Armenien: Caritas gibt Kindern Perspektiven

Unter dem Motto „lachen > leiden“ sammelt die österreichische Caritas derzeit Spenden für Kinder in Not, auch in Armenien. Kindern soll dort der Zugang zu Bildung und Perspektiven für die Zukunft ermöglicht werden.

In der Kaukasusrepublik Armenien haben nach der sogenannten „Samtenen Revolution“ im Vorjahr viele Menschen Hoffnung geschöpft, doch die Gegenwart sieht für viele noch sehr trist aus, wie die Ö1-Sendung „Lebenskunst - Begegnungen am Sonntagmorgen“ berichtete.

Seit einem schweren Erdbeben am 7. Dezember 1988 ist vieles noch desolat. In Gymri, der zweitgrößten Stadt Armeniens, ist damals um genau 11.41 Uhr die Zeiger der Turmuhr stehen geblieben, als die Katastrophe über die Stadt herein brach. Bis zu 25.000 sind Menschen gestorben, 2,5 Millionen wurden obdachlos. Mit internationaler Hilfe wurden damals Holzcontainer, sogenannte Domiks, aufgestellt als Notquartiere. Doch manche, wie die 39-jährige Marine Matevosyan, schafften es nie heraus aus dem Domik.

Die beim Erdbeben 1988 zerstörte Kirche in Gymri wurde bisher nur äußerlich wieder aufgebaut. Benützbar ist sie nicht.

ORF/Alexandra Mantler

Die beim Erdbeben 1988 zerstörte Kirche in Gymri wurde bisher nur äußerlich wieder aufgebaut - benützt wird sie nicht

„Meine Eltern sind da nach dem Erdbeben eingezogen“, erzählt Marine Matevosyan. „Ich bin hier aufgewachsen. Irgendwann haben meine Eltern eine Wohnung bekommen, aber ich bin geblieben, habe geheiratet, Kinder bekommen.“

Tagelöhner-Jobs

Ihr Ehemann ist - wie viele der Männer hier - als Saisonarbeiter nach Russland gegangen und nach der Saison nicht wiedergekommen. Geld schickt er keines. Nur ein, zwei Mal im Jahr ruft er an, will die Kinder sprechen. „Aber nur, wenn er betrunken ist“, setzt sie bitter hinzu. Sie versucht sich, den elfjährigen Jivan, die siebenjährige Gayane und den fünfjährigen Monte mit Tagelöhner-Jobs in der Landwirtschaft durchzubringen.

Sendungshinweise:

„Praxis - Religion und Gesellschaft“, Mittwoch, 13,2,2019, 16.05 Uhr, Ö1.

Und „Lebenskunst - Begegnungen am Sonntagmorgen“ vom 10.2.2019 zum Nachhören.

Dazu kommen umgerechnet 65 Euro Kinderbeihilfe pro Monat. Vor allem die kleine Gayane plaudert munter mit den Besuchern und schiebt sich immer wieder das blecherne Diadem, das der Weihnachtsmann gebracht hat, aus der Stirn. Sie lerne so brav in der Schule, erzählt ihre Mutter stolz.

Marina Matevosyan mit ihren Kindern Jivan, Gayane und  Monte

ORF/Alexandra Mantler

Marine Matevosyan ist im Notquartier aufgewachsen und geblieben

Die Kinder sollen es besser haben

Doch dann stehen in Matevosyans Augen plötzlich Tränen. „Für mich erwarte ich nichts mehr“, sagt die 39-Jährige. Nur die Kinder sollen es einmal besser haben. Besser als hier im Holzcontainer ohne Bad, wo man bei bis zu 30 Grad minus durch den Schnee zum Plumpsklo stapfen muss. Wo ein abgetretener Teppich die Rattenlöcher im Fußboden überdeckt. Wo ein kleiner Ofen mit Müll geheizt wird und der Gestank von verbranntem Plastik den Raum erfüllt.

„Am schlimmsten sind die Kälte und die Ratten“, sagt sie. „Ohne die Winterhilfe der Caritas wüsste ich nicht, was ich machen soll.“ Durch die Hilfsorganisation bekommt sie einen Heizkostenzuschuss für Brennholz oder Gas, Nahrung oder medizinische Versorgung. Das Nötigste eben.

Gesunde Jause für Kindergärten

Die österreichische Caritas unterstützt hier in Armenien aber auch Vorschulbildung in Kindergärten. Diese sind nicht gratis, darum besuchen auch nur 22 Prozent der Buben und Mädchen solche Einrichtungen. Die meisten Familien können sich das nicht leisten und die anderen können nur wenig zahlen. So haben vor allem Kindergärten in den ärmsten Wohngegenden auch wenig finanzielle Mittel zur Verfügung, um etwa für eine gesunde Jause aufkommen zu können.

