Wunsch nach “demenzfähiger Gesellschaft”

In Österreich leben etwa 130.000 Menschen mit Demenz. Dennoch wissen viele Menschen nur wenig über die Erkrankung. Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, möchte das ändern.

Sie fordert eine „demenzfähige Gesellschaft“ – also eine, die mit dem Thema Demenz umzugehen weiß – und will der Krankheit den Schrecken nehmen. Bis zum Jahr 2050 soll die Anzahl der erkrankten Menschen auf 350.000 steigen, prognostiziert die Ärztekammer Wien. Die evangelische Diakonie widmet dem Thema Demenz derzeit eine Kampagne.

Diakonie-Österreich-Direktorin Maria Katharina

APA/Herbert Neubauer

Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, fordert eine „demenzfähige Gesellschaft“

„Demenz wird tabuisiert“, sagt Maria Katharina Moser im Gespräch mit religion.ORF.at. Die Menschen würden sich schämen, hätten Angst die Kontrolle zu verlieren und entmündigt zu werden. Um dem entgegenzuwirken müsse “Bewusstsein für die Krankheit geschaffen werden”, ist die Direktorin des evangelischen Hilfswerks Diakonie überzeugt. Der Verlauf sei individuell sehr unterschiedlich, sagt Moser. Viele Kompetenzen, auch das emotionale Gedächtnis, blieben oft lange erhalten. Der Umgang mit demenzerkrankten Menschen könne zudem eine bereichernde Erfahrung sein, so verhielten sich manche Betroffenen besonders liebevoll.

Diakonie-Demenz-Kampagne

Mit Plakaten, Inseraten und Social-Media-Aktionen macht die Diakonie in den nächsten Wochen auf Menschen und Projekte aufmerksam, die Lebensqualität bei Demenz fördern. Ziel der Kampagne ist es, Menschen mit Demenz und ihre Lebenssituation ins Gespräch zu bringen und zu informieren.

Mehr Personal

„Die kognitiven Fähigkeiten der Menschen werden weniger, aber die Fähigkeit das Leben zu genießen bleibt“, sagt Moser – „wenn sie einem nicht genommen wird.“ Hier sieht sie die Politik gefordert. Vor allem mehr Personal sei wichtig. Denn im Umgang mit Demenzerkrankten passiere viel auf der Beziehungsebene und dafür brauche es Zeit. Laut einer Wifo-Studie im Auftrag des Hilfswerks Österreich steigt der Personalbedarf in der Pflege von derzeit rund 45.000 auf 103.000 im Jahr 2050. Und schon jetzt fehlen Stellen, sagt Moser. Um eine gute Betreuung gewährleisten zu können, müssten Anreize geschaffen, der Pflegeberuf gesellschaftlich aufgewertet und besser bezahlt werden.

Österreichweit werden laut Wifo-Studie derzeit etwa 75.000 Menschen in Pflegeheimen versorgt. Stationäre Pflegeplätze in öffentlichen Einrichtungen kosten die Angehörigen seit der Abschaffung des Pflegeregresses nichts mehr. Die Pension der betroffenen Person wird einbehalten, 20 Prozent bleibt als Taschengeld. Der Rest wird von der öffentlichen Hand subventioniert. Wie schnell ein solcher Platz zur Verfügung stehe, sei je nach Bundesland verschieden. Wichtiger als sich schnellstmöglich um einen Pflegeplatz zu bemühen, sei aber die frühe Diagnose und Beratung, sagt Moser.

Unterstützung suchen

Auch Angehörige sollten sich unbedingt Unterstützung holen, rät Moser. Bei einer demenziellen Erkrankung würden diese lange versuchen, selbst zurechtzukommen. Das zeigen auch die Zahlen: 84 Prozent der 455.000 Pflegegeldbezieher werden laut Wifo-Studie Zuhause betreut. Unterstützung gibt es zum Beispiel in Form von mobiler Pflege, 24-Stunden-Betreuung oder Tageszentren. Auch die Diakonie bietet Betreuung in solchen Zentren an.

Sendungshinweis

Die „Orientierung“ widmet sich dem Thema Demenz am Sonntag, 12.30 Uhr in ORF2

Das Angebot umfasst unter anderem Gedächtnis- und Körpertraining sowie Ergotherapie. Es sei aber „irrsinnig schlecht ausgebaut“, sagt Moser – nur zwei Prozent nutzen solche Tageszentren. Hier könnte die Politik ansetzen, fordert die Diakoniedirektorin. „Es braucht den Ausbau von Tagesbetreuung und stundenweiser Unterstützung Zuhause“ sagt Moser. Die finanzielle Unterstützung variiert von Fall zu Fall, entscheidend sind Standort und Pflegestufe.

Demenz ist keine einheitliche Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für Erkrankungen, bei denen geistige Funktionen verloren gehen. Gedächtnis, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen können davon betroffen sein - Einschränkungen im Alltag sind meist die Folge. Die häufigste Form ist die Alzheimer-Demenz. „Demenz ist nicht heilbar“, sagt Moser, „aber es gibt eine Medizin: Aufmerksamkeit, Zuwendung und eine gute Beziehung.“

Marietta Trendl für religion.ORF.at

Link: