Kirchen „von Entscheidungen ausgeschlossen“

Kirchen, Zivilgesellschaft sowie von Armut betroffene Menschen fühllen sich von politischen Entscheidungen ausgeschlossen; die Zuhörbereitschaft vonseiten der Politik habe abgenommen, so ein Fazit der Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster

Zu diesem Schluss kamen Caritas-Präsident Michael Landau und der designierte Bischof der evangelischen Kirche A.B, Michael Chalupka, am Freitag bei der Abschlussdiskussion. Als Negativbeispiele nannten sie zwei brisante politische Entscheidungen der letzten Monate, wie Mindestsicherung und die neue Karfreitags-Regelung. Reinhold Mitterlehner, ÖVP-Vizekanzler a.D, forderte die Kirchen im Gegenzug dazu auf, keine Konflikte zu scheuen und „klaren Positionen“ zu beziehen.

Landau und Chalupka diskutierte gemeinsam mit Reinhold Mitterlehner, dem früheren Bundesparteiobmann der ÖVP und dem Sozialwissenschaftler Josef Weidenholzer (SPÖ), der für acht Jahre dem Europäischen Parlament angehört hat. Die traditionsreiche dreitägige Sommerakademie in dem oberösterreichischen Benediktinerstift stand heuer unter dem Generalthema „Die gespaltene Gesellschaft“.

Landau gegen Neidgesellschaft

Alleinerziehende, Schwerkranke, Pflegende und von Armut betroffene Menschen würden von der Politik immer weniger gehört werden, kritisierte Landau in seinem Statement in Kremsmünster. Der Caritas-Präsident forderte die Politiker dazu auf „die richtigen Debatten“ zu führen und keine Neidgesellschaft zu schüren. Dazu gehöre laut Landau, dass man nicht „über 0,9 Prozent der gesamten Sozialleistungen“ diskutiere, denn die Mindestsicherung würde nur den kleinsten Teil des Sozialbudgets ausmachen, aber vor allem Menschen betreffen, die „sich nicht wehren können“. Der Fokus der Politik sollte sich auf Themen wie leistbares Wohnen, Verteilungsgerechtigkeit und Arbeit konzentrieren, forderte Landau.

Das Stift Kremsmünster

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Sommertagung im Stift Kremsmünster

Gleichzeitig unterstrich Landau, dass es keine „christliche Politik“ gebe, sondern nur eine Politik aus „christlicher Verantwortung“ heraus. Das Evangelium sei keine Verteidigungslektüre und auch die Caritas gehöre keiner Partei an. Sie sei „nicht schwarz, türkis, rot, blau, grün oder pink, sondern Kirche“. Die Aufgabe der Caritas und der Kirchen seien unter jeder Bundesregierung gleich und orientiere sich ganz am Leben und an den Sorgen der Menschen.

Bezüglich des Tagungsthemas - „Die gespaltene Gesellschaft“ - meinte Landau, dass selbst gesellschaftliche Widersprüche einen positiven Effekt haben könnten. In Österreich habe man die Mittel, den Mut und die Fähigkeiten die Zukunft positiv zu gestalten. „Angst schadet nur Menschen und unserem Land“, so Landau abschließend.

Chalupka: Gläubige Menschen hören

Die politische Entscheidung zum Karfreitag, der seit Februar dieses Jahres ein „persönlicher Feiertag“ ist, habe gezeigt, wie schnell Kirchen ihre Rechte verlieren könnten. Für Chalupka gehe es dabei weniger um die „Kaste der Kirchen-Funktionäre“, sondern um gläubige Menschen, die durch die Karfreitagsentscheidung nicht ernst genommen wurden.

Der designierte Bischof der evangelischen Kirche A.B. forderte von den Kirchen aber mehr Selbstkritik. So hätten diese beim Thema Umweltschutz vergessen „Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung miteinander zu verbinden“. Die aktuelle „Fridays for Future“-Bewegung zeige nun vor, „wie man es besser machen kann“, stellte Chalupka fest.

