Ottillinger: Vom politischen „Bauernopfer“ zur Pionierin

Eine bedeutende, doch weitgehend in Vergessenheit geratene Persönlichkeit der österreichischen Nachkriegszeit wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden: die Beamtin, Managerin und zugleich tiefgläubige Christin Margarethe Ottillinger.

Kirchlich verbinden sich mit ihrem Namen so wichtige Einrichtungen wie die Wiener Wotruba-Kirche, das Afro-Asiatische Institut und die Stiftung „Pro Oriente“. Geboren am 6. Juni 1919 in Wien, wurde sie zunächst 1946 mit nur 27 Jahren Leiterin der mächtigen Sektion III/Wirtschaftsplanung unter dem damaligen Präsidenten der Bundeswirtschaftskammer, Julius Raab. Tragisch verlief ihre Biografie, als sie von den sowjetischen Besatzern 1949 wegen angeblichen Landesverrats und der Spionage zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde.

Margarethe Ottillinger 1956

Privatarchiv/Reproduktion Franz Josef Rupprecht

Margarethe Ottillinger in den späten 1950er Jahren

Internationales Aufsehen erregte der Fall Ottillinger insofern, als sie vermutlich als politisches Bauernopfer von 1949 bis 1955 in sowjetischer Lagerhaft verbrachte, bevor 1956 das Urteil gegen sie offiziell aufgehoben und Ottillinger damit rehabilitiert wurde. In Folge wurde die strebsame Frau zur ersten und erfolgreichen Vorstandsdirektorin der ÖMV.

Sechs Jahre in sowjetischer Lagerhaft

Am 5. November 1948 wurde Ottillinger gemeinsam mit ihrem damaligen Vorgesetzten, Minister Peter Krauland, von einem russischen Kontrollposten an der Ennsbrücke bei St. Valentin festgenommen. Krauland durfte nach kurzer Kontrolle weiterreisen, Ottillinger wurde wegen angeblicher Beihilfe zum Landesverrat sowjetischer Offiziere und wegen Wirtschaftsspionage zugunsten der Vereinigten Staaten angeklagt und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Nach Inhaftierung im Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes, der Lubjanka, in Moskau und diversen Lagern in der Sowjetunion, erkrankte Ottillinger schwer und wurde in ein Invalidenlager verlegt. Nach Abschluss des österreichischen Staatsvertrages kehrte die Handelswissenschaftlerin am 25. Juni 1955 nach Österreich zurück. Ein Jahr später wurde das Urteil gegen sie offiziell aufgehoben.

In ihrer Haft schwor sich die tiefgläubige Frau, eine Kirche zu errichten, sollte sie das sibirische Lager überleben. Dieses Gelöbnis verwirklichte sie am Georgenberg in Wien Mauer. Sie veranlasste, dass auf der Fläche der ehemaligen Luftwaffenkaserne am Georgenberg die Wotruba-Kirche errichtet wurde. 2013 wurde der Platz davor nach ihr benannt.

„Meisterin im Geldaufbringen“

Über kirchlichen Aktivitäten Ottilingers berichtet die katholische Publizistin und Ottillinger-Biografin Ingeborg Schödl u.a. in einem aktuellen Beitrag für die Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen: Als „Meisterin im Geldaufbringen“ war Ottillinger demnach u.a. wesentlich am Aufbau kirchlicher Einrichtungen wie etwa des Afro-Asiatischen Instituts (AAI) in Wien, der Stiftung „Pro Oriente“ und der vom Bildhauer Fritz Wotruba entworfenen Kirche am Georgenberg beteiligt.

„Ein guter Kontakt entstand auch zum Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König, der sich in Fragen der kirchlichen Ostpolitik oft von ihr beraten ließ“, so Schödl. „Wesentlich trug sie auch zur Aufnahme der Beziehungen zwischen Kirche und Sozialdemokratie bei.“

Kurz vor dem Tod in den Orden

Trotz aller Erfolge und Rührigkeit sei Ottillinger aber ein „einsamer Mensch“ gewesen, schreibt ihre Biografin. „Vielleicht lag es an ihrer beherrschenden, oft besitzergreifenden Art oder ihrer Energie, mit der sie ihr Gegenüber verunsichern konnte.“ Eine Heimat habe sie in ihren letzten Lebensjahren bis zu ihrem Tod am 30. November 1992 schließlich im Kloster der Schwestern Servitinnen in Wien-Mauer gefunden, in deren dritten Orden Ottillinger noch knapp vor ihrem Tod eintrat.

Die Wotruba-Kirche

APA/Hans Klaus Techt

Die Wotruba-Kirche im 23. Bezirk in Wien

Den „Spionagefall Margarethe Ottillinger“ rekonstruierte Schödl in ihrem Buch „Im Fadenkreuz der Macht. Das außergewöhnliche Leben der Margarethe Ottillinger“ (Czernin-Verlag, Neuauflage 2015). Darin schildert Schödl, wie die junge Beamtin ins Fadenkreuz der sowjetischen Besatzer kam, als sie im Vorfeld der Staatsvertragsverhandlungen den Wert des von den Sowjets beschlagnahmten deutschen Eigentums in Österreich erheben sollte.

Fluchthilfe aus Liebe

Auch der Grazer Historiker Stefan Karner hat über den „Fall Ottillinger“ gearbeitet und geforscht. Recherchen in Verhörprotokollen Ottillingers hätten dabei laut Karner u.a. ergeben, dass sich der Vorwurf der Fluchthilfe auf den Namen Andrej Didenko - einen früheren russischen Stahlfachmann, der in den Westen floh, fokussiert.

Über diesen habe Ottillinger ausgesagt: „Ich habe ihn geliebt“ - und sie hat ihm offenbar gemeinsam mit ihrem Chef Krauland geholfen, so Karner. Der Vorwurf der Spionage geht laut Karner auf den österreichischen Kriminalbeamten Alfred Fockler zurück, der zunächst gegen die Nationalsozialisten gekämpft hatte, nach dem Krieg US-Agent wurde und in die Hände der Sowjets geriet. Dort lancierte er schließlich - so der Historiker - den Namen Ottillingers, vermutlich um seine eigene Haut zu retten; vergeblich, denn er wurde 1951 wegen Spionage verurteilt und hingerichtet.

religion.ORF.at/KAP

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