Kritik an Vatikan-Freispruch für Missbrauchspater

Der deutsche Kirchenrechtler Thomas Schüller kritisiert den Freispruch des höchsten Vatikan-Gerichts für den österreichischen Pater Hermann Geißler in einem Missbrauchsfall. Die betroffene Frau sei nicht befragt worden.

Es sei ein „Skandalurteil“, dass die Apostolische Signatur den Priester nach einer Voruntersuchung vom Vorwurf der sexuellen Belästigung freigesprochen habe, ohne die betroffene Frau angehört zu haben, sagte Schüller. Die Voruntersuchung sei „nicht nach den rechtlichen Vorgaben erfolgt“, denn man habe nicht beide Parteien gehört, sondern nur den beschuldigten Ordensmann, sagte Schüller laut Kathpress dem Sender WDR.

Betroffene Frau nicht befragt

Doch gerade bei vermeintlichen Sexualstraftaten sei es das Wichtigste, beide Seiten anzuhören, betonte der Kirchenrechtler. Die römischen Richter hätten die grundlegendsten Prinzipien der Rechtsprechung verletzt.

Die Richter hatten am Mittwoch Geißler, einen ehemaligen Büroleiter der vatikanischen Glaubenskongregation und Mitglied des Ordens „Das Werk“, vom Vorwurf freigesprochen, eine Ordensfrau 2009 im Kontext der Beichte sexuell belästigt zu haben. Das Gericht sei zu dem Freispruch gekommen, da „die Umstände der behaupteten schweren Straftat nicht mit ausreichender moralischer Gewissheit bewiesen“ seien.

Die Ordensfrau Doris Wagner (heute: Doris Reisinger) war von 2003 bis 2011 ebenfalls Mitglied von „Das Werk“. Sie ist Autorin der Bücher „Nicht mehr ich“ und „Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche“. Darin berichtet sie von sexuellem Missbrauch durch Geistliche während ihrer Ordenszugehörigkeit. Ihre Vorwürfe betreffen nicht allein Geißler, sondern auch andere Ordensmitglieder. Der österreichische Ordensmann wies die Beschuldigungen stets als unwahr zurück.

Kirchenrechtliches Verfahren

Das römische Verwaltungsstrafverfahren in der Causa Geißler-Reisinger hatte Papst Franziskus auf Antrag der Glaubenskongregation an die Apostolische Signatur übertragen. Üblicherweise ist die Glaubenskongregation für solche Fälle zuständig. Da der Beschuldigte dort tätig war, war dies geändert worden.

Im Jänner kündigte der Vatikan eine Untersuchung an. Geißler trat als Abteilungsleiter der Glaubenskongregation zurück. Mit seinem Rücktritt wolle er weiteren Schaden von der Glaubenskongregation und von seiner Gemeinschaft abwenden, hieß es damals in der Vatikan-Erklärung. Gleichzeitig habe Geißler darum gebeten, das bereits eingeleitete kirchenrechtliche Verfahren gegen ihn fortzusetzen, um die Vorwürfe zu klären.

Reisinger: „Beschämendes Zeugnis“

Die Ex-Ordensfrau kritisierte die Entscheidung aus dem Vatikan am Freitag als „beschämendes Zeugnis für die mangelnde Rechtskultur der Kirche“. Konkret kritisierte sie ihre mangelnde Einbindung in das Verfahren und eine mögliche Befangenheit des Gerichts.

Der Bescheid der Apostolischen Signatur ist von deren Präfekten, Kardinal Dominique Mamberti, sowie deren Sekretär, Bischof Giuseppe Sciacca, unterzeichnet. Über letzteren sagte Reisinger, er sei in freundschaftlichem Kontakt mit dem „Werk“ gestanden. „Meines Erachtens hätte er an einem solchen Beschluss daher nicht beteiligt sein und ihn nicht unterzeichnen dürfen“, so Reisinger.

Sie selbst habe von der Entscheidung des Vatikan erst aus der Presse erfahren und sei während der Vorermittlungen „nicht wie ursprünglich geplant“ von der Apostolischen Signatur angehört worden. Dessen ungeachtet habe sie eine umfangreiche schriftliche Aussage vorgelegt, „in der ich auch die Aussage einer weiteren Betroffenen beigelegt habe, deren Erfahrungen sich bis ins Detail hin mit meinen decken“.

religion.ORF.at/APA/KAP

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