Syrien: Eine Reise Richtung Krieg

Auf der Route von Damaskus bis nach Aleppo zeigt sich das Elend, das acht Jahre Krieg in Syrien hinterlassen haben. Der griechisch-katholische Priester Hanna Ghoneim versucht zu helfen. religion.ORF.at hat ihn begleitet. Eine Reportage in mehreren Teilen.

“Den Menschen Hoffnung geben, damit sie in Syrien bleiben und am Wiederaufbau mithelfen”. Das hat Hanna Ghoneim zu seiner Mission gemacht. Er ist melkitisch Griechisch-katholischer Priester und wirkte einst in Ost-Ghouta. Die gewalttätigen Proteste und der folgende Krieg in Syrien kamen für ihn vor acht Jahren völlig überraschend, nahezu ohne Vorwarnung, sagt er. „Es gab damals ein friedliches Miteinander von Christen und Muslimen, ich dachte wir sind auf einem guten Weg“, erzählt er mit erstickter Stimme inmitten der Trümmer von Ost-Ghouta.

Syrien Damaskus September 2019

ORF Marcus Marschalek

Der melkitische Priester Hanna Ghoneim inmitten der Trümmer seines ehemaligen Pfarrgebietes in Ost-Ghouta. Die Melkiten sind mit Rom unierte Christen aus dem Orient. Die Kirche wird auch als Melkitsch Griechisch-katholische Kirche bezeichnet.

Ghoneims Pfarre in der Vorstadt von Damaskus wurde 2012 von Islamisten erobert. Die Christen mussten ihre Wohnungen verlassen, waren plötzlich heimatlos. Seither versucht Ghoneim Geflüchteten beizustehen. Mehrmals im Jahr pendelt er zwischen Österreich und Syrien, bemüht sich Hilfe zu organisieren, diesmal mit journalistischer Begleitung und einer kleinen Delegation von den Hilfswerken „Korbgemeinschaft“ und der „Initiative Christlicher Orient“.

Syrien. syrisch-orthodoxer Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. Karim

ORF Marcus Marschalek

Hinweis

Der zweiten Teil der religion.ORF.at-Serie über Syrien lesen sie hier: Syrien: Christen unter dem Schutz Assads

Von Beirut im Libanon aus geht die Busfahrt über die Grenze Richtung Damaskus. Die Einreise ist nur auf Einladung eines Bürgen in Syrien möglich. Heute ist es der melkitische Caritas-Bischof von Homs. Damit aber nicht genug: Journalisten werden genau geprüft. Alles was bisher über Syrien publiziert wurde, wird auf die Waagschale gelegt. Der Befund: Einreise erlaubt.

Widersprüche und Gegensätze

Nach einer durchwachten Reisenacht Ankunft in Damaskus. Und schon geht es los mit den Widersprüchen und Gegensätzen. Auf der linken Straßenseite kilometerweit völlig zerstörte Plattenbauten, die mit ihren zusammengefalteten Stahlbetondecken eine apokalyptische Kulisse vor dem blauen Himmel abgeben. Rechts davon beginnt hingegen ein Stadtviertel von Damaskus mit scheinbar normalem Leben. Die Häuser hier sind weitgehend unbeschädigt, Geschäfte haben geöffnet, der Verkehr schlängelt sich durch die Gassen.

Syrien Damaskus September 2019

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Kilometerweit sind in Ost-Ghouta nur zerstörte Häuser zu sehen

Es wird schnell klar: Hier darf man sich nicht von ersten Eindrücken verführen lassen oder gar ein rasches Urteil fällen, etwa über Schuld und Nicht-Schuld am Krieg oder auch über den Zustand der Zerstörungen im Land.

Syrien Damaskus September 2019

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Die Altstadt von Damaskus. Hier hat der Krieg die Gebäude verschont. Zerstört ist aber bei vielen Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Seit acht Jahren wird nun schon gekämpft. Die Versionen über den Hergang der Geschehnisse, die man hier von den Menschen hört, kann man wie folgt gut zusammenfassen:
Am Anfang standen friedliche Proteste, die von der Regierung Assad Reformen in Richtung Demokratie forderten. Präsident Baschar al-Assad sei auch zu Zugeständnissen bereit gewesen. Doch einige Protestgruppierungen haben sich radikalisiert, bekamen Finanzen aus dem Ausland. Sie wurden für allerlei Interessen vor den Karren gespannt. Plötzlich gab es eine bewaffnete Opposition. Ein Bürgerkrieg entstand und dann gab es aus dem Ausland noch mehr Geld und Waffen. Syrien wurde zum Spielball der angrenzenden Länder und der Großmächte. Viele hatten und haben in Syrien ihre Interessen, wirtschaftliche, strategische, religiöse. Soweit die Kurzversion der Innensicht vieler Menschen hier vor Ort.

