Tiroler Mädchenheim: Kommission nahm Arbeit auf

Die vom Land Tirol mit der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe gegen das frühere Mädchenheim Martinsbühel in Zirl betraute Kommission hat ihre Arbeit aufgenommen. Ehemalige Heimkinder verlangen schon seit Langem angemessene Entschädigungen.

Von „entscheidender Bedeutung“ sei der uneingeschränkte Zugang zu historischem Aktenmaterial - diesbezüglich hoffe man auf die „Kooperation aller relevanten Einrichtungen“, hieß es in einer Aussendung am Dienstag. Betroffene können mit der Kommission jederzeit über die Ombudsstellen bzw. Opferschutzkommissionen der Diözese Innsbruck und des Landes Kontakt aufnehmen, so die Verantwortlichen. Der Fokus liege mit dem Mädchenheim Martinsbühel auf kirchlichen Einrichtungen.

Von Ordensfrauen geführtes Heim

Eine zentrale Rolle werde dabei die Frage nach Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen kirchlichen und staatlichen Stellen bilden. Zudem soll auch das Mädchenerziehungsheim Scharnitz mitbedacht werden, das vom selben Orden wie Martinsbühel getragen wurde.

Schloss Martinsbühel in Tirol

Svíčková unter cc by-sa 3.0/Wikimedia

Das ehemalige Kinderheim Martinsbühel in Tirol

Martinsbühel war keine Fürsorgeeinrichtung des Landes, es wurden aber vom Land Mädchen dorthin zugewiesen. Geführt wurde das Mädchenheim bis 2008 von Ordensfrauen. Nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe im Jahr 2010 hatten sich rund 100 ehemalige Heimkinder an die Ombudsstelle der Diözese Innsbruck gewandt.

Mädchen gequält und missbraucht

In dem von Benediktinerinnen von 1947 bis 2008 geführten Heim wurden über Jahrzehnte hinweg hunderte Kinder und Jugendliche gequält, sexuell missbraucht und erniedrigt. Opfer berichteten auch von mangelhaften Schadenersatzzahlungen, eine Petition zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses wurde eingerichtet.

Die jetzt vom Land Tirol mit dem Fall betraute Kommission soll im Sommer einen ersten Zwischenbericht vorlegen. Der Pressesprecher der Diözese Innsbruck, Michael Gstaltmeyr, sagte zu der Causa bereits im Jänner auf Anfrage von religion.ORF.at, die „zum Teil erschütternden Berichte“ der Menschen, die sich an die Ombudsstelle gewandt haben, „wurden mit Zustimmung der Betroffenen an die diözesane Kommission und in weiterer Folge an die Klasnic-Kommission (eigentlich Unabhängige Opferschutzanwaltschaft, Anm.) weitergeleitet.“

Heimopferrente erst bei Pensionsantritt

Es wurden auch Entschädigungen zuerkannt, sagte Herweg Hösele, Pressesprecher der Opferschutzanwaltschaft, zu religion.ORF.at: In 75 Fällen habe es eine Entschädigung gegeben, insgesamt „mehr als eine Million“. Das sind im Schnitt 15.000 Euro. Die finanziellen Mittel dafür wurden vom Träger der Einrichtung Martinsbühel, dem Benediktinerinnenorden, aufgebracht. Danach könnten Opfer eine Heimopferrente beantragen, diese komme dann aus der Sozialversicherung. Die Heimopferrente war 2017 vom Nationalrat beschlossen worden. Sie beträgt 300 Euro pro Monat, wird allerdings erst ab dem Pensionsantritt ausgezahlt.

Für manche schwer Betroffene mit Folgeschäden ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Entschädigungszahlungen im Sinne von Schmerzensgeld durch außergerichtliche Einigung und/oder Zivilrechtsprozesse nach der gängigen Judikatur und so wie es in einem funktionierenden Rechtsstaat praktiziert werden muss, haben niemals stattgefunden“, so eine Betroffene zu religion.ORF.at. Zivilrechtsprozesse sind aussichtslos und sehr teuer. Richterin Barbara Helige bezeichnete einen derartigen Versuch gegenüber religion.ORF.at als „aussichtslos“. Weder finanziell noch psychisch sind viele Missbrauchsopfer in der Lage, diesen Weg zu gehen - mehr dazu in Missbrauch in der Kirche: Wer zahlt?.

Schlechter gestellt als Verbrechensopfer

Das Problem sei, neben der Verjährung der meisten Fälle, dass Heimopfer etwa gegenüber Verbrechensopfern (und deren Familien) schlechter gestellt seien, so die Betroffene. Ein von der damaligen Liste Pilz (heute Jetzt) im Parlament vorgelegter Abänderungsantrag, wonach Betroffenen das Recht zugestanden werden soll, den Ersatz des Verdienstentgangs nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) auch nach dem 30. Juni 2017 geltend machen zu können, war abgelehnt worden.

Laut § 15 VOG können nämlich jene, welche einen Verdienstentgang aufgrund von Gewalt während einer Unterbringung in Kinder- und Jugendheimen oder in Pflegefamilien erlitten haben, diesen nur bis zu diesem Zeitpunkt geltend machen, ihre Anträge gelten danach nur mehr nach dem Heimopferrentengesetz.

Seit März 2010 würden „exorbitant viele Publikationen, Historiker-Berichte und Bücher, Interviews, Video-Aufzeichnungen“ vorliegen, führte die Betroffene weiter aus. Einen weiteren Bericht zu den Geschehnissen im Heim Martinsbühel brauche es nicht, so die Frau, die Jahre in dem Heim verbracht hat: „Es braucht Restitution. Reparation. Rehabilitation.“

gril, religion.ORF.at/APA

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