Experte: Kirche darf Begriff „Mission“ nicht aufgeben

Obwohl die kirchliche „Mission“ durch lange missbräuchliche Anwendung in Verruf gekommen ist, sollte die Kirche an dem Begriff festhalten und sich intensiv um ein Neuverständnis dessen bemühen, so der Missionstheologe Franz Helm.

„Mission ist etwas Wesentliches und Heikles zugleich. Gerade weil der Begriff belastet ist, darf man ihn nicht durch andere Wortschöpfungen wie etwa (Neu-)Evangelisierung ersetzen und einfach weitermachen wie früher“, riet der Steyler Missionar, der seit Jahresbeginn theologischer Referent der Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz (KOO) ist, aus Anlass des von Papst Franziskus ausgerufenen „außerordentlichen Monats der Weltmission“ im Oktober.

Das Verb „missionieren“ hat Helm hingegen aus seinem Wortschatz gestrichen, wie er am Montag im Interview mit Kathpress sagte: „Man verbindet damit schließlich in der Umgangssprache einen Vorgang, bei dem scheinbar nur eine Seite aktiv handelt. Mission ist aber immer ein Dialog“, so der Steyler Missionar.

Dialog nicht immer selbstverständlich

Dieser Dialog war für die katholische Kirche jedoch nicht immer selbstverständlich, sei doch bei der christlichen Mission „vieles falsch gelaufen“. Helm datierte die Fehler bis auf die konstantinische Wende im 4. Jahrhundert zurück, bei dem die christliche Mission mit der Staatskirche zum „Handlanger des Imperialismus“ geworden sei. Zudem habe es eine problematische Vermischung von Macht und Glaube bei den neuzeitlichen Entdeckungen und im Kolonialismus gegeben. „Es gab wohl bedeutende innerkirchliche Gegenströmungen dazu, die aber nicht zum Mainstream wurden“, betonte der Ordenspriester.

Franz Helm

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Missionstheologe Franz Helm

Die Kirche habe damit eine gewisse Mitschuld an der Zerstörung von Kulturen auf sich geladen, diese Vergangenheit aber - im Unterschied zu den Kolonialmächten von damals - inzwischen intensiv und kritisch aufgearbeitet, befand der Missionstheologe: „Die Päpste der vergangenen Jahrzehnte baten dafür stark und klar um Verzeihung, und besonders in Lateinamerika stellten sich die Kirchenvertreter klar auf die Seite der Armen und der indigenen Bevölkerung, und zahlten dafür auch hohen Blutzoll.“

Wandel um 180 Grad

Ein Zeichen des gewandelten Verständnisses sei das Papst-Schreiben „Maximum illud“ aus dem Jahr 1919, auf dessen 100-Jahr-Jubiläum Papst Franziskus mit dem nunmehrigen Missionsmonat Bezug nimmt. „Papst Benedikt XV. ging es damals nach dem Ersten Weltkrieg stark darum, die Verflechtung von Kirche und nationalen Identitäten zu überwinden. Erstmals wurde dabei betont, dass die Kirche einheimische Kleriker und Strukturen braucht und vor Ort heimisch werden soll - wir würden heute sagen, sie soll sich inkulturieren“, so Helm. Zu überwinden galt es die koloniale Abhängigkeit wie auch den Rassismus, der andere Völker als minderwertig ansah.

Im Zweiten Vaticanum habe die Kirche dann die Erfahrungen vieler Ordensgemeinschaften im interreligiösen Dialog übernommen: „Andere Kulturen und Religionen wurden mit Wertschätzung neu bewertet. Es wurde festgestellt, dass Christen auch von deren Anhänger lernen könnten - und dass der Dialog mit ihnen keine Einbahnstraße ist. Die Erklärung zur Religionsfreiheit bezeichnete zudem das Gewissen als Letztinstanz für die Glaubensentscheidung“, sagte Helm. Das Ziel von Mission sei nach diesem Kirchenverständnis „nicht mehr, dass alle katholisch werden, sondern dass alle Menschen Gottes Liebe begegnen und dass Sein Reich der Gerechtigkeit wächst“.

