90 Jahre Lateranverträge Vatikan-Italien

Am 11. Februar 1929 haben das vom faschistischen Diktator Benito Mussolini vertretene Königreich Italien und der Heilige Stuhl die Lateranverträge abgeschlossen, die den Status des Vatikanstaats regelten.

Papst Pius XI. schloss mit der faschistischen Regierung Italiens die Lateranverträge, durch die der Vatikan seinen eigenständigen Status und völkerrechtliche Souveränität erhielt. Die Verträge beendeten einen 60 Jahre dauernden Konflikt um den Status des Vatikans und regelten die Beziehungen zum italienischen Staat nach der Auflösung des Kirchenstaats 1870.

Im Wesentlichen erkannte der Papst mit den Verträgen die Stadt Rom als Sitz der italienischen Regierung an, während der italienische Staat die politische und territoriale Souveränität des Vatikans garantiert. Der neu geschaffene Vatikanstaat Vatikanstadt (Stato della Citta del Vaticano) ist der kleinste Staat der Welt. Der Name der Verträge leitet sich vom Ort der Unterzeichnung, dem Lateranpalast, ab.

Souveränität ermöglicht

Die Verträge waren zum Nutzen beider Seiten. Es seien schon die demaktratischen katholischen Strukturen geopfert worden, sagte der Kirchenhistoriker Rupert Klieber gegenüber religion.ORF.at. Mussolini wollte sich damit zusätzliche Legitimität verschaffen und erreichte eine Einigung der überwiegend katholischen Gesellschaft, die über 60 Jahre in einem Loyalitätskonflikt zwischen König und Papst gestanden sei, so Klieber.

Mit den dreiteiligen Verträgen (Staatsvertrag, Konkordat und Finanzkonvention) wurde dem Papst die weltliche Souveränität über den Vatikan zuerkannt, zudem wurden als Entschädigung für Gebietsverluste beträchtliche Geldsummen zur Verfügung gestellt und eine Anzahl von Palästen und Basiliken in Rom sowie die päpstliche Villa in Castel Gandolfo für exterritorial erklärt.

Unterzeichnung der Lateranverträge zwischen Vatikan und dem faschistischen Italien. Duce Benito Mussolini und Kardinal Gasparri

APA/OFF/AFP

Der „Duce“ Benito Mussolini (rechts sitzend) und Kardinal Gasparri (links sitzend) bei der Unterzeichnung der Lateranverträge zwischen dem Heiligen Stuhl und dem faschistischen Italien

Der Papst erkannte seinerseits das Königreich Italien einschließlich der Hauptstadt Rom an. Als treibende Kraft für die Verträge gilt Kardinalstaassekretär Pietro Gasparri, der allerdings ein Jahr nach Unterzeichnung zurücktrat. Es gibt Hinweise, dass dem Papst Gasparris Nachgiebigkeit gegenüber Mussolini zu weit ging.

„Zuckerbrot und Peitsche“

Pius XI. setzte auf die Faschisten, weil er sich von ihnen den bestmöglichen Schutz für seine Kirche erhoffte. Er war ein Problemlöser und wollte die katholische Kirche wieder stärken und hätte auch mit dem Teufel paktiert, wenn es der Sache gedient hätte, wie Klieber in einem Beitrag für die „Presse“-Beilage Spektrum am Samstag schrieb. Es sei ein „diplomatischer Geniestreich“ gewesen, der in der demokratischen Welt durchaus auf Kritik gestoßen sei, so der Kirchenhistoriker. Pius XI. habe kein Problem mit autoritären Regimen gehabt, er selbst habe ebenfalls einen autoritären Führungsstil gezeigt. Pius

Mussolini wusste den Papst, dessen Fürsprache für ihn im fast zu hundert Prozent katholischen Italien politisch wichtig war, zu nehmen: Mit Zuckerbrot und Peitsche sorgte der Faschistenführer dafür, dass Pius - oft zähneknirschend - der faschistischen Partei gegenüber offiziell freundlich auftrat. Klappte das nicht, gingen faschistische Schlägertruppen mit brutaler Gewalt gegen Priester und katholische Aktivisten vor, schrieb der amerikanische Historikers David I. Kertzer in seinem Buch „Der erste Stellvertreter. Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus“.

Ende der „Eiszeit“ Vatikan-Italien

Vor den Verträgen hatte fast 60 Jahren eine eisige Atmosphäre zwischen dem Königreich und dem Kirchenoberhaupt geherrscht. Italienische Truppen begannen Ende August 1870, den Kirchenstaat zu erobern, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Am 20. September 1870 wurde Rom eingenommen. Gedemütigt und entmachtet, mussten die folgenden Päpste in der Enge des heutigen Vatikanstaats bleiben.

Eine Volksabstimmung - die vorerst letzte von insgesamt zehn entsprechenden Plebisziten in den einzelnen Regionen Italiens im Verlauf von zehn Jahren - ergab eine breite Zustimmung für die Vereinigung des Kirchenstaats mit Italien. Die Vereinigung wurde am 6. Oktober 1870 durch königliches Dekret proklamiert. Damit war die Einigung Italiens und mit ihr das Ziel des „Risorgimento“ („Wiedererstehung“ des italienischen Staates) vollendet. 1871 wurde die italienische Hauptstadt von Florenz nach Rom verlegt.

Papst Pius IX.: „Gefangener im Vatikan“

Die Päpste hatten ihren Sitz weiterhin im Vatikan. In den sogenannten Garantiegesetzen vom Mai 1871 wurde seine Stellung in der italienischen Hauptstadt geregelt, wenn auch zunächst nur einseitig von der italienischen Regierung ausgehend. Pius IX. (Papst von 1846 bis 1878) und seine unmittelbaren Nachfolger Leo XIII. und Pius X. erkannten jedoch weder die gesetzlichen Regelungen für den Vatikan noch das neue Italien an und lehnten jede offizielle diplomatische Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern ab.

Der Streit um den Status der katholischen Kirche und die zunächst nicht formell geregelte eigenstaatliche Unabhängigkeit des Vatikans blieb ein lange schwelender Konflikt. Pius IX. betrachtete sich selbst als „Gefangener im Vatikan“. Die Urheber und Teilnehmer an der Einnahme des Kirchenstaates belegte er mit dem Kirchenbann.

Modernisierung des Konkordats 1984

Erst mit den Lateranverträgen zwischen Papst Pius XI. und der ab Oktober 1922 faschistischen italienischen Regierung - wobei formell weiter der König an der Spitze stand -, in denen der Heilige Stuhl Rom als Hauptstadt Italiens und Sitz der italienischen Regierung anerkannte, wurde die politische und staatliche Souveränität des Vatikans durch Italien garantiert.

1984 wurde dann eine Modernisierung des Konkordats vorgenommen, der „Accordo di Villa Madama“. Mit ihm wurde auch ein europaweit gelobtes Kirchenfinanzierungssystem eingeführt, das „Otto per mille“. Es ermöglicht Lohnsteuerpflichtigen, 0,8 Prozent der Steuervorschreibung wahlweise der Kirche oder einzelnen Sozial-, Entwicklungs- und Denkmalschutz-Vorhaben zu widmen.

gold, religion.ORF.at/KAP

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