Kritik aus Wien an Gender-Dokument des Vatikans

Scharfe Kritik an dem jüngst vom Vatikan vorgestellten Dokument zum Thema Gendertheorie haben Wiener katholische Theologen und katholische Vereine geäußert.

Der emeritierte Pastoraltheologe Paul Zulehner konstatierte in einem Blogeintrag etwa eine fehlende Bereitschaft seitens der Verantwortlichen in der Bildungskongregation, sich auf einen ernsthaften wissenschaftlichen Dialog über das Thema einzulassen. Auch der Wiener Moraltheologe Gerhard Marschütz hielt gegenüber Kathpress fest, dass das Dokument weite Felder der Genderforschung auslasse.

Das Schreiben mit dem Titel „Maschio e femmina li creo. Per una via di dialogo sulla questione gender nell’educazione“ („Als Mann und Frau schuf er sie. Für einen Weg des Dialogs zur Genderfrage in der Bildung“) war am Pfingstmontag von der Bildungskongregation auf deren Website zunächst in fünf Sprachen veröffentlicht worden. Das Dokument datiert auf den 2. Februar und trägt die Unterschrift des Präfekten der Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Kardinal Giuseppe Versaldi, und des Sekretärs, Erzbischof Angelo Vincenzo Zani.

„Biologistischer Ansatz“

In dem Dokument wird vor einer Aufweichung der Geschlechtergrenzen gewarnt, zugleich aber die Notwendigkeit unterstrichen, „gegen jede ungerechte Diskriminierung zu kämpfen“. Das Dokument ziele in erster Linie darauf, Mitarbeitern in katholischen Bildungseinrichtungen als Leitfaden zu dienen, hatte Kardinal Versaldi am Mittwoch gegenüber Vatican News erklärt.

Paul M. Zulehner

kathbild/Franz Josef Rupprecht

Theologe Paul Zulehner: Dokument miit „Mangel an Relevanz“

Das Dokument kritisiere zwar eine „Genderideologie“, erkläre aber nicht was oder wer damit gemeint sei, so Zulehners Kritik. Zugleich attestierte er dem Dokument einen Mangel an Relevanz: „Für das Alltagsleben von 80 Prozent oder auch mehr unserer Bevölkerungen ist es ein belangloses Dokument“. Hauptkritikpunkt des Wiener Theologen ist die Fokussierung des Dokuments auf einen „biologistischen Ansatz“: So berufe sich das Dokument auf die biblische Unterscheidung von Mann und Frau in der Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27: „Als Mann und Frau schuf er sie“), schreibe damit aber die Geschlechterdifferenz als „von Natur aus gegeben“ fest und schließe so eine Weiterentwicklung gleichsam aus, so Zulehner.

„Mann-Frau-Dualität“

Die „Mann-Frau-Dualität“ sei zwar auf den ersten Blick sinnvoll, meinte Zulehner, die „Geschlechtertöpfe“ seien jedoch undifferenziert und würden die „beträchtliche Vielfalt“ der Menschen und deren Lebensweisen nicht in den Blick nehmen. „Die Gesellschaft ist hier tastend auf einem respektvollen Weg und nicht wie das Dokument unterstellt, aber auf einem Weg in die anthropologische Beliebigkeit.“

Der Kampf des Vatikans gegen die „Gendertheorie“ klammere auch „die gar nicht so wenigen Anderen“ aus, mahnte Pastoraltheologe. Damit seien Alleinlebende, Homosexuelle oder Menschen, „die als Person Würde besitzen und nicht erst durch die sekundäre Würde eines Mannes oder einer Frau“, ausgeschlossen. Zu kurz greife hier daher auch der Vorschlag des Schreibens, Menschen ohne eindeutige Geschlechterzugehörigkeit zu „therapieren“ oder Neugeborene zu operieren.

Zulehner: „Panikfamilialismus“

Ähnlich scharf auch die Kritik im Blick auf das im Dokument sichtbar werdende Bild von Ehe und Familie: Das Schreiben „huldigt“ diesbezüglich laut Zulehner „leider einem ‚Panikfamilialismus‘ mit einem traditionellen Familienbild“. Laut Zulehner sollte es die Kirche nachdenklich machen, wenn nach dem Insistieren auf dem traditionellen Ehebegriff „AfD und FPÖ applaudieren“.

Zulehner betonte in seinem Blogeintrag auch, dass das vatikanische Gender-Dokument kein lehramtliches Gewicht habe, sondern lediglich ein Schreiben der Bildungskongregation sei, dass sich an christliche Schulen wendet. „Es ist mehr ein angestrengtes Selbstgespräch“, so der Pastoraltheologe.