Vom Krieg zum Wiederaufbau

Präsident Assad scheint als Sieger aus dem Krieg zu gehen. Der Preis dafür ist ein weitgehend zerstörtes Land und Abhängigkeiten gegenüber Russland und dem Iran. Auch ist die Regierung auf die Loyalität lokaler Kriegsherren und regimenaher Geschäftsleute angewiesen. 250 Milliarden Dollar, so die Schätzung der UNO, kostet der Wiederaufbau. Andere Schätzungen belaufen sich auf das Vierfache.

Syrien ist nach wie vor im Krieg. Aktuell wird in der Region Idlib im Nordwesten von Syrien gekämpft. Dumpf wird später auf der Reise das Detonieren von Bomben bis nach Aleppo zu hören sein.

Der Norden und Nordosten wiederum wird von den Kurden beherrscht. Die restlichen zwei Drittel des Landes werden von den Regierungskräften kontrolliert, darunter die wichtigsten Städte.

Inmitten der Zerstörung

Eine Sondergenehmigung macht es möglich. Nach mehreren passierten Checkpoints, dem Austausch von Dokumenten und Belehrungen, dass es nicht ungefährlich sei, wird Hanna Ghoneim eine militärische Begleitung zur Seite gestellt und er darf in das zerstörte Ost-Ghouta fahren und die Trümmer seiner ehemaligen Pfarre besuchen.

Die frisch geputzten Schuhe sind beim ersten Schritt mit Staub überzogen. Auf einem Gebiet, so groß wie ein paar Wiener Bezirke, sind die Häuser ineinander verkeilt. Die Bomben haben nichts verschont. Der Eingang in die Kirche liegt hinter Schutt. Ghoneim ist den Tränen nahe. „Vorsicht vor Blindgängern und herunter stürzenden Trümmern“ warnt das Militär. Die Dämmerung setzt ein und aus den Ruinen ringsum schimmern schwache Lichter. Es ist unglaublich. Hier leben noch Menschen, ohne Wasser, ohne Kanal mitten in den Stahlbetonruinen.

Syrien Damaskus September 2019

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Rund 70.000 Menschen sind bereits wieder hierher nach Ost-Ghouta zurückgekehrt und leben inmitten der Trümmer, erzählen Soldaten bei einem Checkpoint

Obwohl hier schon seit länger Zeit nicht mehr gekämpft wird, scheint alles frisch zerstört. Das Wegräumen der Ruinen ist nur mit schwerem Gerät möglich. Die Stahlbetonrelikte müssten mühsam zerschnitten und abtransportiert werden. An Neubauten wagt man noch gar nicht zu denken. Es fehlt an Geräten, Geld und Materialien. So ziehen die wenigen, die zurückkommen, einfach in die Ruinen.

Die Räumlichkeiten des Pfarrhauses haben keine Fenster und Türen mehr. Einige Wände sind eingestürzt. Überall liegt Schutt. Ein Bub schleppt einen Gaskocher in eines der oberen Stockwerke. Es riecht nach Fäkalien.

Innen- und Außensicht: Im Krieg herrscht Chaos

Hier in Ost-Ghouta gab es Oppositionsgruppen, erzählt ein Mann, der auf einer eingestürzten Mauer sitzt. Aber dann kamen 2012, mehr oder weniger über Nacht, radikale Muslime in das Viertel. Nur wenige haben sich ihnen freiwillig angeschlossen. Doch die kleine radikalisierte Gruppe habe immer mehr Angst und Schrecken verbreitet. Wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, wurde gezwungen auf ihrer Seite zu kämpfen.

Mehr als zwei Jahre haben dann die Regierungstruppen verhandelt. Ost-Ghoute wurde umzingelt, es wurde geschossen, aber auch Angebote zu einer friedlichen Lösung gemacht. Viele Rebellen sind schließlich in Richtung Idlib abgezogen. Den Rest hätten die Bomben erledigt, erzählt der Mann.

Syrien: Eine Reise Richtung Krieg

Auf der Route von Damaskus bis nach Aleppo zeigt sich das Elend, das acht Jahre Krieg in Syrien hinterlassen. Priester Ghoneim versucht zu helfen.

Unter den meterdicken Trümmern liegen noch immer die Leichen von vielen Menschen. „Anders wäre man den radikalen Rebellen nicht beigekommen“. Seine Version des Konfliktes teilen hier viele. Eine Version, die sich auch mit der offiziellen Linie der Regierung von Baschar al-Assad deckt.

Andere Quellen sprechen hier freilich von unfassbaren Kriegsverbrechen, von der Ermordung von Zivilisten. Einem Krieg gegen das eigene Volk.

