„Segensgebet“ für Evangelische „skandalös“

In einem offenen Brief an die Veranstalter und die katholische Kirche kritisiert die evangelische Kirche den Auftritt des ÖVP-Chefs Sebastian Kurz (ÖVP) sowie das „unbedachte Segensgebet“. Beides sei unter den aktuellen Umständen „skandalös“.

Der Wiener Superintendent Matthias Geist und die Superintendentialkuratorin Petra Mandl distanzieren sich von dem freikirchlichen Großevent „Awakening Austria“ am vergangenen Wochenende und dem umstrittenen Segensgebet für Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Kritik an katholischer Beteiligung

„Wir finden es erschreckend, dass es dem Spitzenvertreter einer sich im Wahlkampf befindenden Partei ermöglicht wurde, die große Bühne Ihrer Veranstaltung für Werbezwecke zu missbrauchen. Insofern ist es weder als Naivität abzuschwächen noch bleibt verborgen, wie unverblümt sich Parteipolitik und Vertreter von Freikirchen und der römisch-katholischen Kirche einander zuwenden.“ Tatsächlich waren die Freikirchen und einzelne Vertreter der römisch-katholischen Kirche vertreten, allen voran Kardinal Christoph Schönborn.

Lutherische Stadtkirche in Wien

ORF.at/Johanna Grillmayer

Die evangelische Superintendentur A.B Wien übt scharfe Kritik an dem Großevent „Awakening Austria“ (im Bild: Lutherische Stadtkirche in der Dorotheergasse in Wien)

„Echte Ökumene hätte anders ausgesehen“

Entgegen einiger Medienberichte betonen sie in einer Aussendung am Mittwoch, dass die evangelische Kirche auf Leitungsebene weder eingeladen noch eingebunden war. obwohl das Event als ökumenisch angepriesen wurde. Ein echtes ökumenisches Event hätte anders ausgesehen, so Geist und Mandl. Sie kritisieren die Gestaltung als einseitig. Eine „versöhnte Verschiedenheit mit anderen religiösen Traditionen“ sei zum Bespiel eine Säule für gelebte, gelingende Ökumene.

Evangelischer Pfarrer: „Großes Fettnäpfchen“

An dem „Awakening Austria“-Event teilgenommen der lutherische Pfarrer Thomas Dopplinger aus Favoriten. „Dass auch nicht alle Anwesenden einverstanden damit waren, hat man bei dem kurzen Auftritt von Sebastian Kurz gemerkt. Einige haben die Halle verlassen. Die Angelegenheit war auf jeden Fall ein großes Fettnäpfchen, da Sebastian Kurz nicht mehr in seinem Amt als Bundeskanzler, sondern als Parteichef in Vorwahlkampfzeiten dort war. Abgesehen davon habe ich ‚Awakening‘ aber auch als großen Segen erlebt“, so Dopplinger.

„Hätten jeden Bundeskanzler eingeladen“

Die Organisatoren von „Awakening Austria“, Chris Pöschl und Astrid Höger, hatten sich bereits in einer Stellungnahme am Montagabend gegen den Vorwurf politischer Einseitigkeit gewehrt. Sebastian Kurz sei bereits vor etwa sechs Monaten als damaliger Bundeskanzler zu der Veranstaltung eingeladen worden.

„Wir hätten auch jeden anderen Bundeskanzler eingeladen, ganz egal welcher Partei er oder sie zugehört.“ Nach seiner Amtsenthebung Ende Mai habe man Kurz „zwar nicht ausgeladen, aber sein Kommen in keiner Weise kommuniziert“ - auch um zu „unterstreichen, dass es sich keineswegs um einen politischen Programmpunkt handelte“.

Katholiken: „Thron und Altar keine gute Paarung“

Auch Mitglieder des römisch-katholischen Netzwerks „zeitgemäß glauben“ zeigten sich über die Auftritte von Kurz und dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn entsetzt. Die österreichische Geschichte zeige, „dass die Paarung „Thron und Altar“ über die Menschen unseres Landes oftmals Krieg, Leid und Trauer gebracht hat“, so Gertraud Marchewa, Hans Peter Hurka und Renate Müller für das Netzwerk.

„Als Gebet für einen Regierungschef mag es konzipiert gewesen sein. Die politischen Ereignisse rund um die Strache-Ibiza-Affäre sollten aber auch den evangelikalen Prediger Ben Fitzgerald sowie Veranstalter und Gäste zu tieferem Nachdenken anregen“, so „zeitgemäß glauben“.

„Unrealistisches Jesus-Zerrbild“

Den Veranstaltungsteilnehmerinnen und -Teilnehmern sei zudem ein „unrealistisches Jesus-Zerrbild“, das angeblich die Welt und die individuellen Sorgen in Trance heilen werde, vorgegaukelt worden. „Dieser Jesus von Nazareth hat nicht zur Weltflucht verholfen, sondern hat in der konkreten Lebensrealität seiner Zeit bis zu seiner Hinrichtung gegen Unterdrückung, Selbstsucht und Machtmissbrauch gewirkt.“

Praxis „nicht in unserer DNA“

Dass Sebastian Kurz als einziger Politiker eingeladen war, vermittle „den Eindruck der Einseitigkeit“, räumte Michael Prüller, Kommunikations-Chef der Erzdiözese Wien, in einem Kommentar für die aktuelle Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“ ein. „Aber sonst, was war eigentlich so empörend?“ Er erklärte die Empörung auch mit der „Überschwänglichkeit“ des freikirchlichen Gebetes, die „nicht in unserer kulturellen DNA“ liege.

Sein Eindruck nach vielen Gesprächen sei, „dass Kurz nur das Fass zum Überlaufen brachte“. Im Grunde seien viele, die das Video aus der Stadthalle sahen, „von der Art des Betens befremdet“ gewesen. Die Überschwänglichkeit, die Anrufung des Heiligen Geistes auch durch die Körperhaltung mit ausgestreckten Armen, das Fürbittgebet für eine konkrete Person seien hierzulande so ungewohnte Praktiken, „dass wir sie leicht für aufgesetzt halten“, obwohl die „uralter christlicher Praxis“ entsprächen. „Uns fremd, aber kraftvoll. Einen zweiten - offenen und ökumenischen - Blick wert“, wie Prüller anregte.

religion.ORF.at/KAP

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