„Dialog der Religionen“: Grassierender Antisemitismus

Im Zeichen der Sorge um einen Anstieg des Antisemitismus in Europa und auch in Österreich stand der „Dialog der Religionen“ im Wiener Palais Epstein am Montag.

Zu dem Dialog hatte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) geladen. An der Begegnung nahmen unter anderen Erzbischof Franz Lackner, Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka, der evangelische Bischof Michael Bünker, der reformierte Landessuperintendent (und ÖRKÖ-Vorsitzende) Thomas Hennefeld und der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs teil; weiters der orthodoxe Metropolit Arsenios (Kardamakis), der Wiener Oberrabbiner Arie Folger, Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister sowie der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Ümit Vural, teil.

Sobotka würdigte in seinen Begrüßungsworten die Rolle der Religionen im Kampf gegen den Antisemitismus und stellte zugleich fest: „Der Kampf gegen den Antisemitismus muss demokratischer Grundkonsens werden.“ Dieser Kampf müsse europaweit geführt werden - und dies zum einen aus der historischen Verantwortung heraus; zum anderen vor dem Hintergrund, dass Antisemitismus antidemokratische Haltungen zur Folge habe und es eines kraftvollen gemeinsamen Auftretens dagegen bedürfe.

„Ein Angriff auf uns alle“

Und so könne man sich aus österreichischer Sicht die Aussage des Hamburger Bürgermeisters Peter Tschentscher nach einem antisemitischen Vorfall in der vergangene Woche zu eigen machen, der gesagt hatte: „Ein Angriff auf unsere jüdischen Mitbürger ist ein Angriff auf uns alle.“

Der Wiener Theologe und Judaistik-Professor Armin Lange verwies in einem Impulsvortrag auf quasi-religiöse Stereotype, derer sich der Antisemitismus heute bediene - und die sich nur im Dialog und Gleichklang mit den Religionen ausräumen und überwinden lassen. In dem Maße nämlich, in dem Antisemitismus ein „irrationales“ und nicht auf Argumenten basierendes Phänomen sei, greife er zur Legitimation auf „quasi-religiöse“ Motive zurück - die sich wiederum nur durch eine „Bekehrung von einer Religion des Hasses zur Religion der Liebe“ überwinden lasse.

Beispiele für quasi-religiöse Motive des Antisemitismus biete die Geschichte zuhauf, führte Lange aus: so etwa das Narrativ angeblicher jüdischer Ritualmorde. Dieses Motiv finde sich immer wieder bis zu Interpretationen von IS-Hinrichtungsvideos, die in bestimmten Gruppen als jüdische Hinrichtungen verstanden wurden. „Wirklichkeitsinterpretationen, die von Ritualmordverleumdungen geleitet werden, führen zu Hass und Gewalt“, so Lange.

Bekämpfung schwierig

Bei der Wahl der legitimatorischen Quellen gehe der Antisemitismus durchaus grenzüberschreitend vor: So zeige die Analyse der Motivquellen, dass sich der christlich gebärdende Neonazi und Attentäter von Pittsburgh, Robert Bowers, der im vergangenen Herbst in einer Synagoge elf Menschen getötet hat, Motive von islamistischen Social-Media-Kanälen zu eigen gemacht hatte. „Der Antisemitismus bedient sich heute transnationaler, transkultureller und transreligiöser Motive“, so Lange. Der Antisemitismus sei daher auch aufgrund seiner vielfältigen Motivgeschichte zu einem „festen Teil des kulturellen Gedächtnisses“ geworden - was die Bekämpfung um so schwieriger mache.

An die Religionen appellierte Lange abschließend, sich für eine Überprüfung ihrer eigenen Traditionen einzusetzen. Bibel und Koran sollten zumindest in Form kritischer Ausgaben auf jene Passagen hinweisen, die Quelle antisemitischer Motive geworden sind. Zugleich brauche es eine stärkere Betonung der „positiven Traditionen“, über die Religionen im Umgang mit dem Judentum verfügten. Hilfreich seien auch ein intensiverer persönlicher Austausch, Begegnungen und Dialog. "Nur so können Gläubige gegen den Judenhass immunisiert werden.

religion.ORF.at/KAP