Wider das gute Miteinander

Besuch im Ministerium für religiöse Angelegenheiten. Am Hochaus außen ist ein über mehrere Stockwerke ragendes Bild von Präsident Assad affichiert. Aus dem Büro von Minister Mohammed Abdul Sattar im obersten Stock hat man einen schönen Blick über Damaskus. Der Minister deutet auf Moscheen und Kirchen. Sie stehen dicht beieinander und sind für ihn ein Symbol für die Tradition des Miteinanders in diesem Land.

Syrien Damaskus September 2019

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Minister Mohammed Abdul Sattar für religiöse Angelegenheiten in Syrien

„Syrien charakterisiert sich durch seine Geschichte, durch die Harmonie zwischen allen Glaubensrichtungen und Konfessionen, sowohl islamische als auch christliche. Wenn man durch die Straßen von Damaskus oder einer anderen syrischen Stadt geht, findet man überall Kirchen neben den Moscheen. Die Menschen leben hier ganz normal miteinander. Der Krieg, der in Syrien ausgebrochen ist, sollte diese Vielfalt und dieses Beispiel für das gute Zusammenleben der Christen und Muslimen zerstören.“

Mit diesem Manifest begrüßt Minister Satter die kleine Delegation der Österreichischen Hilfswerke „Korbgemeinschaft“ und „Initiative Christlicher Orient“ unter der Leitung von Hanna Ghoneim.

Damaskus Syrien September 2019

ORF Marcus Marschalek

Blick über einen Teil von Damaskus. Kirchen und Moscheen stehen nebeneinander. Hier hat der Krieg wenig Beschädigungen an den Häusern angerichtet

Doch wie konnte es dann zu diesem Krieg kommen, in dem mehrfach die religiöse Vielfalt im Land bedroht war und ein islamischer Staat in Planung?

Minister Sattar schreibt all das terroristischen und radikal islamischen Kräften außerhalb Syriens zu. „Syrien wurde Opfer des Terrorismus“ und er nimmt zornig Europa in die Verantwortung. „Anstatt der syrischen Regierung gegen die Terroristen zu helfen, trete Europa gegen die legitime Regierung auf“, ... „verdrehe Fakten“ und behindere den Wiederaufbau durch ein Wirtschaftsembargo.

Schuldfrage: Unlösbar?

Menschenrechtsverletzungen der syrischen Regierung, wie sie etwa Amnesty International anprangert, weist der Minister zurück. Abtrünnige, verkleidete Rebellen und andere Mächte würden hier tarnen und täuschen und falsche Bilder provozieren. Ein äußerst hartes Vorgehen gehen die Terroristen sieht der Minister jedoch als gerechtfertigt.

Damaskus Syrien September 2019

ORF Marcus Marschalek

Wer ist schuld an der unfassbaren Zerstörung, etwa in Ost-Ghouta?

Für Journalisten ist das alles nicht überprüfbar. Besuche in den mehrfach beschriebenen „Foltergefängnissen“ sind nicht gestattet. Untersuchungen an den Kriegsschauplätzen nahezu nicht erlaubt. Berichte stützen sich meist auf Erzählungen von Flüchtlingen und auf Augen- und Ohrenzeugen die teilweise telefonisch befragt wurden. Doch jeder hat seine Interessen, seine Ängste. Jeder hat hier seine ganz persönliche Version des Krieges erlebt. Auch ist es schwer eindeutige Zuschreibungen an bestimmte Gruppen zu machen. Immer wieder gibt und gab es Abtrünnige. Militärische Verbände vertreten plötzlich eigene Interessen, gründen autonome Milizen. Krieg ist und bleibt Chaos.

Dann holt der Minister ein kleines weißes Heftchen hervor und verteilt es. Sein Ministerium würde vor allem versuchen mit Aufklärung und Worten gegen den radikalen Islam zu kämpfen. Eine neue Broschüre möchte islamistischen Auslegungen des Koran widersprechen. Die Delegation solle das Heftchen mit nach Österreich nehmen und in Europa verteilen, denn viele der radikalisierten islamistischen Terroristen kämen von dort, so der Minister zum Abschied.

Den zweiten Teil der religion.ORF.at Serie über Syrien lesen sie hier: Syrien: Christen unter dem Schutz Assads

In den nächsten Teilen des Berichts aus Syrien wird über die Begegnung mit Christen in Maalula berichtet. Sie waren Zeugen der Zerstörung des kleinen Dorfes mitsamt seinen uralten christlichen Kulturschätzen. Die Reise führt dann weiter über Homs bis nach Aleppo. Zu Wort kommen unter anderem der Großmufti von Syrien Ahmad Badr ad-Din Hassun, der syrisch-orthodoxe Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. Karim und auch der melkitische Caritas-Bischof Abdo Arbach.

Marcus Marschalek; religion.ORF.at
Mitarbeit Thomas Winkelmüller

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