Wiener Oberrabbiner besuchte Benedikt XVI.

Eine Delegation orthodoxer jüdischer Rabbiner rund um den Wiener Oberrabbiner Arie Folger hat sich mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. getroffen.

Die Begegnung im Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten folgte auf eine im vergangenen Jahr schriftlich geführte Auseinandersetzung um einen Aufsatz Benedikts XVI. über das Verhältnis von Christen und Juden und Überlegungen, wie 50 Jahre nach dem Konzilsdekret „Nostra aetate“ der Dialog theologisch vertieft werden kann. Missverständnisse zwischen beiden Seiten seien inzwischen ausgeräumt, sagte der Stuttgarter Rabbiner Yehuda Pushkin dem vatikanischen Internetportal Vatican News am Freitag.

Ein „schönes, gutes Gespräch“

Das Treffen mit Benedikt XVI. fand demnach bereits am Mittwoch statt. Oberrabbiner Folger sagte danach gegenüber Vatican News, es sei ein „schönes, gutes Gespräch“ gewesen. Man könne sich einen Dialog mit den Katholiken über den Punkt der Landverheißung an die Juden vorstellen; darüber habe er den emeritierten Papst informiert. Ein weiteres Gespräch habe es mit Kurienkardinal Kurt Koch gegeben, der im Vatikan für die Beziehungen zum Judentum zuständig ist und der die Veröffentlichung des Aufsatzes von Benedikt XVI. im Sommer 2018 in der Zeitschrift „Communio“ mit einem Vorwort begleitet hatte.

Der Oberrabbiner Arie Folger

APA/Roland Schlager

Der Wiener Oberrabbiner Arie Folger

Der Artikel „Gnade und Berufung ohne Reue“ des emeritierten Papstes war ursprünglich nur für den internen Gebrauch am päpstlichen Einheitsrat gedacht. Mit Billigung Benedikts XVI. erschien er im Sommer 2018 in der von Joseph Ratzinger mitgegründeten und vom Wiener Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück geleiteten theologischen Zeitschrift „Communio“. In der folgenden kritischen Fachdebatte meldeten sich vor allem jüdische wie katholische Stimmen aus dem deutschen Sprachraum zu Wort.

Briefwechsel im Vorfeld

Oberrabbiner Folger publizierte in der Zeitung „Jüdische Allgemeine“ eine Replik, die Benedikt XVI. in einem persönlichen Brief ausführlich beantwortete. Folger reagierte seinerseits mit einem Schreiben, in dem er Übereinstimmungen, aber auch klärungsbedürftige Fragen festhielt. Der Briefwechsel erschien wiederum mit Einverständnis des emeritierten Papstes in der „Communio“.

Es habe sich die Frage gestellt, ob Benedikt XVI. mit seinem Text hinter die Konzilserklärung „Nostra aetate“ über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum zurückgehe, erinnerte der Stuttgarter Rabbiner Pushkin gegenüber Vatican News nun noch einmal an den Beginn der Kontroverse. Nach den Gesprächen in dieser Woche im Vatikan sei er „auf jeden Fall beruhigt“.

Die Rabbiner könnten „dieses Beruhigungsgefühl in der jüdischen Welt Deutschlands weiter mitteilen“, so Pushkin. Ein weitere Teilnehmer der Begegnung, der Darmstädter Rabbiner Jehoschua Ahrens, sagte, auch die Kontroverse um Benedikt XVI. zeige, „dass es konstruktiv weitergeht, dass so etwas keine Dellen hinterlässt“. Höhen und Tiefen im katholisch-jüdischen Dialog seien „ganz normal“. Heute seien die Beziehungen so gut wie nie zuvor.

Standards im nachkonziliaren Dialog überdenken

In seinem Text problematisiert Benedikt XVI. zwei „Standards“ des nachkonziliaren jüdisch-christlichen Dialogs: So hält er die geläufige Ablehnung der sogenannten „Substitutionstheorie“, der zufolge die Kirche die heilsgeschichtliche Rolle Israels ersetzt habe, für nachbesserungsbedürftig.

Die theologische Tradition habe nicht von „Substitution“ gesprochen, schreibt Benedikt. Präzisierungen verlange außerdem die Rede vom „nie gekündigten Bund“ - eine Formulierung, die Papst Johannes Paul II. 1980 erstmals gebraucht hat: „Kündigen“ sei keine biblische Vokabel, außerdem sei in der Bibel vom Bund nicht im Singular, sondern oft im Plural die Rede - es gebe eine ganze Reihe von Bundesschlüssen, die von Noah über Abraham und Mose bis zur prophetischen Rede vom neuen Bund reiche.

In der Debatte kontrovers diskutiert wurden außerdem die Ausführungen Benedikts zur biblischen Landverheißung an Israel. In seinem „Communio“-Text hieß es, dass die Staatsgründung Israels zwar „nicht unmittelbar aus der Heiligen Schrift abgeleitet werden“ könne, aber „in einem weiteren Sinn die Treue Gottes zum Volk Israel“ ausdrücke.

„Versuchen, einander positiv wahrzunehmen“

Selbstverständlich hätten Juden und Christen darüber Meinungsverschiedenheiten, meinte Oberrabbiner Folger jetzt im Vatican-News-Interview, „aber wir sind jetzt in diesem Schwung, wo wir versuchen, einander positiv wahrzunehmen“. Die katholische Kirche könne und solle sich fragen, wie sie „diese junge energetische jüdische Demokratie, die nicht nur aus Juden besteht, und wo die Rechte der Minderheiten trotz aller Kontroversen stark geschützt werden“, wertschätzen und unterstützen könne.

Er selbst, so Folger, „glaube nicht, dass es vernünftig und zumutbar ist zu sagen, wenn Juden aus Israel vertrieben wurden, hat das eine religiöse Bedeutung, aber wenn Juden zurückkommen, hat das keine religiöse Bedeutung“.

Wortwahl nicht glücklich

Folger äußerte sich auch zur Bezeichnung „Ältere Brüder im Glauben“ für die Juden, die Papst Johannes Paul II. (1978-2005) geprägt hatte. Der Wiener Oberrabbiner halt diese Wortwahl für nicht glücklich, denn „wir reden miteinander auf Augenhöhe“. Die Rede vom „älteren Bruder“ und „jüngeren Bruder“ sei „eigentlich eine innerchristliche Terminologie“, er könne „damit aus jüdisch-theologischer Sicht nicht so viel anfangen“.

Die Beziehung zwischen Christentum und Judentum sei „asymmetrisch“, weil das Judentum älter sei. Dennoch hätten beide Religionen viele Werte und Ideen gemeinsam, „und wir wollen auch gewisse ähnliche wichtige Dinge für die Welt und die Gesellschaft. Deshalb nennen wir die Katholiken Partner, Brüder, Verbündete im Versuch, Dinge für die Welt zu tun“.

religion.ORF.at/KAP

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