hintergründe, Risiken, Nutzen“ diskutierten Fachleute aus den Bereichen der islamischen sowie katholischen Theologie, der Rechtswissenschaften und Pädagogik den ganzen Samstag das brisante politische Thema. Die meisten Expertinnen und Experten bezweifelten die Sinnhaftigkeit eines Kopftuchverbotes und sprachen sich für den Weg aus, Überzeugungsarbeit bei betroffenen Eltern zu leisten.

IGGÖ-Schulamtsleiterin sagte ab

Bei der politischen Podiumsdiskussion am Nachmittag, an der eigentlich auch FPÖ-Integrationsministerin Karin Kneissl teilnehmen sollte, war der Großteil der Diskutierenden allerdings einem Kopftuchverbot zugeneigt. Im Programm angekündigt, aber nicht dabei war auch die Frauensprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) Carla Amina Baghajati.

Sie hatte nach Bekanntwerden des Programms am Dienstag ihre Teilnahme abgesagt, weil die Zusammensetzung des Panels ohne Rücksprache mit Baghajati geändert worden war, wie Baghajati gegenüber religion.ORF.at erklärte. Die Leiterin des Schulamtes der IGGÖ hatte einer Diskussion mit Politikerinnen und Politikern nicht zugestimmt, sondern einer Debatte mit einer Bildunsgexpertin und dem Historiker Heiko Heinisch, so Baghajati. Danach hätte eine politische Debatte stattfinden sollen. Das Panel, dem sie nachträglich zugeordnet worden war, sei nicht ausgewogen, so Baghajati. Eine Tatsache, die auch in Sozialen Netzwerken für heftige Kritik sorgte. Baghajati wäre die einzige gewesen, die gegen ein Kopftuchverbot eingestellt ist.

Carla Amina Baghajati

Kathbild/Franz Josef Rupprecht

IGGÖ-Schulamtsleiterin Carla Amina Baghajati

Verbot geht nicht weit genug

Heinisch sprach sich bei der von dem Journalisten Michael Fleischhacker geleiteten nunmehr rein mit Männern besetzten Podiumdiskussion für einen kopftuchfreien Raum aus. Er berichtete von „Kopftuch-Mobbing“ religiöser Peergroups, die Druck auf Mädchen ausüben, wenn sie kein Kopftuch trügen oder etwa im Ramadan nicht fasteten. Lehrerinnen und Lehrer hätten hier kaum Möglichkeiten den Mädchen zu helfen, die vielfach zur Unterstützung der Schulen geforderten Sozialarbeiter könnten das Problem ebenfalls nicht lösen.

Der Einwand, ob ein Gesetz angesichts der vermutlich nur geringen Zahl betroffener Mädchen notwendig sei, nennt für Heinisch eine „Nebelgranate“. Bis zur ersten Studie über islamische Kindergärten in Wien habe man das Thema dort auch negiert, obwohl einzelne Kindergärten mit Broschüren mit kopftuchtragenden kleinen Mädchen geworben hätten.

Kritik am Ton der Debatte

Die Tonalität der Debatte über Kinder mit Kopftuch kritisierte Soziologe und Politikberater Kenan Güngör. „Es nicht anzusprechen wäre höchst problematisch, es geht aber um das Wie.“ Derzeit würden „Teile der Regierung eine von Ressentiments geleitete Politik betreiben“ und damit bei österreichischen Muslimen „große Unsicherheit“ erzeugen. Diese würden sich angesichts des Kopftuchverbots in Kindergarten und Volksschule die Frage stellen, was Muslimen als nächstes verboten wird. Das Ziel der Regierung, durch ein Kopftuchverbot den konservativen Islam zu schwächen, werde dadurch möglicherweise sogar konterkariert.

Kenan Güngör, Soziologe und Integrationsexperte

ORF

Soziologe Kenan Güngör

Problematisch ist in diesem Zusammenhang für Güngör auch, dass die IGGÖ in Österreich als Vertretung der Muslime gilt. In diesem Dachverband seien bestimmte Vereine mit teils problematischen Sichtwesen strukturell überbewertet, die IGGÖ könne weder zahlenmäßig noch inhaltlich für die Mehrheit der österreichischen Muslime sprechen.

Gesetz für Stimmungsmache

Für den Religionspädagogen und Grundrechtsexperten Michael Kramer, der anstelle von Baghajati an der Diskussion teilnahm, ist „das Vorhaben richtig und wichtig, aber die Umsetzung durch ein Gesetz ist falsch“. In Österreich sei es bisher üblich gewesen, miteinander zu reden und gemeinsam eine Lösung zu finden. Der Regierung scheine es mehr um die Mobilisierung ihres Wählerklientels zu gehen als um das Kindeswohl, es werde Politik gegen den Islam gemacht und bereits Kinder stigmatisiert.

Auch der Wiener NEOS-Klubchef Christoph Wiederkehr beklagte, dass mit dem Gesetz „gegen eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft Stimmung gemacht“ werde. Man müsse unbedingt über religiöse Symbole diskutieren. Die NEOS wünschen sich sogar generell einen „religionsneutralen Ort Schule bis 14“, wo Kindern nicht frühzeitig durch religiöse Kleidung einen Stempel aufgedrückt werde, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören. „Aber eine Stigmatisierung von Muslimen hat in Österreich nichts zu suchen.“

Regierung „geht behutsam vor“

Der Regierung gehe es nicht um politische Stimmungsmache, betonte hingegen Martin Kienl, Koordinator der Integrationsagenden im Außenministerium und in Vertretung von Ministerin Kneissl am Podium. Dass zuerst ein Kopftuchverbot für den Kindergarten und nun nur für die Volksschule kommen soll, zeige, „wie behutsam die Regierung damit umgeht“. Auch im Regierungsprogramm - laut Kienl das „Heiligtum der Regierung“ - werde klar unterschieden zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als Ideologie.

Eine Flucht vor dem Kopftuchverbot an Volksschulen in den häuslichen Unterricht scheint man in der Regierung nicht zu befürchten. Das sei „müßig vorherzusehen“, meinte Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), der die Diskussion als Zuhörer verfolgte, auf die Frage von Stefan Schima vom Institut für Rechtsphilosophie, der nach seinem Vortrag die Tagung im Publikum verfolgte. Faßmann rechne damit, dass häuslicher Unterricht, bei dem die Leistung per Externistenprüfung nachgewiesen werden muss, weiter ein „Minderheitenprogramm“ bleibt. Von den rund 1,1 Millionen Schülern in Österreich werden rund 2.000 daheim unterrichtet.

akin, religion.ORF.at/APA

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