Genau hier springe die Caritas ein, erklärt Armine Muradyan, die Leiterin des Kindergartens „Rainbow“ in Gymri. „Die meisten unserer Kinder kommen aus armen Familien und was sie zu Hause zu essen bekommen, ist oft von schlechter Qualität und ungesund.“ Meist bekämen die Kinder zu viele Kohlenhydrate, weil Erdäpfel und Nudeln am billigsten seien und satt machen.

Eine Küche in einer Notunterkunft in Gyümri in Armenien

ORF/Alexandra Mantler

Viele Notunterkünfte sind nach dem Erdbeben 1988 zu Dauerunterkünften geworden

„Aber es gibt kein Obst, kein Gemüse, kein Fleisch und keine Milchprodukte“, seufzt Muradyan. Doch im Kindergarten bekämen sie mit Hilfe der Caritas eine ausgewogene Ernährung. „Das ist sehr wichtig für die Entwicklung der Kinder, nicht nur für die körperliche, auch für die geistige.“

„Der kleine Prinz“ als Vorbild

Im rund eine Autostunde nördlich von Gymri gelegenen Wanadsor besuchen wir eines von insgesamt fünf Sozialzentren, die die Caritas hier in Armenien aufgebaut hat. Der Name „Der kleine Prinz“ nach der Hauptfigur des Buches von Antoine de Saint-Exupery ist nicht zufällig gewählt. Der „kleine Prinz“ stehe nämlich „für die Selbstermächtigung und den Blick auf die Einzigartigkeit, Fähigkeiten und Schönheit jedes Menschen“, heißt es in der Selbstbeschreibung des Zentrums.

Hier gehe es vor allem um Jugendliche aus sozial schwachen Familien, die mit jeder Menge Schwierigkeiten zu kämpfen haben, erklärt die Projektleiterin Arevik Turmasian. Viele der Jugendlichen würden die Schule abbrechen, einige der Burschen ins kleinkriminelle Milieu abrutschen und vor allem die Mädchen über sehr wenig Selbstbewusstsein verfügen. Im Zentrum bekommen die Kinder gezielte Unterstützung von Sozialarbeitern und Psychologinnen.

Vom „Problemkind“ zur Polizistin

So hat auch die 26-jährige Susanna Kakobyan ihren Weg gemacht vom „Problemkind“ zur selbstbewussten jungen Frau. In Uniform mit schwarzer Pelzkappe begrüßt sie uns im Zentrum „Kleiner Prinz“. Sie ist immer wieder hier, um ein wenig von dem, was ihr zuteil wurde, zurückzugeben.

Polizistin Susanna Kakobyan

ORF/Alexandra Mantler

Aus dem ehemaligen „Problemkind“ Susanna Kakobyan ist eine Polizistin geworden

„Als ich 12 war, da hatte ich echt Probleme“, erzählt sie. „Ich konnte nicht mit anderen vernünftig kommunizieren. Ich war irrsinnig aggressiv.“ Ob sie das von Zuhause so mitbekommen habe, fragen wir nach. „Nein, das lag nicht an meiner Familie“, widerspricht Susanna, „sondern einfach an der Gegend hier, an den falschen Freunden, am Herumhängen. Hier im Zentrum habe ich gelernt, wie ich mit anderen Menschen umgehen kann, was es heißt, Kontakte zu knüpfen, ich habe wirklich gute Freunde gefunden und bin insgesamt einfach ruhiger geworden.“

Kinder als Gegenwart und Zukunft

Heute ist Susanna Kakobyan Polizistin und meint: „Wenn man mich braucht, bin ich immer für die Jugendlichen hier im Zentrum da. Aber auch, wenn es um andere Jugendliche geht, die bei mir auf der Polizei landen, dann versuche ich die richtigen Entscheidungen zu treffen, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen.“

Auch Caritas-Präsident Michael Landau hat sich vor Ort in Armenien ein Bild gemacht, von den Projekten, die hier mit Spenden aus Österreich unterstützt werden. „Wenn Kinder Kälte und Krisen schutzlos ausgeliefert sind, dann ist das eine Katastrophe. Wenn Kinder nicht lernen dürfen oder können, dann hat auch das katastrophale Auswirkungen auf ihr ganzes Leben und die Gesellschaft, in der sie aufwachsen.“ Denn Kinder seien „Gegenwart und Zukunft einer Gesellschaft“, so Landau.

Große Pläne für die Zukunft

Insgesamt versorgt die Caritas monatlich 6.800 Kinder in Einrichtungen in Osteuropa mit einem warmen Essen. Im Zuge der aktuellen Spendenkampagne hat man es sich zum Ziel gesetzt, für jedes dieser Kinder eine Patin oder einen Paten zu finden, der mit 20 Euro im Monat täglich eine warme Mahlzeit finanziert.

Die siebenjährige Gayane mit dem Blech-Diadem, die mit Mutter Marine Matevosyan und ihren Brüdern im Holzcontainer lebt, hat jedenfalls große Pläne für die Zukunft. Was sie einmal werden will? Sängerin. Oder Köchin. Oder doch Prinzessin?

Alexandra Mantler, Ö1 und religion.ORF.at

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