Neue Studien zu System der Gewalt bei Domspatzen

Undurchsichtige Strukturen und unklare Verantwortlichkeiten haben die früheren Fälle von Missbrauch und Gewalt bei den Regensburger Domspatzen in Deutschland begünstigt. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien im Auftrag des Bistums Regensburg.

Die Studien wurden am Montag vorgestellt. Das Bistum präsentierte neben der Studie der Universität Regensburg zur geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung auch eine Studie der Kriminologischen Zentralstelle aus Wiesbaden zur Aufarbeitung vor.

Von außen sei eigentlich keine Korrektur und Kontrolle möglich gewesen, sagte Martin Rettenberger von der Kriminologischen Zentralstelle (Krimz) in Wiesbaden. Der berühmte Knabenchor und seine Schulen und Internate seien ein abgeschottetes soziales System gewesen, in dem sich eigene moralische Maßstäbe herausgebildet hätten.

Erfolg wichtiger als Wohlergehen der Kinder

Untersucht wurden die Jahre zwischen 1945 und 1995, aus historischer und aus sozialwissenschaftlicher Sicht. Der Historiker Bernhard Löffler von der Universität Regensburg sprach von einem System des Schweigens, zu dem kirchliche Stellen, aber auch staatliche Institutionen wie das Kultusministerium sowie Teile der Elternschaft beigetragen hätten.

Der Erfolg des Chores sei wichtiger gewesen als das Wohlergehen der Schüler. Für kindgerechte Pädagogik habe sich niemand interessiert. Besonders schlimm war die Gewalt in der Vorschule mit Schülern der dritten und vierten Klasse. Das Ausmaß der psychischen Grausamkeiten und Übergriffe, die zum Teil auch sexualisiert waren, wurde erst 2010 bekannt.

Das Logo der Regensburger Domspatzen

APA/AFP/dpa/Armin Weigel

Mehrere Studien belegen Gewalt im Kinderchor bis in die 90er Jahre hinein

Missbrauch keine Folge der 68er

Die Macher der Studie wiesen Äußerungen des emeritierten Papsts Benedikt XVI. zurück, der den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche mit der 68er-Bewegung erklärt hatte. Die Gewalt bei den Domspatzen sei „deutlich überwiegend“ mit Ausnahme eines Einzelfalls nicht Folge der 68er-Pädagogik, sagte Bernhard Löffler. Die bei dem weltberühmten Chor verbreitete Gewalt sei viel mehr als Teil eines Erziehungsalltags zu erklären, der weit vor den 68er-Reformen etabliert gewesen sei.

Der emeritierte deutsche Papst hatte im Frühjahr in einem Aufsatz die 68er-Bewegung angegriffen und ihr etwa zugeschrieben, Pädophilie erlaubt zu haben. Der Aufsatz sorgte in Deutschland für große Empörung.

Ratzinger stand für „Körperstrafen und Demütigung“

Die Regensburger Domspatzen standen lange unter der Verantwortung von Benedikts Bruder Georg Ratzinger. Löffler sagte, Ratzinger habe für „Jähzorn, überzogene Strenge einschließlich harter Körperstrafen und psychischer Demütigungen“ gestanden.

Ein sadistisches System wie bei dem 1992 verstorbenen Regensburger Schuldirektor und Priester Johann Meier habe es bei Ratzinger nicht gegeben. Es sei aber „ausgeschlossen“, dass Ratzinger nichts von dessen Prügelattacken gewusst habe.

Opfervertreter wünschen sich Prävention

Eine 2017 veröffentlichte umfassende Studie hatte bereits gezeigt, dass mindestens 547 der Chorknaben in der Nachkriegszeit Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden waren.

Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer bat die Opfer erneut um Vergebung. Das Wichtigste sei jetzt die Prävention. So sehen es auch Vertreter der Betroffenen. Viele wünschten sich, dass Ruhe einkehre und die Domspatzen wieder für ausgezeichnete Musik stehen, sagte Opfervertreter Peter Schmitt.

religion.ORF.at/AFP/dpa

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