Schönborn: Standards gegen Missbrauch nötig

Kardinal Christoph Schönborn erwartet sich vom anstehenden Antimissbrauchsgipfel im Vatikan einen neuen Bewusstseinsstand und weltweit gleiche Standards für Missbrauchsfälle.

Das hat Schönborn am Wochenende im Interview mit „Kathpress“ und der APA betont. „Nur wenn allen bewusst ist, was Missbrauch ist, warum es dazu kommt und was dagegen zu tun ist, können wir weltweit gemeinsame Standards einführen“, so Schönborn wörtlich. Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz wird als Vertreter der Kirche in Österreich von Donnerstag bis Sonntag an den Beratungen in Rom unter dem Vorsitz von Papst Franziskus teilnehmen.

„Opfer an erster Stelle“

Schönborn wies darauf hin, dass der Vatikan eigentlich schon unter Papst Benedikt XVI. präzise Regeln hinsichtlich der Missbrauchsproblematik vorgegeben habe, die eigentlich längst alle Bischofskonferenz hätten umsetzen müssen. In Österreich sei man diesen Weg mit Entschiedenheit gegangen, so der Kardinal. Doch was in Österreich längst Standard ist, sei es eben in vielen Ländern der Welt noch nicht.

Kardinal Christoph Schönborn

APA/Hans Punz

Kardinal Christoph Schönborn erwartet sich mehr Bewusstsein für und einheitliche Standrads bei Missbrauchsfällen

„Papst Franziskus möchte deshalb nicht nur einen gemeinsamen Bewusstseinsstand erreichen, sondern dass die Umsetzung der klaren und auch sehr strengen Richtlinien auch wirklich von allen ernst genommen wird.“ Überall auf der Welt müsse der Grundsatz gelten, „dass die Opfer an erster Stelle stehen und nicht die Institution bzw. der Ruf der Institution“. Es gelte, „den Opfern eine Stimme zu geben“.

Schmerzliche Wahrheit

Papst Franziskus habe deshalb im Vorfeld des Vatikan-Gipfels alle Bischofskonferenz-Vorsitzende verpflichtet, sich mit Betroffenen zu treffen. Jeder Teilnehmer müsse persönlich berichten können, was er durch die Gespräche mit Opfern gelernt habe. Auch mit einem Video habe man dies dokumentieren müssen. Schönborn: „Der Papst möchte erreichen, dass alle Teilnehmer persönlich betroffen sind.“

„Nur die Wahrheit macht frei. Auch wenn es oft schmerzlich ist“, fasste der Wiener Erzbischof die kirchlichen Bemühungen in diesem Zusammenhang zusammen. „Wer geht schon gerne mit einem Skandal in der eigenen Familie an die Öffentlichkeit?“ Deshalb gebe es auch so viel Vertuschung in Familien oder Vereinigungen. Und auch in der Familie der Kirche sei die Versuchung groß, Fälle zu vertuschen. Gerade weil der Klerus ja auch eine relativ homogene Gruppe sei.

Österreich als Vorbild

Umso notwendiger sei deshalb auch die Involvierung von kompetenten Laien bei Missbrauchsaufarbeitung und -prävention, so der Kardinal unter Verweis auf die nur aus qualifizierten Laien bestehende Unabhängige Opferschutzkommission unter dem Vorsitz von Waltraud Klasnic oder die Mitwirkung von kompetenten und weisungsfreien Laien in den diözesanen Ombudsstellen und Kommissionen in Österreich.

„Wenn das weltweit Standard wird, was wir in Österreich haben, dann sind es hauptsächlich Laien, die daran mitarbeiten“, so Schönborn, der die diesbezüglichen Erfahrungen aus Österreich als Best Practice in die Weltkirche einbringen will.