Kritisch merkte der ehemalige Direktor der Diakonie an, dass Kirchen als Teil der Zivilgesellschaft kaum noch Möglichkeiten hätten, sich aktiv in politische Entscheidungen einzubringen. Caritas wie auch Diakonie hätten durch ihre Arbeit als Hilfsorganisationen zwar die Expertise, würden aber immer weniger gehört und im schlimmsten Fall sogar diffamiert. In dieser Situation sei es wichtig zu unterstreichen, dass Politik mehr sei als einzelne Politiker. Jeder könne etwas zur „Gestaltung der Gesellschaft beitragen“, zeigte sich Chalupka überzeugt, denn das politische Handeln müsse man als Bürger nicht der Bundesregierung überlassen.

Mitterlehner warnt vor autoritärer Demokratie

Österreich bewege sich von einer liberalen hin zu einer autoritären Demokratie, warnte Mitterlehner. Die aktuelle „Symbolpolitik“ des Landes, „die nicht zuhört, sondern sich auf Themen wie Migration oder Flucht versteift“, verdeutliche diesen Zustand, meinte der Ex-Vizekanzler. Der politische Dialog gehe zurück und die „integrative Ausrichtung“ des politischen Diskurses nehme ab. Als Lösung nannte Mitterlehner eine „partizipative Demokratie“, die die Pluralität und Integration anderer Meinungen fördere.

Einen wichtigen Beitrag zur Demokratie könnten die Kirchen leisten. Diese sollten weder Konflikte noch klare Stellung gegenüber der Regierung scheuen, forderte Mitterlehner. Überall dort, wo Grundwerte, Ethik und gesellschaftliche Konflikte von Seiten einer Regierung angesprochen oder gar verursacht werden, müssten die Kirchen handeln. Dies sei vor allem in einer Zeit des Rechtsdrucks von Nöten, so der Autor des 2019 erschienenen Buches „Haltung“.

„Klare Stimme“ der Kirchen vorhanden

Eine andere Wahrnehmung der Situation hatte indes der Sozialwissenschaftler Josef Weidenholzer. So gebe es auf Österreichebene durchaus „eine sehr klare Stimme“ der Kirchen. Das ehemalige Mitglied des Europäischen Parlaments warf aber ein, dass die Inszenierung der Parteien dazu führe, dass die Stimme der Kirchen immer weniger gehört werden würden. In diesem Fall seien „vernünftige Stimmen beinahe kontraproduktiv“ geworden, konstatierte Weidenholzer.

Gleichzeitig sei „Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich“, so die Wahrnehmung des emeritierten Professors für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Johannes Kepler Universität Linz. Ungleichheit werde zementiert oder gar zelebriert. Und auch mit der Wahrheit halte man es „nicht mehr so genau“, meinte Weidenholzer, der von sozialen und politischen Stimmungen wie in den 1930er-Jahre sprach. Er appellierte in der Podiumsdiskussion an Kirche und Politik, wieder an einem gemeinsamen Verständnis von „Anstand und Menschenrechte“ zu arbeiten.

Ökumenischer Gottesdienst

Der feierliche Schlusspunkt der bereits 21. Sommerakademie war Freitagmittag ein ökumenischer Wortgottesdienst in der Stiftskirche Kremsmünster, dem der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej (Cilerdzic) vorstand.

Die Ökumenische Sommerakademie ist eine Veranstaltung der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz, des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, des Evangelischen Bildungswerks Oberösterreich, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, des Stifts Kremsmünster, der Religionsabteilungen des ORF in Fernsehen und Radio und des Landes Oberösterreich. Alle Vorträge der dreitägigen Tagung werden auf der Website der Diözese zum Nachhören zur Verfügung gestellt. Die nächste 22. Ökumenische Sommerakademie findet von 15. bis 17. Juli 2020 und laut Veranstalter zum Thema „Selbstoptimierung“ statt.

religion.ORF.at/KAP

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