Gericht vertagt Entscheidung über Kardinal Pell

Der ehemalige Finanzchef des Vatikans, der australische Kardinal George Pell, muss vorerst im Gefängnis bleiben. Der Oberste Gerichtshof in Melbourne gab am Donnerstag nach zweitägigem Berufungsverfahren noch keine Entscheidung bekannt.

Aus Sicht der australischen Staatsanwaltschaft ist die Verurteilung Pells wegen Kindesmissbrauchs „unanfechtbar“. Die Argumente von Pells Verteidigung, wonach die Aussage des Opfers reine „Fantasie“ sei, wies Staatsanwalt Christopher Boyce am Donnerstag im Berufungsverfahren in Melbourne zurück.

Die drei Richter können Pells Berufungsantrag zurückweisen, einen neuen Prozess anordnen oder den Kardinal freisprechen. Wann die Entscheidung fällt ist unklar. Im März wurde Pell zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er sitzt seitdem im Gefängnis.

Pell will Aufhebung von Urteil

Der 77-jährige Pell will erreichen, dass seine Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs aufgehoben wird. Ein Geschworenengericht hatte den Geistlichen im Dezember schuldig gesprochen, sich Mitte der 90er-Jahre in der Kathedrale von Melbourne an zwei 13-jährigen Chorknaben vergangen zu haben. Der damalige Erzbischof von Melbourne soll sich 1996 und 1997 in der Sakristei vor den Buben entblößt, sie unsittlich berührt und einen von ihnen zum Oralsex gezwungen haben.

George Pell, verurteilter Kardinal

APA/AP/Andy Brownbill

Kardinal George Pell muss weiter im Gefängnis bleiben

Pells Anwälte argumentierten, dass Pell wegen der dünnen Beweislage nicht hätte schuldig gesprochen werden dürfen. Die Verurteilung basierte lediglich auf der Aussage eines der mutmaßlichen Missbrauchsopfer. Das zweite mutmaßliche Missbrauchsopfer war 2014 an einer Überdosis gestorben und hatte sich nie zu den Vorfällen geäußert.

Missbrauch „physisch unmöglich“

Pells Anwälte erklärten, es sei für den Geistlichen „physisch unmöglich“ gewesen, den Missbrauch nach der Sonntagsmesse in der vollen Kathedrale zu begehen. Das Urteil zeuge von einem „verstörenden Versagen“ des Geschworenen-Systems und müsse aufgehoben werden. Einer der Richter entgegnete, er sei der Meinung, dass die Geschworenengerichte „fast immer richtig liegen“. „Die Betonung liegt auf fast“, fügte er hinzu.

Den Vorwurf, dass die Aussage des mutmaßlichen Opfers nicht glaubwürdig sei, wies Staatsanwalt Boyce zurück. Falls es sich um reine Fantasie gehandelt hätte, hätte das Opfer sich in Widersprüche verstricken müssen, dies sei aber nicht der Fall gewesen, erklärte Boyce.

Patzer des Staatsanwalts

Der Staatsanwalt geriet jedoch bei mehreren Fragen der drei Richter ins Stocken. Zudem nannte er widerrechtlich den Namen des mutmaßlichen Opfers vor Gericht. Die Anhörung wurde per Livestream übertragen, allerdings mit einer Zeitverzögerung von 15 Sekunden. So konnte verhindert werden, dass der Name an die Öffentlichkeit gelangte.

Rechtsexperten räumen dem Geistlichen gute Chancen ein, das Berufungsverfahren zu gewinnen. Der Vatikan hat eine eigene Untersuchung des Falls eingeleitet. Falls Pell das Berufungsverfahren verliert, könnte er auch sein Priesteramt verlieren.

Nummer drei des Vatikans

Pell ist in der Geschichte der katholischen Kirche der ranghöchste Geistliche, der jemals wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verurteilt wurde. Als Finanzchef war er praktisch die Nummer drei des Vatikans. Der Kirchenstaat hatte im März angekündigt, die Berufung abwarten zu wollen, bevor er über weitere Konsequenzen entscheidet. Möglich wäre, dass Pell bei einer Bestätigung des Schuldspruchs alle seine Titel verliert und auch nicht Priester bleiben darf. Falls er gewinnt, wäre er wieder ein freier Mann.

religion.ORF.at/dpa/APA/AFP

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