Kopftuchverbot: Unterrichtsausschuss vertagt erneut

Der Initiativantrag von ÖVP und FPÖ zur Einführung eines Kopftuchverbots für Mädchen an Volksschulen ist am Dienstag im Unterrichtsausschuss des Nationalrats nach einem Expertenhearing erneut vertagt worden.

Für eine angestrebte Verfassungsbestimmung gibt es vorerst keine Zustimmung von SPÖ oder NEOS - beide fordern eine Diskussion über ein Integrationsgesamtkonzept statt einer Einzelmaßnahme. Mit der Regierungsinitiative soll generell „das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist“, untersagt werden.

Begründet wird das mit „der sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau“.

Opposition: Nicht nur Einzelmaßnahme

Bereits Mitte Jänner war ein Initiativantrag von ÖVP und FPÖ zur Einführung eines Kopftuchverbots an Volksschulen vertagt worden. Es gab keine Mehrheit für den Antrag. Nach Ansicht von SPÖ und NEOS brauche es nicht bloß eine Einzelmaßnahme, sondern vielmehr eine umfassende Diskussion über das Thema Integration - mehr dazu in Keine Mehrheit: Kopftuchverbot wird aufgeschoben.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) sieht ein solches Gesetz als Eingriff in innere Angelegenheiten einer Religionsgesellschaft und möchte statt Zwangsmaßnahmen auf Aufklärung setzen.

Vorangegangen war dem Vertagungsbeschluss ein Expertenhearing, in dem die rechtliche und gesellschaftliche Dimension der Regelung ebenso ausgeleuchtet wurde wie deren Umsetzung in der Praxis, so der Pressedienst der Parlamentsdirektion in einer Aussendung am Dienstag. Als Fachleute diskutierten mit den Ausschussmitgliedern die Autorin Zana Ramadani, der Soziologe Kenan Güngör, die Verfassungsjuristen Heinz Mayer und Gerhard Hesse, sowie Ebrahim Afsah, Professor für islamisches Rechtswesen und Ethik.

Ramadani: Staat muss Kinderrechte schützen

Für die in Nordmazedonien geborene deutsche Autorin Zana Ramadani werden junge Mädchen durch ein Kopftuch um ihre Kindheit und ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung gebracht. Das von der österreichischen Regierung angestrebte Verbot schütze „Freiheit und Kinderrechte“, verhindere eine Frühkonditionierung der Betroffenen und stelle somit einen wichtigen Schritt gegen die Ausbreitung des islamischen Fundamentalismus dar.

Afsah: Kein Kopftuchgebot für Volksschulkinder

Afsah, der am Institut für Islamisch-theologische Studien der Universität Wien Rechtswesen und Ethik lehrt, bestätigte, der Staat habe zu entscheiden, wo das Kindeswohl durch spezifische Auslegungen einer Religion gefährdet ist. „Hindernisse der Chancengleichheit sind aus dem Weg zu räumen.“ Abgesehen davon sehe der Islam für Kinder bis zum Ende des zehnten Lebensjahres „kein religiöses Gebot der Verschleierung vor“, hielt der Islamrechtsexperte fest.

Mayer: Als Einzelmaßnahme wenig hilfreich

Heinz Mayer, emeritierter Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprofessor der Universität Wien, hat Bedenken, ob das Kopftuchverbot in der geplanten Form nicht mehr schadet als nützt. Zwar habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Einzelfallentscheidungen das nationalstaatliche Recht, das Kopftuch zu verbieten, bestätigt, doch blende das Verhüllungsverbot für Volksschulkinder die ganze Tragweite des Problems aus. Als Einzelmaßnahme sei das Kopftuchverbot wirkungslos zur Sicherung der Kinderrechte, zumal es nur während der Schulstunden gelte.

Zu bedenken gab Mayer außerdem, dass auch Sikhs mit ihren Turbanen davon betroffen wären. In der muslimischen Gemeinschaft würde das allgemeine Verbot womöglich als Feindseligkeit begriffen werden. Der Verfassungsexperte regte an, der jeweiligen Schulleitung die Entscheidungskompetenz über ein Verhüllungsverbot am Standort zu geben. Geknüpft werden müsste diese Entscheidung an den nachweislich negativen Einfluss von Kopftüchern auf die Entwicklung von Kindern in der Schülerpopulation.

Güngör warnt vor Schnellschuss

Kenan Güngör, deutscher Soziologe und Politikberater mit kurdisch-türkischen Wurzeln, warnte ebenfalls vor einem Schnellschuss in dieser Frage, deren Bedeutung er hervorhob. Konkret sprach er von einer Herausforderung für eine stark säkularisierte Aufnahmegesellschaft, angemessen mit einer verstärkten Religiosität unter muslimischen Zuwanderinnen und Zuwanderern umzugehen. Mit dem Kopftuchverbot für Volksschulkinder werde „das Pferd von hinten aufgezäumt“, er vermisste einen „Gesamtentwurf“ zur evidenzbasierten Lösung der Integrationsfrage.

Immerhin treffe der Zwang zum Kopftuch vor allem Mädchen nach Abschluss der Volksschule. Die Regelung könnte moderate Musliminnen und Muslime - laut Güngör rund 60 bis 70 Prozent der Community - konservativen Gruppen zutreiben, die sich als Schutz vor weiteren staatlichen Einschränkungen präsentierten. Immerhin wachse die Muslimfeindlichkeit in Österreich, zitierte Güngör aus Studien, sodass muslimischen Kindern mit dem Verbot vermittelt werde: „Ich bin nicht gewollt“.

religion.ORF.at/APA

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