Marschütz: Keine Vielfalt vorgesehen

Kritik an einer weitreichenden Ausblendung des wissenschaftlichen Forschungsstandes zum Thema Gender übte auch der Wiener Moraltheologe Gerhard Marschütz: Indem das Dokument „nur kirchliche Positionen zitiert“, konterkariere es zugleich den eigentlich angestrebten „Weg des Dialogs“. Außerdem verteidige es eine Auffassung von Familie, die im „biologischen Geschlecht von Mann oder Frau ihren Ausgang nehme“, erklärte er gegenüber Kathpress. Eine größere biologische und sexuelle Vielfalt sei vonseiten der Kirche nicht vorgesehen und werde daher als „gegen die Natur“ verstanden.

Hinter der Kritik an den „Gendertheorien“ liegen laut dem Moraltheologen vor allem gesellschaftliche Veränderungen, die das traditionelle Bild von Familie oder Mann- und Frau-Sein erweitern, aber auch in Frage stellen würden: „In säkularen Gesellschaften wird Trans-, Inter- und Homosexualität nicht mehr als Krankheit verstanden, sondern als Variante der Natur“. Die Vielfalt der Schöpfung könnten bisherige Geschlechter-Bilder erweitern, meinte Marschütz, würden aber im Gegenzug von Seiten der Kirche eine Öffnung und eine Entwicklung der naturrechtlichen Argumentation benötigen.

Zugleich korrigierte Marschütz ein häufiges Missverständnis im Blick auf die Genderforschung: Diese würde nicht etwa das Geschlecht als ein rein soziales oder emotionales Konstrukt betrachten, sondern wolle darauf hinweisen, dass Frauen- und Männerrollen durch gesellschaftliche Vorstellungen und Konstruktionen beeinflusst werden.

Kritik auch von Frauen- und Männerbewegung

Keine Gefahr einer „Gender-Ideologisierung“ in Schulen oder Gesellschaft sehen die Katholische Frauenbewegung Österreichs (kfbö) und die Katholische Männerbewegung Österreich (KMBÖ). Bezugnehmend auf das Vatikan-Dokument zum Thema Gender-Theorie meinte Regina Augustin, Generalsekretärin der Katholischen Frauenbewegung, im Gespräch mit Kathpress, dass das Schreiben der Kongregation für das Katholische Bildungswesen den aktuellen Genderdiskurs nicht ernst nehme und anthropologische sowie soziale Phänomene leugne. Ernest Theußl, Vorsitzender der Katholische Männerbewegung, warnte davor, „überall eine Ideologie zu sehen, wenn etwas dem kirchlichen Mann-Frau-Bild widerspricht“.

Das christliche Menschenbild setze sich in besonderer Weise für marginalisierte Gruppen ein, dazu würden in vielen Teilen der Welt auch Frauen gehören, so Augustin. Auch wenn in Österreich Frauen in einer „privilegierten Situation“ seien, dürfe man diskriminierte Frauen oder andere Lebensweisen nicht ausklammern.

„Genderdiskurs kann helfen“

Die Theologin zeigte sich enttäuscht, dass der Vatikan in seinem Schreiben die globalen Geschlechterungerechtigkeit aussparte und sich vor allem auf biologische Argumente bezog. „Der Genderdiskurs betrifft auch religiöse, spirituelle, anthropologische und soziale Themen; dieses Wissen kann uns Christen beim Aufbau einer gerechten Gesellschaft helfen“, so Augustin.

Das am Montag veröffentlichte Schreiben stelle die Gender-Theorie „in eine ideologische Ecke“, verkürze den Diskurs und tappe damit selbst in eine „Ideologiefalle“, fasste Augustin zusammen. „Das eine wird gegen das andere ausgespielt“, so die kfbö-Generalsekretärin, die einen seriösen Dialog zwischen Kirche, Wissenschaft und Gesellschaft forderte.

Für „natürlichen Umgang“

Wichtiger als Genderforschung oder -theorien ist für KMBÖ-Vorsitzenden Theußl ein „respektvoller Umgang zwischen den Geschlechtern“. Gleichzeitig betonte er, dass Kritik an Genderforschung berechtigt sei, wenn man „als Mann das Gefühl hat, sich für das eigene Geschlecht entschuldigen zu müssen“.

„Erziehung prägt Buben und Mädchen“ und damit auch ihren Umgang mit Themen, wie Sexualität, erklärte Theußl. In Kindergärten und Schulen sei das Wissen um geschlechtersensible Erziehung oder der Co-Edukation „schon lange“ vorhanden, meinte der pensionierte Pädagoge und plädierte für einen „natürlichen Umgang“, wenn es darum gehe, mit Kinder und Jugendlichen über Geschlecht, Sexualität usw. zu sprechen.

religion.ORF.at/KAP

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