Vatikan legt 21 Punkte gegen Missbrauch vor

Der Vatikan hat 21 Punkte zu Kinderschutz und Umgang mit Missbrauchsfällen in der Kirche veröffentlicht, über die die Teilnehmer des Antimissbrauchsgipfels diskutieren sollen. Auch der Umgang mit Anzeigen soll debattiert werden.

Unter den vorgestellten Denkanstößen sind etwa die Einrichtung einer auch von der örtlichen Kirche unabhängigen Anlaufstelle für Missbrauchsopfer, eine Beteiligung von Laien an der Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen und Kirchenrechtsprozessen zu sexuellem und Machtmissbrauch. Auch eine gemeinsame Vorgehensweise bei der Prüfung von Missbrauchsvorwürfen, beim Kinderschutz und beim Verteidigungsrecht Angeklagter soll erarbeitet werden.

Angeregt wird auch die Ausarbeitung eines Handbuches zum Vorgehen bei Missbrauchsfällen sowie die umgehende Anzeige bei kirchlichen wie zivilen Autoritäten gemäß der jeweils geltenden Normen. Weitere Punkte betreffen Bildungsmaßnahmen zum Erkennen und Bekämpfen von Missbrauch, zur sorgfältigen Personalauswahl in sämtlichen Bereichen der Kirche sowie den Umgang mit Opfern, Angeklagten und Schuldigen.

Neuer Umgang mit Anzeigen

Regionale Verfahren für Anzeigen von Missbrauch müssten nach dem Antimissbrauchsgipfel im Vatikan an Ort und Stelle aktualisiert werden, plädierte der vatikanische Chefermittler für Sexualstraftaten, Erzbischof Charles Scicluna, bei einer Pressekonferenz nach dem Beginn der Konferenz. Bischöfe, Experten und Opfervertreter beraten bei dem Antimissbrauchsgipfel über die Konsequenzen der Missbrauchsskandale.

Je nach Land und der jeweiligen Gesetzeslage würden die Aktualisierungen für die kirchlichen Verfahren sicher unterschiedlich ausfallen. Dennoch gebe es unverhandelbare Standards, die überall eingehalten werden müssten, sagte der Erzbischof von Malta. Scicluna versprach in seiner Rede auf der Konferenz zudem entschlossenes Handeln gegen Missbrauch: „Die Gläubigen sollen wissen, dass wir es ernst meinen. Wir werden Kinder um jeden Preis schützen“, sagte der 59-Jährige.

Zusammenarbeit mit Justiz gefordert

Scicluna bemängelte, dass bei Kirchenverfahren Missbrauchsopfer keine Rolle spielen würden. Er unterstrich auch die Notwendigkeit, mit der Ziviljustiz bei Missbrauch zusammenzuarbeiten. Missbrauchsanzeigen zu unterschätzen oder zu verheimlichen sei eine „schwere Sünde gegen die Integrität der Kirche“. „Nur ein entschlossenes, ehrliches und transparentes Handeln kann das Vertrauen des Volkes Gottes in die Kirche wiederherstellen“, so Scicluna.

Die Kirchenoberen rief Scicluna auf, unkomplizierte Möglichkeiten für die Anzeige von Missbrauchsfällen einzurichten, um eine Kultur der Offenheit zu fördern. Bisher habe die Kirche einen „unannehmbaren Schutzmechanismus“ bei Missbrauchsfällen durch Geistliche toleriert, das müsse sich ändern. Auch das Thema einer „genauen Beurteilung“ von Seminaristen vor der Priesterweihe und die Notwendigkeit einer soliden menschlichen, spirituellen und psychologischen Bildung wurde angesprochen.

Papst Franziskus im Gebet bei der Antimissbrauchskonferenz im Vatikan

APA/AFP/POOL/Vincenzo Pinto

Der Papst beim Gebet während der Eröffnung des Antimissbrauchsgipfels

Italiens Bischöfe für Anzeigepflicht

Eine konkrete Maßnahme sprach am Donnerstag der Präsident der italienischen Bischofskonferenz (CEI), Kardinal Gualtiero Bassetti, an: Italiens Bischöfe könnten sich vorstellen, die Einführung einer Anzeigepflicht gegen Priester bei Missbrauchsverdacht zu unterstützen, sagte er im Interview mit der italienischen Tageszeitung „Quotidiano nazionale“. Ein dementsprechender Beschluss könnte bei der nächsten Versammlung der italienischen Bischofskonferenz im Mai ergriffen werden, sagte der CEI-Präsident.

„Ich schließe nicht aus, dass dort, wo die Anklage glaubwürdig ist, eine Anzeigepflicht gelten wird. Dies gilt vor allem, wenn Gefahr auf Wiederholung des Missbrauchs besteht. Der Schutz der Minderjährigen muss prioritär sein“, so Bassetti.