Erneut bekräftigte der Kardinal: „Wir haben uns dafür entschieden, den Weg der Wahrhaftigkeit zu gehen, auch wenn es weh tut.“ Dies sei vor allem auch der Weg, „der den Opfern am ehesten gerecht wird“. Wiedergutmachungszahlungen seien wichtig, „noch wichtiger aber ist es, den Opfern zu glauben. Das was sie vor allem erwarten ist, dass sie ernst genommen werden.“

Spiritueller Missbrauch

Als gerade für die Kirche wichtiges Thema sei zuletzt der „spirituelle Missbrauch“ stark in den Vordergrund gerückt, führte Schönborn weiter aus. „Wenn spirituelle Autoritäten nicht mehr angreifbar und hinterfragbar werden, dann ist das auch ein Nährboden für sexuellen Missbrauch.“

Schönborn sprach weiters von einem gesamtgesellschaftlichen „Kulturwandel“. Grapschen oder anzügliche Bemerkungen gegenüber Frauen seien früher als Kavaliersdelikte abgetan worden. Heute sei dies - „Gott sei Dank“ - nicht mehr möglich. Freilich: Auch hier gebe es weltweit sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten. So werde etwa der Missbrauch von Ordensfrauen in Afrika immer noch von einigen als Kavaliersdelikt angesehen.

Offizielle Entschuldigung

In Österreich sei Missbrauch längst ein gesamtgesellschaftliches Thema, hob Schönborn hervor und verwies darauf, dass allein die Entschädigungszahlungen für die Opfer im von der Stadt Wien getragenen Heim am Wilheminenberg rund doppelt so hoch waren wie die Zahlungen für alle Missbrauchsbetroffenen im gesamten kirchlichen Bereich der letzten über 60 Jahre. Positiver Ausdruck der Bereitschaft zur Wiedergutmachung sei der Staatsakt am 17. November 2016 im Parlament gewesen, als sich die Spitzen von Staat und Kirche (in der Person Schönborns) bei den Opfern entschuldigten. - „Ein mutiger und klarer Schritt“, so Schönborn.

Gespräch mit Missbrauchsopfer

Angesprochen auf das viel beachtete Gespräch mit der ehemaligen Ordensfrau Doris Wagner (Reisinger), sagte Schönborn, dass er ihr Buch gelesen habe und davon sehr betroffen gewesen sei; zugleich auch sehr beeindruckt von ihrer Klarheit und ihrer Glaubwürdigkeit. - In ihrem Buch „Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“ hatte Wagner 2014 über ihre Missbrauchserfahrungen in der Gemeinschaft „Das Werk“ berichtet. - Nachdem er sich gedacht habe, dass es darauf noch keine Reaktion von offizieller kirchlicher Seite gegeben habe, habe er von sich aus Kontakt zu Doris Wagner aufgenommen.

So sei es dann letztlich zu einem gut vierstündigen Gespräch vor laufender Kamera gekommen - „ohne Moderation, sehr persönlich“ - das vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet und in einer 45-Minuten Zusammenschnitt ausgestrahlt wurde. Er habe dieses Gespräch als sehr positiv erlebt, so Schönborn, und das dürfte auch auf seine Gesprächspartnerin zutreffen. „Wir überlegen, daraus auch ein Buch zu machen, denn es war ein sehr umfassendes Gespräch.“ Die Reaktionen auf die TV-Ausstrahlungen seien zudem „überwältigend positiv“ gewesen.

Autorität braucht Kontrolle

Schönborn bekräftigte im Interview auch einmal mehr, dass es hinsichtlich der Gewaltenteilung in der Kirche großen Reformbedarf sehe. Autorität sei notwendig, um Leitungsfunktionen ausüben zu können, doch es brauche zugleich auch entsprechende Kontrollmechanismen.

Im wirtschaftlichen Bereich funktioniere das in der Kirche bereits recht gut, gerade bei der praktischen Ausübung der Autorität von Pfarrern oder auch der Bischöfe gebe es aber Nachholbedarf. Freilich fange man nicht bei Null an, diverse Gremien wie etwa Bischofsräte oder Pfarrgemeinderäte seien vorhanden, trotzdem sei die Gewaltenteilung im Sinne von Synodalität aber noch zu wenig entwickelt.

Besonders unausgewogen empfindet Schönborn das Autoritäts- bzw. Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen in der Kirche. Hier ortete er besonders dringlichen Reformbedarf. „Ich weiß nicht, wie das praktisch aussehen könnte, aber ich bin davon überzeugt, dass es absolut notwendig ist“.

religion.ORF.at/KAP

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