Vatikan: Kirchenrechtliches Verfahren gegen Pell

Der Vatikan leitet nach dem Schuldspruch gegen den australischen Kardinal George Pell wegen Kindesmissbrauchs ein kirchenrechtliches Verfahren ein. Kommentatoren des konservativen Medienkonzerns News Corp zweifeln hingegen an Pells Schuld.

Die Glaubenskongregation werde den Fall nun gemäß des kanonischen Rechts bearbeiten, erklärte Vatikan-Sprecher Alessandro Gisotti am Mittwoch. Pell, ehemaliger Finanzchef des Vatikans, war von einem Gericht in Melbourne in erster Instanz für schuldig befunden worden, sich in den 1990er Jahren als Erzbischof an zwei 13-jährigen Buben vergangen zu haben. Nach seiner Verurteilung wurde Pell am Mittwoch verhaftet. Das Gericht muss nun noch das Strafmaß festlegen, es drohen bis zu 50 Jahre Haft. Vermutlich geschieht dies Mitte März.

Die Kongregation für die Glaubenslehre ist eine Zentralbehörde der römisch-katholischen Kirche. Im Fall von Missbrauchsvorwürfen gegen Kleriker kann sie Untersuchungen einleiten, die im äußersten Fall zum Ausschluss eines Beschuldigten aus dem Priesterstand führen können. Dies ist die Höchststrafe in der katholischen Kirche.

Australische Medien bezweifeln Pells Schuld

Die Verurteilung von Kardinal George Pell wegen sexuellen Missbrauchs zweier Chorknaben in seiner Amtszeit als Erzbischof von Melbourne stößt in australischen Medien auch auf Kritik. Vor allem Kommentatoren des konservativen Medienkonzerns News Corp kritisierten das Urteil wegen einer aus ihrer Sicht zu schwachen Beweislage.

Kardinal George Pell

APA/AFP/Con Chronis

Gegen Kardinal George Pell wird ein kirchenrechtliches Strafverfahren eingeleitet

Miranda Devine vom „Daily Telegraph“ und der Kolumnist der „Herald Sun“, Andrew Bolt, erklärten Pell in ihren Meinungsstücken für „unschuldig“ und zum „Sündenbock“ für die „Sünden der Kirche“. Sowohl Devine als auch Bolt haben wiederholt geschrieben, sie seien von Pells Unschuld überzeugt.

Rechtsanwalt überrascht

Auf Kritik stieß die Verurteilung aber auch bei dem progressiven Jesuiten und Rechtsanwalt Frank Brennan, der den Prozess streckenweise beobachtet hatte. „Mich hat das Urteil sehr überrascht“, schreibt er. Seine Analyse wurde auch in eher pellkritischen katholischen Medien wie der französischen Zeitung „La Croix“ und dem britischen „Tablet“ veröffentlicht.

„Tatsächlich war ich am Boden zerstört. Meine einzige Schlussfolgerung ist die, dass die Jury viele der von Pells Anwalt vorgebrachten eindrucksvollen Kritiken der Aussagen des Klägers ignoriert haben.“ Den vom einzigen Zeugen vorgebrachten mutmaßlichen Tathergang nannte Brennan widersprüchlich.

Auch liberale australische Medien kommentierten die Verurteilung des ehemaligen vatikanischen Finanzministers kritisch. Pell sei auf Basis „nicht belegter Aussagen eines einzigen Zeugen, ohne forensische Beweise, ohne bestimmte Verhaltensmuster oder ein Geständnis“ schuldig gesprochen worden, schreibt die in Melbourne erscheinende Zeitung „The Age“.

Tathergang in Zweifel gezogen

Die Zweifel der Medien an Pells Schuld beziehen sich in erster Linie auf den beschriebenen Tathergang. Demnach soll der Kardinal beim Auszug nach einem feierlichen Hochamt in der Kathedrale von Melbourne in die Sakristei abgebogen sein und bei geöffneter Sakristei-Tür in vollem Ornat die Chorknaben zum Oralsex gezwungen haben.

Seit Beginn der Hauptverhandlung im Sommer 2018 galt ein richterliches Totalverbot der Berichterstattung über den Prozess. Erst seit Verkündung des Urteils zu Wochenbeginn haben die Medien Einblick in die Plädoyers der Anklage und der Verteidigung.

religion.ORF.at/dpa/KAP/KNA

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