Älteste Version von Sexgedicht in Stift entdeckt

In der Klosterbibliothek des Stifts Melk in Niederösterreich hat eine Wissenschaftlerin ein Fragment der bisher ältesten Version eines mittelalterlichen Sexgedichts gefunden. Das Stück wurde als Einband verwendet.

„Dass so ein Text in einer Klosterbibliothek gefunden wurde, ist natürlich interessant“, sagte Christine Glaßner vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Gespräch mit der APA. Darüber, ob es sich bei dem Melker Fund um ein gerade im Kontext der Stiftsbibliothek unpassendes und daher quasi geschreddertes Exemplar handle, könne man laut der Wissenschafterin „wirklich nur sehr mutmaßen“.

Denkbar sei ein deutlich pragmatischerer Ansatz: Nämlich, dass auf den Inhalt des Textes des als Bindematerial verwendeten Pergaments überhaupt nicht geachtet wurde. Die Wissenschafterin stieß in der Stiftsbibliothek Melk (Niederösterreich) auf einen unscheinbaren Pergamentstreifen, der als Teil eines Einbandes eines jüngeren dort auf Latein geschriebenen theologischen Buches diente.

Eine Jungfrau im Gespräch mit ihrer Vagina

Dabei handelte es sich einst um eine gängige Methode, um wertvolles Pergament wiederzuverwenden. Die ursprüngliche Seite wurde dafür zerschnitten. „Auch so kleine Reste können aber sehr interessant sein, wie sich das auch hier gezeigt hat“, sagte Glaßner.

Das schmale Fragment eines Sexgedichts aus dem 13. Jahrhundert, das in der Melker Klosterbibliothek gefunden wurde.

APA/Stift Melk

Das Fragment des „Rosendorns“ wurde in der Stiftbibliothek von Melk als Teil eines Einbands verwendet

Eine Jungfrau („junkfrouwe“), die im Zwiegespräch mit ihrer Vagina („fud“) darüber streitet, welche der beiden von Männern bevorzugt wird - das ist der Inhalt des mittelalterlichen Gedichts „Rosendorn“. Die älteste Version dieses freizügigen Dialogs fanden Forscher nun im Stift Melk. Den Analysen zufolge wurde der Text um das Jahr 1300 geschrieben und damit bis zu 200 Jahre früher als vermutet.

Trennung und Wiedervereinigung

Mit seinem offenherzigen Umgang mit dem Thema Sexualität passt das Gedicht, von dem bisher zwei Fassungen - der „Codex Dresden“ und der „Karlsruher Codex“ - bekannt waren, so gar nicht in die heutigen landläufigen Vorstellungen über das Mittelalter. Kurz gefasst geht es in dem Text, der tiefenpsychologisch vermutlich Bände füllen kann, um eine „junkfrouwe“, deren „fud“ plötzlich sprechen kann, wie es in der Dresdner Version heißt.

Sie hält der Jungfrau dann vor, zu viel auf ihr Aussehen zu geben, wo doch eigentlich sie es sei, die die Männer begehren. In der Folge gehen beide getrennte Wege, was wiederum keine der beiden glücklich werden lässt, und so kommt es am Schluss zur Wiedervereinigung. So bizarr der Text auch erscheint, „im Kern ist die Geschichte auch unheimlich klug. Es wird vorgeführt, dass man die Person sozusagen nicht von ihrem Geschlecht trennen kann“, so Glaßner.

Freier Umgang mit Sexualität

Bisher gingen Mittelalterexperten davon aus, dass ein derartiger Umgang mit Sexualität erst zum Ende des Mittelalters, nämlich in der städtischen Kultur des 15. Jahrhunderts aufkam, wie die für das Projekt verantwortliche Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz am Mittwoch mitteilte. Der Fund aus dem Stift Melk stellt diese Einordnung allerdings auf den Kopf, da diese Zeilen laut den Forschern schon um das Jahr 1300 geschrieben wurden. „Das ist natürlich bedeutend für die Interpretation dieser kleinen Geschichte“, so Glaßner.

Diese Abschrift mache eben deutlich, „dass man schon viel früher so frei mit Sexualität umgegangen ist“. Derartige Texte wurden also bereits vor 1300 gedichtet und möglicherweise szenisch aufgeführt. Allerdings wurden sie offenbar selten aufgeschrieben und haben noch seltener die vielen Jahrhunderte überdauert.

Fragment des „Rosendorns“

Bei einem wissenschaftlichen Workshop am Stift wurde der schmale Streifen, der pro Zeile nur wenige Worte oder Wortteile zeigt, von Nathanael Busch von der Universität Siegen (Deutschland) als Fragment des „Rosendorns“ identifiziert - für Glaßner eine „ganz außerordentliche Leistung“. Beschrieben wurde der aufsehenerregende Fund im Rahmen des deutschen Projekts „Handschriftencensus“, das sich um die Erhaltung des kulturellen Erbes bemüht.

religion.ORF.at/APA

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