Kirchenhistoriker: Regeln für Rolle des Emerituspapstes

Die Rolle eines „Papa emeritus“ lässt sich in der aktuellen ungeordneten Form nicht weiterführen, sondern erfordert klare Regelungen sowohl für den Betroffenen als auch für die Gläubigen, betonte der italienische Kirchenhistoriker Massimo Faggioli.

In einem Interview für die Website „Vatican Insider“ (Sonntag) äußerte sich Faggioli im Blick auf die Aufregung über das jüngste Schreiben Benedikts XVI. zu den seiner Ansicht nach wichtigsten Ursachen des sexuellen Missbrauchs.

Mit dem Erscheinen dieses Textes und mit seiner Instrumentalisierung gegen Papst Franziskus sei ein Problem offenbar geworden, so der in den USA lehrende Theologe und Historiker: „Die Kohabitation zwischen den beiden Päpsten kann nur funktionieren, wenn der zurückgetretene unsichtbar bleibt.“

Situation nicht sich selbst überlassen

Und Faggioli analysierte weiter: „Wir sehen da das Problem für die Zukunft, und das muss bedeuten, dass die Figur des Emeritus Regulierungen unterworfen werden muss. Denn es könnte sein, dass es in Zukunft andere Emeriti geben wird. Diese Situation darf nicht sich selbst überlassen werden. Denn dies würde bedeuten, dass sich irgendwelche Individuen für die zurückgetretenen Päpste verantwortlich fühlen, und es ist nicht gesagt, dass sie es im Interesse der Gesamtkirche tun.“

Benedikt XVI.

APA/HOPI-MEDIA/Bernhard J. Holzner

Der zurückgetretene Papst Benedikt XVI.

Im aktuellen Fall glaube er nicht - so Faggioli -, dass Benedikt XVI. etwas Bösartiges vorhatte. Dies sei aber sehr wohl bei jenen der Fall, „die vorhaben, sein Pontifikat zu verlängern und die deshalb wollen, dass es in Erscheinung tritt“. Benedikts Gefolgschaft sei „undurchsichtig und unverantwortlich“, und zwar in dem Sinn, dass es auf niemanden außer auf Benedikt reagiere. „Und auf welche Weise sie es dann tun, kann man nie wissen“, erklärte der Theologe.

„Gefangener seiner Vorurteile“

Die Vorsitzenden der deutschen „Arbeitsgemeinschaft Moraltheologie“ haben den Missbrauchstext des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zurückgewiesen. In einer am Montag auf dem in Wien beheimateten Internetportal „feinschwarz.net“ veröffentlichten Stellungnahme wandten sich die beiden Uni-Professoren Christof Breitsameter (München) und Stephan Goertz (Mainz) vor allem gegen die Aussage des ehemaligen Papstes, seit den 1960er Jahren habe sich ein „Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte“. Dieser Vorwurf sei „diffamierend“ und beruhe zudem auf einer „Reihe von Fehlannahmen“.

Der Versuch von Benedikt XVI., gesellschaftliche Umbrüche und die Reformen in der Moraltheologie für den Missbrauch verantwortlich zu machen, seien keineswegs neu, heißt es in dem Papier unter der Überschrift „Gefangener seiner Vorurteile“. Joseph Ratzingers Analyse „beruht auf einer Reihe von falschen Annahmen und wird von uns im Ganzen als ein misslungener und untauglicher Beitrag zur Aufarbeitung der Missbrauchskrise bewertet“.

Missbrauch zieht sich durch Kirchengeschichte

Für Benedikt XVI. spielten human- oder sozialwissenschaftliche Erkenntnisse keine Rolle. Das führe zu verzerrten Wahrnehmungen. Homosexualität als solche sei keine Ursache von Missbrauch. Dieser ziehe sich durch die ganze Kirchengeschichte. Die Unterstellung, in von sexueller Emanzipation unberührten katholischen Milieus habe es ihn nicht gegeben, führe in die Irre.

„Die unhistorische Verklärung der Vergangenheit muss sich für die Opfer autoritärer oder patriarchaler Strukturen zynisch ausnehmen.“ Im Kirchenbild des ehemaligen Papstes hätten sündige Strukturen, die es zu allen Zeiten gegeben habe, keinen Platz.

Normen verschwinden nicht, sie ändern sich

Benedikts Darstellung der neuen Entwicklungen in der Moraltheologie zeuge von „wenig intellektueller Anstrengung“. Wer etwa „den herkömmlichen Rigorismus der Verurteilung jeglicher Empfängnisverhütung kritisiert, der redet damit nicht einer Normlosigkeit das Wort“. Normen verschwänden nicht einfach, sondern unterlägen einem Wandel. Auch die „neue“ Ethik kenne unbedingte moralische Verpflichtungen. Der Streit gehe darum, welche Handlungen aus welchen Gründen darunter fielen.

Weniger den „traditionellen Werten“ als den jüngeren Umbrüchen in der Regulierung von Sexualität sei es zu verdanken, „dass heute jede Form von sexualisierter Gewalt moralisch und rechtlich geächtet wird. Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung ist keine Erfindung der Katholischen Kirche“. Benedikts Analyse bedrohe den von ihm selbst stets betonten Zusammenhalt von Glaube und Vernunft.

religion.ORF.at/KAP

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