Diese Entscheidung von damals sei der Kirche schwer gefallen, und sie sei bis heute in Diskussion, bemerkte der Missionsexperte. „Es gibt bis heute in der katholischen Kirche Gruppierungen, die Mission verstehen im Sinne von ‚Wir haben die Wahrheit und das Heil, das wir den Menschen bringen‘.“ Dass hier dem eigentlichen Auftrag entsprochen werde, stellte der Missionsexperte stark in Zweifel. „Ein Christentum, das sich abschottet von anderen und meint, seine Identität gegen andere verteidigen zu müssen, ist nicht mehr christlich, und auch nicht missionarisch.“

Mission als Dialog

Bei den Steyler Missionaren habe sich hingegen seit dem Jahr 2000 ein Verständnis von Mission als „prophetischer Dialog“ durchgesetzt: „Prophetisch bedeutet Eintreten für die Botschaft und Praxis Jesu, was manchmal auch Widerspruch gegen Mächte, die den Tod bringen, bedeutet. Dialog ist der Versuch wahrzunehmen und wertzuschätzen, was mein Gegenüber glaubt und was ihm heilig ist. Das Ziel des Lebens kann das sein, wofür wir uns gemeinsam einsetzen können.“

Wie Mission gelingen könne, sei am Beispiel der indonesischen Inseln Flores und Timor gut sichtbar, befand der Ordensmann. „Dort, wo unsere Missionare sehr achtsam und solidarisch vorgingen, sind die Dorfvorsteher auf sie zugekommen und haben sie gebeten: ‚Bitte kommt und bringt uns diesen Glauben‘“. Was man heute vor Ort erlebe, seien „Menschen, die als Florinesen mit ihrer traditionellen Kultur katholisch sind“, so Theologe Helm über einen Besuch im Jahr 2011. Erstaunlicherweise stammten heute bereits ein Viertel der insgesamt 6.000 Mitglieder der Steylerordens - unter ihnen Generalsuperior Paulus Budi Kleden, der derzeit Österreich besucht - von den beiden Inseln.

Gewandelt habe sich das Missionsverständnis auch in anderer Hinsicht. „Dass Europäer als Missionare in Länder des Südens gehen, ist heute ein seltenes Randphänomen. Viel öfter ist es so, dass Priester in Indien, Südostasien oder Afrika aufbrechen und anderswo den Glauben verkünden. Sie kommen auch nach Europa und arbeiten mit“, so Helm. Europa sei somit zum dritten Mal - nach dem Wirken römischer Heiliger wie Florian und Severin und später im Frühmittelalter der Ankunft der Iroschotten - zum Missionsgebiet geworden.

Frauen als erste Glaubensbotinnen

Relativ neu sei die Einsicht, dass Glaubensvermittlung in der Missionsgeschichte oft zuerst in der Familie geschah - „durch Frauen, die zuerst gläubig wurden und dann in ihrem Umfeld den Glauben weitergegeben haben“, so Helm. Dieser Aspekt sei in Zeiten einer Krise der Institutionen - auch der Familie und der Pfarre - wichtig, um Mission wieder als Beziehungsgeschehen zu erkennen.

„Wir müssen als Kirche überlegen, wie Menschen mit Gläubigen in Kontakt kommen können, die vermitteln, dass der Glaube an Gott hohe Relevanz für das Leben hat, erfüllend ist und aufleben lässt. Dass er eine Kraft ist, die gesellschaftlich etwas verändert und zu mehr sozialem Frieden, zu Akzeptanz und zum Füreinander-Einstehen beiträgt“, sagte der Ordensmann.

„Missionspapst“ Franziskus

Auf diesen Umstand spreche Papst Franziskus an, der durchaus ein „Missionspapst“ sei, wie P. Helm betonte. „Seine Wahl erfolgte nach der Bischofssynode zur Evangelisierung, deren Impulse er im Schreiben ‚Evangelii gaudium‘ aufgriff, um festzustellen: Die Kirche ist keine Organisation mit weltweiten Niederlassungen, zu der die Leute hinkommen. Vielmehr muss sie selbst ständig unterwegs sein wie Jesus, um Heilung zu bringen, das Böse auszutreiben, ausgeschlossene Menschen zu integrieren und auch Frauen Wertschätzung zu bringen.“ Nur eine „Kirche im Aufbruch“ könne dies verwirklichen, was der Papst bereits durch die Wahl seiner Reiseziele ausschließlich in Länder am „Rand der Welt“ eindrucksvoll vorzeige.

Dass es nun einen ganzen Missionsmonat gebe, sei für den Papst nach dem bereits abgelaufenen „Jahr der Barmherzigkeit“ nur konsequent, befand Helm. „Sein Kernanliegen ist eine ganzheitliche Mission: Die Kirche soll den Menschen nicht nur den Glauben an Jesus Christus bringen, sondern vor allem seine Sendung aktualisieren - unter heutigen Vorzeichen.“ Zu diesen gehöre auch die ökologische Krise, die mit der ebenfalls im Oktober stattfindenden Amazonien-Synode in den Fokus der Weltkirche gerate. „Solidarität mit den Armen und Unterdrückten wird hier in einem gesehen mit der Sorge um die Schöpfung und die bedrohte Umwelt“, so der Steyler Missionar.

religion.ORF.at/KAP

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