Opfer berichten über Missbrauch

Verbände von Missbrauchsopfern fordern schon seit Jahren die Einführung einer Anzeigepflicht für Kirchenmänner bei der Justiz der jeweiligen Länder. Die Anzeigepflicht müsse für Bischöfe, Seelsorger und Kirchenmitarbeiter gelten. Mit der Begründung, dass es im Vatikan keine Anzeigepflicht gebe, würden sich viele Bischöfe ihrer Verantwortung entziehen, des sexuellen Missbrauchs verdächtigte Geistliche der Justiz zu melden.

Das Gipfeltreffen in der vatikanischen Synodenaula begann am Donnerstag mit einer langen Schweigeminute. Es kamen auch fünf Opfer sexuellen Missbrauchs zu Wort: Vier Männer und eine Frau berichteten per Videoaufzeichnungen, die den rund 190 in der vatikanischen Synodenaula versammelten Bischofskonferenzvorsitzenden und Ordensoberen gezeigt wurden, über ihr Leid und ihre Forderungen an die Kirche. Die Betroffenen stammen aus den USA, Südamerika, Afrika, Europa sowie Asien. Schon die Auswahl der Opfer soll wohl deutlich machen, dass es sich um ein globales Problem handelt.

Vergewaltigt und zu Abtreibung gezwungen

Als besonders verletzend und traumatisch - neben dem Missbrauch an sich - schilderten alle die Tatsache, dass Bischöfe und Ordensobere ihnen nicht geglaubt haben. „Das erste, was sie taten, war, mich als Lügner zu behandeln, sich umzudrehen und zu behaupten, ich und andere seien Feinde der Kirche“, kritisierte ein Mann aus Südamerika.

Eine Frau aus Afrika schilderte, wie sie seit dem Alter von 15 Jahren von einem Priester über 13 Jahre lang immer wieder vergewaltigt wurde. Weil er keine Kondome oder andere Verhütungsmittel zuließ, sei sie dreimal schwanger geworden. Der Priester habe sie jedes Mal zu einer Abtreibung gezwungen. Sie habe sich nicht wehren können, weil sie von ihm wirtschaftlich abhängig war und zudem geschlagen wurde, wenn sie sich weigerte.

Bischöfe in roten und weißen Roben

Reuters/Stefano Rellandini

Von Donnerstag bis Sonntag tagt in Rom ein Antimissbrauchsgipfel, zu dem Papst Franziskus die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen geladen hat

Papst fordert „konkrete Maßnahmen“

Weltweit werden seit Jahren immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch, aber auch andere physische und psychische Gewalttaten bekannt. Zudem wurden die Taten oft vertuscht und die Täter einfach versetzt. Das Treffen im Vatikan soll nun das Problem angehen.

In seiner Eröffnungsrede zu der viertägigen Antimissbrauchskonferenz im Vatikan forderte Papst Franziskus konkrete Maßnahmen gegen Missbrauch ein. „Das Volk Gottes schaut auf uns und erwartet von uns keine einfachen und vorhersehbaren Verurteilungen“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche - mehr dazu in Papst will „konkrete Maßnahmen“ gegen Missbrauch.

Struktureller Machtmissbrauch

Bei dem Spitzentreffen von Donnerstag bis Sonntag sollen die drei Themen Verantwortung, Rechenschaft und Transparenz im Zentrum stehen. Bei der Konferenz sind rund 190 Teilnehmer dabei, darunter der Papst, die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen der Welt, Vertreter der römischen Kurie und andere Geistliche. Österreich wird von Kardinal Christoph Schönborn in Rom vertreten. Kritisiert wurde im Vorfeld, dass nur etwa zehn Frauen zu dem Treffen geladen wurden.

Verantwortlich für die Missbrauchsskandale machen innerkirchlich viele den Machtmissbrauch und die klerikalen Strukturen. Andere, wie etwa die rechtskonservativen Kardinäle Raymond Burke und Walter Brandmüller (die zu den Papstgegnern innerhalb der Kirche gehören), weisen diese Sicht zurück und führen die Missbrauchsskandale auf die Abkehr vom Evangelium der „Homosexual Agenda“ (etwa: homosexueller Plan), die auch Teile der Kirche erfasst habe, zurück.

Beschlüsse nicht vorgesehen

Abstimmungen oder Beschlüsse über Papiere sind bei der Konferenz nicht vorgesehen. Erzbischof Scicluna kündigte aber bereits vor dem Gipfel weitreichende Konsequenzen für die Zeit nach dem Antimissbrauchsgipfel in Rom an. Unmittelbar nach dem viertägigen Kinderschutztreffen werde Papst Franziskus mit den Organisatoren über die weiteren Schritte beraten.

Für den Gipfel wurde eine offizielle Website eingerichtet, auf der die Konferenz live verfolgt werden kann. Täglich sind drei Referate mit Fragerunden sowie Beratungen in verschiedenen Sprachgruppen (Englisch, Italienisch, Spanisch, Französisch) vorgesehen. Die Konferenz endet am Sonntag mit einer Messe und einer Abschlussrede des Papstes.

religion.ORF.at/APA/KAP/dpa

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