Oberrabbiner: Benedikt XVI. „profunder Denker“

Der Wiener Oberrabbiner Arie Folger hat den emeritierten Papst Benedikt XVI. als „profunden Denker“ bezeichnet. Die beiden hatten in einem kontroversiellen Briefwechsel Fragen des jüdisch-christlichen Verhältnisses erörtert.

„Er ist zwar nicht mehr der Jüngste, aber noch immer intellektuell voll engagiert. In ihm fand ich einen sehr sympathischen und profunden Denker, dem der Antisemitismus und Antijudaismus in allen ihren Gattungen abscheulich ist“, sagte Folger bei einer Buchpräsentation in Rom. Er äußerte sich am Donnerstag an der Lateranuniversität bei der Vorstellung seines Briefwechsels über Fragen des jüdisch-christlichen Verhältnisses mit dem emeritierten Papst in italienischer Übersetzung. Ein Text Benedikts zum Thema löste teils heftige Kritik aus.

Nach dem Aufsatz Benedikts XVI.in der Zeitschrift „Communio“ hatte der Wiener Rabbiner Arie Folger in der „Jüdischen Allgemeinen“ eine Replik veröffentlicht, auf die Benedikt XVI. in einem persönlichen Brief antwortete. Rabbi Folger reagierte darauf seinerseits wieder. Mitte Jänner diesen Jahres kam es zu einem persönlichen Treffen im Vatikan, bei dem der Streit beigelegt wurde. Der Verlag San Paolo veröffentlichte den schriftlichen Austausch in italienischer Übersetzung unter dem Titel „Benedetto XVI in dialogo con il rabbino Arie Folger: Ebrei e cristiani“.

Der Wiener Oberrabbiner Arie Folger

APA/Roland Schlager

Der Wiener Oberrabbiner Arie Folger debattiert mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. über das Verhältnis von Juden und Christen

Wunsch nach besserem Verstehen

Der Austausch habe auch den Dialog bestärkt: „Wenn ich eine Freundschaft entwickle mit Kardinal Schönborn aus Wien, mit Benedikt - natürlich entsteht da der Wunsch, einander besser zu verstehen“, so Folger. Er sagte zugleich, der christlich-jüdische Dialog leide unter einer Vorbelastung, die nicht verschwinde, da Juden jahrhundertelang gezwungen worden seien, sich Predigten anzuhören, um von der Christologie überzeugt zu werden. „Trotzdem finden wir Wege, miteinander in großer Brüderlichkeit, Freundschaft und großem Interesse zu reden.“

Über seine persönliche Begegnung mit dem emeritierten Papst im Vatikan am 16. Jänner sagte der Wiener Oberrabbiner, sie habe fast eine Stunde gedauert. Man sei sich in vielen Themen nicht einig, es gebe jedoch den gegenseitigen Wunsch, „die Brüderlichkeit zu vertiefen und unsere jeweilige Frömmigkeit auszuleben und Gott zu dienen - jeder, wie er das nach seiner Tradition versteht“.

Benedikt XVI. und sein Bruder Georg Ratzinger

Reuters/Vatican Media

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. 2018 neben seinem Bruder Georg Ratzinger

Kontrovers diskutierter Text

Im April 2018 hatte der emeritierte Papst in der Theologischen Zeitschrift „Communio“ einen kontrovers diskutierten Beitrag veröffentlicht, mit dem er den Dialog mit den Juden theologisch vertiefen wollte. Der Wiener Oberrabbiner hatte darauf in der „Jüdischen Allgemeinen“ eine Replik veröffentlicht, auf die Benedikt XVI. seinerseits in einem persönlichen Brief ausführlich antwortete. Rabbi Folger reagierte darauf seinerseits wieder.

Im Jänner kam es zu einem persönlichen Treffen im Vatikan. Daran nahmen auch die deutschen Rabbiner Zsolt Balla und Joshua Arens sowie Kurienkardinal Kurt Koch, dessen Ökumene-Behörde im Vatikan auch für den Dialog mit dem Judentum zuständig ist, teil. Den schriftlichen Dialog zwischen Benedikt XVI. und Folger hatte die Zeitschrift „Communio“ Ende 2018 auf Deutsch dokumentiert.

religion.ORF.at/KAP

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